Scharia oder BGB, das ist nicht die Frage

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Scharia oder BGB, das ist nicht die Frage

Wirrwarr der Motive und Argumente:

Wo stehen Freiheit und Toleranz beschrieben? Josef Joffe meint, das stünde im BGB!

Daher textet er in seinem neusten Kommentar zur „Islamdebatte“ vom 12.03.2010, „Scharia oder BGB“ ( www.zeit.de/2010/11/P-Zeitgeist-Islamdebatte?commentstart=105#comments ), sei hier die Frage, und sie werde von Islamverstehern und Islamkritikern gleich beantwortet.

Menschen können aber keine Wahl zwischen unvergleichbaren Regeln treffen. Das überfordert.

Im Bürgerlichen Gesetzbuch steht über Freiheit als Grundsatz und Anspruch, außer zur Vertragsfreiheit, zum Eigentum, bzw. zum Besitz, sehr wenig. So wenig, wie umgekehrt die „Scharia“ irgendwo gültig normiert in einem Gesetzbuch steht und dort „Toleranz“ normiert gefordert oder abgelehnt wird. - Das unterscheidet die Gesetze geschrieben und ungeschrieben, vom „Geist der Gesetze“, den es unbedingt zu bewahren gilt, was man auch immer im Einzelnen an Gesetzen und Verordnungen erlässt, die dem Geist folgen müssen.

„Das Bürgerrecht dürfe nicht vom »richtigen« Glauben abhängen. Diese Trennung hat die islamische Welt noch nicht vollzogen.“, schreibt Herr Joffe.

Aber, weder geht es beim zornigen Streiten der Islamkitikerinnen um die islamische Welt, die ist fern, noch decken sich „Bürgerrecht“ und BGB. - Der ganze Streit dreht sich nämlich um Teilhabe und Repräsentanz der Muslime an einem längst begonnenen Reformprozess hier in Deutschland oder, genauer formuliert, in Europa.

Drei Millionen Muslime leben hier, viele sind Staatsbürger, die meisten anderen sind lange hier lebende Ausländer. Sie wollen bleiben und sollen bleiben und ihre Teilhabe ist keine Frage des Ja- oder Nein, es ist Grundgesetz und Grundpflicht!

Spricht Necla Kelek für sehr viele deutsche Muslime, oder doch nur für sich selbst? Spricht die, sich mittlerweile nicht mehr Muslima nennende, Hirsin Ali für viele Muslime im Westen, viele muslimische Frauen im Besonderen, oder doch eher für Wenige, für sich, möchte aber beim medialen Regeln erstellen unbedingt dabei sein? - Davon später.

Bürgerrecht und BGB:

Das „Bürgerrecht“, um das es sich, notfalls mit großem Einsatz, zu kämpfen lohnt, das steht nicht im BGB. Daher auch die seit Jahrzehnten anhaltende Debatte, dieses durchaus leistungsfähige, aber an vielen Stelllen nur mit juristischer Hilfe verständliche Regelwerk, zu reformieren. Denn seine Sprache, seine Anlage, seine Rechtssätze sollten so abgefasst sein, dass die Zivil-, Vertrags-, Familienstands- und Personenrechte, für jeden Mann und jeder Frau, ohne Rechtsbeistand zu verstehen sind!

Noch schlimmer steht es um das Verwaltungs- und Ordnungsrecht (dazu gehört auch das Staatsbürgerrecht und die Regelung der Zuwanderung) und seine Rechtsgüter. Hier werden vor Gericht sehr häufig nur noch Formalia (Fristeinhaltungen und ad acta Einstellungen von Abwägungen, Vorinformationen und Briefwechsel, bzw. Bekanntmachungen) streitig, was einen erheblichen Aufwand und vor allem ein schier unermüdlich arbeitende Juristenschar, zwingend erforderlich macht. - Keiner glaube, die kilometerlangen Aktenberge bei Normenkontrollklagen trügen wirklich etwas zur Klärung bei. Sie sind meist nur pro forma Abwägungsmaterial und pro forma wird nur überprüft, ob irgendwann an eine Prüfmaterie textlich gedacht wurde, ob sie in den Verwaltungs- und Entscheidungsakten eingestellt wurde.

