Abschied und Neuanfang (4)

Abschied von Mindelo Wie versprochen hier die Folge 4 von "Mindelo" aus dem Roman: "Abschied von Bissau"

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Liebe dFC,

um die Unbilden des deutschen Jahresendes und -anfangs heil zu überstehen, kommen hier die versprochenen drei Folgen von "Mindelo". Aus Panamá liebe Grüsse in die Heimat, wenn auch die Unerbittlichkeit der Kanzlerin in Sachen "Snowden" tief ins Herz sticht. Aber Madame ist Madame und hat weder im Sozialismus noch im Kapitalismus gelernt, was Menschlichkeit und Freiheit bedeutet. Hätte sie doch nur die absolute Mehrheit gewonnen, dann würde dem Michel vielleicht ein Licht aufgehen. So wird die SPD wieder einmal die verdienten Prügel beziehen.

Doch was reg ich mich hier über deutsche Kälte auf?

Hinein in deutsche und atlantische 2. Weltkriegsgeschichte:

Mindelo (4)

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Foto: Schülerinnen beim Karneval, Website von: The great Cape Verde Adventure

Karneval in Mindelo 1943

In den frühen Morgenstunden des Faschingsdienstages saßen Joaquím und Teresa sowie Fernando und Conceição am Strand „Praia da Matiota“, der bis 1938 ‚Strand der Falken‘ genannt wurde. Die faschistische Einheitspartei „União Nacional“ (Nationale Einheit), die seit Beginn der Salazar-Diktatur, zu Anfang der Dreißiger Jahre, das portugiesische Kolonialreich kontrollierte, hatte die Jugendbewegung der Falken auf Mindelo, die den nahe dem Zentrum der Stadt gelegenen Strand zur sportlichen Ertüchtigung ausgenutzt hatte, aufgelöst und stattdessen die staatlich kontrollierte ‚Portugiesische Jugendbewegung‘ (Mocidade Portuguesa) eingesetzt. Die vier Freunde, die nicht Mitglied der Mocidade waren, besuchten das „Liceu Nacional“ (National-Gymnasium), das einzige Gymnasium der Kapverden, das seit den Zwanziger Jahren Jungen wie Mädchen der Ober- und Mittelschicht unterrichtete. Das Gymnasium erwies sich seit seiner Gründung als die Keimzelle der Herausbildung einer kapverdischen Identität, die sich von der Ideologie des portugiesischen Kolonialimperiums, des „Estado Novo“ (Neuer Staat), radikal unterschied. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Kapverdier entwickelte sich vor allem über das einigende Band der Sprache, das portugiesische Kreolisch, die eigene Literatur und Poesie sowie Musik und Tanz: „Morna, Coladeira und Funaná“. Des Weiteren schweißten die gemeinsam erlebten schweren Lebensbedingungen auf den kargen Inseln mit der ständigen Bedrohung durch Hungersnöte die Menschen zusammen. Dazu kam schließlich die Tatsache, dass die Kapverdier überwiegend Farbige waren und ihnen der Zugang zur weißen Elite des faschistischen Kolonialreiches verschlossen blieb. Bevorzugte Lektüre der Geschwister war die seit 1936 in unregelmäßigen Abständen herausgegebene literarische Zeitschrift „Claridade“ (Klarheit), in der insbesondere die drei Herausgeber Manuel Lopes, Baltasar Lopes und Jorge Barbosa die kapverdische Identitätsstiftung förderten. In ihren Beiträgen wurden trotz herrschender staatlicher Zensur die Verarmung der Bevölkerung und ihre Sehnsüchte nach einem besseren Leben in aller Offenheit dargelegt und dienten der heranwachsenden Jugend als Leitbild auf dem Weg der Selbstfindung in einer Zeit, die vollgestopft war von Krieg, Faschismus, Rassenideologie, fortschreitender Verelendung und Emigration.

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Foto: Praia de Matiota, 1934, unbekannter Autor, Sammlung: Djô Martins

Joaquím hatte Teresas Hand ergriffen. Beide lauschten den heißen Sambarhythmen, die vom Strand „Praia de Bote“ herüberklangen. Der Karneval in Mindelo war seit jeher vom Karneval in Rio und seinem typischen Samba beeinflusst. In diesem Jahr schien der Karnevalstrubel um einiges ungestümer zu sein. Seitdem im vorigen Jahr ein starkes portugiesisches Expeditionskorps von dreitausend Militärs auf der Insel stationiert war, um einer möglichen Besatzung vonseiten der kriegsführenden Mächte vorzubeugen, war Mindelo aus der Ruhe gebracht worden. Die Anwesenheit der jungen Soldaten aus allen Teilen des Mutterlandes und ihr ungestümes Werben um die jungen kapverdischen Frauen hatten die Eifersucht der einheimischen Jugendlichen heraufbeschworen. Konflikte zwischen den Parteien waren an der Tagesordnung. Fernando und Joaquím wachten ebenfalls darüber, dass Conceição und Teresa nicht von den jungen Soldaten aus dem Mutterland belästigt wurden.

Das faschistische Portugal wollte mit allen Mitteln Neutralität bewahren, obwohl es ideologisch den Faschisten in Deutschland, Italien und Spanien nahestand, aber wirtschaftlich weiterhin mit England und den Vereinigten Staaten eng verbunden blieb. So konnte sich die deutsche U-Boot-Flotte unbehelligt im Porto Grande mit Brennstoffen versorgen und versuchen, die Handelswege der Alliierten im Südatlantik zu kontrollieren, während die anwesenden englischen Firmen und das britische Konsulat alle Möglichkeiten zum reibungslosen Informationsaustausch mit ihrem Mutterland hatten. Die Einheimischen in Mindelo wussten, dass Spionagedienste der gegnerischen Parteien den Schiffsverkehr im Hafen argwöhnisch verfolgten und die Station der Western Telegraph benutzten, um ihre Depeschen abzusetzen. Innerhalb des kolonialen Militärs, der berüchtigten portugiesischen Geheimpolizei „PVDE“, die von der GESTAPO geschult