Die Aufgaben der Anwälte und beamteten Juristen blieben auch dann vielfältig und kaum vermindert, wenn bei Verträgen, streitigen Fragen und Prozessen ganz anderen Fragestellungen, z.B. sachliche Abwägungen und die Frage, ob überhaupt ein Fall ein Fall ist, viel mehr Aufmerksamkeit bekämen, als Verfahrensfragen und Auslegungen, die Gesetze selbst also schlank und allgmein verständlich daher kämen.

Nein, an dieser Gegenübersetzung kann sich kein fundamentaler Streit mit Fundamentalisten entwickeln, die nur Glaubensgesetze, oder den Primat des Glaubenssatzes kennen. Welche namhaften Muslime in Deutschland tun das? Mir sind keine wichtigen Stimmen bekannt.

Es gibt praktisch keinen Staat auf Erden, der um eine Kodifizierung der zivilen und vertragsrechtlichen Bedingungen für das Alltagsleben herum gekommen wäre. Das BGB ist sogar häufig ein Modell für andere Länder gewesen. In angelsächsischen Ländern, die bei uns immer gerne als Länder ohne einmal geschriebene Gesetze kolportiert werden, gibt es selbstverständlich entsprechende Regeln, die, wie unsere Gesetze, schwarz auf weiß, nieder gelegt sind und häufig, aus der laufenden Rechtssprechung entnommen wurden.

Der Iran hat ein Zivilgesetzbuch und ein Strafgesetzbuch, Ägypten kennt, wie wir, ein kodifiziertes Zivil- und Strafrecht, einmal ganz abgesehen davon, was wir über die Zuverlässigkeit der Rechtsprechung, der Behörden und der Staatsführung, ihre eigenen Gesetze einzuhalten und sie fair gegenüber jedermann anzuwenden denken mögen.

Was es zu verteidigen gilt

Was verteidigt werden muss, das sind die Grundrechte aus dem Grundgesetz. Sie stehen dafür, dass in unserer Gemeinschaft Toleranz und Akzeptanz nicht nur Kann-Bestimmungen sind, sondern ein Muss. Jeder, gerade ohne Ansehen der Person oder Religion, muss sich an diese Regeln halten und jedem, ohne Ansehen der Person und Religion, steht dieses Recht zur Seite.

Ein Grund zum Stolz? - Ja, dann, wenn aus dem Verweis auf die Verfassung oder die Grundrechte, kein Ausschluss gezimmert wird für irgend eine Minderheit oder eine Religion.

Auch das aufgeklärte Recht ist nicht ohne Ideologie

Das BGB, schafft zwar Rechtsklarheit und kennt klare juristische Prinzipien, auch auf einem immer noch erstaunlich hohen Niveau. Es ist immer noch praxistauglich. - Aber, es schafft auch Ungerechtigkeiten, die sich, nähme man die Grundrechte und Pflichten des Grundgesetzes noch ein wenig ernster, im und vor dem Bewusstsein der meisten Staatsbürger viel deutlicher abzeichneten.

Auf Dauer führt die Zivilrechtsordnung des BGB, aber auch weitere, sehr unübersichtliche Gesetzessammlungen, zu einer Schieflage, weil sie bestimmten juristischen Personen Tore öffnet, vor den Augen des Gesetzes besser weg zu kommen, immer ein wenig mehr im Recht zu sein.

Auf die Jahre teilt dies die Gesellschaft ökonomisch und auch, was den Zugang zu ihrem allgmeinen Recht in anderen Fragen angeht. Das ist die Lücke, die es, vor allem durch Klarheit und Einfachheit zu schließen gälte, weil sonst immer jene Vorteile ziehen, die sich vor Gericht einfach mehr leisten können.

Das BGB ist ein sehr komplexes Regelwerk, mit sehr vielen unterschiedlichen Rechtmaterien. Keine Frage, komplexe Gesellschaften brauchen komplexe Regelwerke. Die letzte wesentliche Änderung erfolgte 2001/2002, als auf Druck der EU die Kapitel zur Verjährung von Ansprüchen aus Verkäufen, also Verbraucher und Verkäuferrechte- und Pflichten neu geregelt wurden.

Niemand macht sich aber ernstlich Gedanken dazu, ob „Fiktionen“, wie die der Vertragsfreiheit, die Gleichheit der Vertragsparteien, die Gleichmacht der involvierten Parteien im Rechtsstreit, vom Staat über das Recht noch gewährleistet werden!

Weil das so ist, wachsen die Berge der Kasuistiken und Kommentare, wachsen die Seiten des „Kleingedruckten“ in Verträgen, wachsen die Spielräume, mit dem nötigen juristischen Sachverstand und der dafür notwendigen ökonomischen Polsterung, Instanzenwege langjährig zu gehen, die Rechtsräume passend zu gestalten, um so Anwürfe und Ansprüche weniger leistungsfähiger Rechtspersonen ab zu wehren. - An diese Differenz, die das Gerechtigkeitsempfinden untergräbt, die Toleranz untereinander immer mühsamer macht, immer mehr Entscheidungen als Bevorzugungen daher kommen lässt, denkt Herr Joffe sicher nicht.

Was hat das nun mit der Islamismus Debatte zu tun?

Nun wettert Herr Joffe auf vermeintlich höchstem Niveau mit Kant, gegen jene, die er und Ulrich Greiner als Übertolerante mit dem intoleranten Islam ausgemacht hat, und glaubt, so z.B. die hierzulande bekannten Islmakritikerinnen, Kelek und Ali vor berechtigter Kritik schützen zu können.

„ Torquemada war ein Fundamentalist, Kant war es nicht – dazwischen steht ein gewaltiger sittlicher Fortschritt. Kreuzzüge, Inquisition und Kolonialismus waren schreckliches Unrecht, sind aber kein Grund, den Totalitätsanspruch jedweder Religion hinzunehmen.“

Ein Pech nur, dass der Kolonialismus und der ihm folgende Imperialismus ja geradewegs mit den als rational und sachlich begründeten Argumenten, basierend auf eine Reihe der Gläubigen an die höher entwickelte westliche Menschheit, sie reicht von Thomas Morus (Nehmt euch, was andere in euren Augen nicht sinnvoll nutzen) bis zu Hegel (Wenn erst einmal der Staat als sittlicher Endzweck errichtet ist, folgt man mit zwingender Notwendigkeit seinen Vorgaben), voran getrieben wurde. Elemente des moralischen und sittlichen Aufklärungsdenkens, auch der Rechtssysteme nutzte man, sich andere Kulturen und Regionen untertan zu machen und sie auszubeuten.

Mit Christentum und Mission argumentierten die Kolonial- und Imperialmächte nicht mehr allzu ausführlich. Weder nach Innen, um die Gerechtigkeit des Verfahrens aufzuweisen, noch nach Außen, um sich von den Anderen zu nehmen. - Das war nach der frühen „Entdeckerphase“ im 16. und 17.Jh. abgeschlossen. In den meisten Fällen zählte das handfeste Argument, zählte die harte Hand. Der Aufweis, technologisch und militärisch die Macht de facto zu besitzen genügte, denn damit war die "Überlegenheit" ausreichend und direkt bewiesen.

Wir würden doch keinen Satz der „Dialektik der Aufklärung“ oder der „Kritik der instrumentellen Vernunft“ recht verstehen, wenn es nicht diese ungeliebten „Schwarzbücher“ gäbe, die uns an die mörderische Seiten der aufgeklärten Freiheit gemahnen. Wer ist der bessere „Menschenfresser“. Das war doch lange Zeit des 19.Jhs. und des 20.Jhs. eine Kardinalfrage, und sie ist bis heute nicht eindeutig beantwortet, weil das Leben- und Lebenschancen Kostende der westlichen Zivilisation selten in offenen Büchern dokumentiert wird und eben arbeitet, wie der sprichwörtlich unermüdlich tropfende Wasserhahn, bei dem hoffentlich nicht schon das Ventil eingerostet ist.

Der „Totalitätsanspruch“ war auch mit der Aufklärung nicht abgeschafft, ganz im Gegenteil, er feierte neue Triumphe, und so genannte „Humanisten“ sind noch lange keine Liebhaber der Menschheit.

Kant war für diesen Sachverhalt, genau wie Alexander von Humboldt, einige Kirchenleute in Südamerika, manche Reiseschriftsteller und Künstler, nicht unsensibel. Als ganz entschieden weitsichtig erwies sich z.B. der robenadlige Montesquieu, der in seinen Roman-Briefen des Reisenden Usbek an seinen Hof, seine Haremsdamen, seinen Sohn, also in seiner Korrespondenz mit der Heimat ("Lettres Persanes", www.bacdefrancais.net/lpersanes-integrale.html ), den „Helden“ sehr deutlich darauf hinweisen lies, so wie es auch David Hume mit seinem philosophischen Essay „On Religion“ gelang.

Nun, Josef Joffes Intervention aus der Warte des Alpha-Herausgebers, stützt nun ausgerechnet jene Kritikerinnen, die muslimisches Leben mit westlichen Werten in weiten Teilen als überhaupt nicht in Einklang zu bringend ansehen. - Das können diese Frauen ruhig so halten. Aber, auf ihrem Weg haben sie sich beide radikalisiert. Ihr medialer Aufmerksamkeitsgewinn kommt nicht aus an sich tollen und stringenten Thesen oder aus einer logischen Argumentation, sondern er liegt in der Radikalität und Intoleranz, mit der sie sich zu Wort melden. Ihnen für dumme Argumente Schutz und Schirm zu bieten, für weiteres Losholzen und Spektakel, das sollte nicht der Ehrgeiz einer liberalen Zeitung sein.

Necla Kelek ist jüngst wieder vorsichtiger geworden. Bisher waren ihre Äußerungen, z. B. auf dem denkwürdigen Podium in Aschaffenburg (08.12.2007), oder bei anderen TV- Auftritten, von schier unbegreiflicher Einseitigkeit geprägt und gerne sprang sie Starrsinnigen (Ralph Giordano) vehement zur Seite.

Heute akzeptiert sie zumindest irgend einen Islam in Deutschland, wenn er auch so aussehen soll, wie sie ihn sich ausmalt, individualistisch, ohne Moschee, ohne übergreifende Gemeinschaft. Sie fordert ihre weitere Teilhabe am Reformprozess ein. Nicht etwa feministische Muslimas, nicht etwa die muslimischen Theologen, die eine textkritische und auf Frieden und Toleranz gerichtete Koran Auslegung voran treiben, nicht etwa traditionelle Muslime, die sich nichts Besseres vorstellen können, als mit Christen, Juden, anderen Religiösen und einem Haufen Atheisten, in einer säkularen Rechtsordnung gemeinsam leben zu wollen, schweben ihr als Vertreter und Repräsentanten vor, sondern letztlich geht es ihr um die eigene Person, um ihre Repräsentanz und um eine nicht genauer bestimmte Gruppe „säkularer Muslime“ (?).

Streng wandte sie sich gegen den Moscheebau in Köln- Ehrenfeld, obwohl gerade der von einer muslimischen Organisation voran getrieben wurde, die sich von fanatischen Dogmatikern und der Intoleranz strikt abgrenzt und bei der Planung der Moschee, neben säkularen Ratgebern und Architekten, auch den Rat der benachbarten christlichen Kirchen einholte.

Hirsin Ali bleibt hingegen weiterhin unversöhnlich und auch mit Motiven argumentierend, die wahllos gegen jeden Muslim, jede Muslima gerichtet sind. Sie will diesen Glauben aus Europa und den USA fern halten, oder ihn dort als unvereinbar mit den Verfassungen diskreditieren. - Was wären die Folgen?

Herr Joffe gestaltet seine Kolumnen nach einer sehr eigenwilligen Logik, und keine Kolumne bleibt bei ihm ohne reichhaltige Bildungsfüllsel, selbst wenn sie nicht recht passen mögen. Das führt schon einmal dazu, ständig die Kategorien durcheinander zu werfen. - Er darf sich das erlauben.

Christoph Leusch

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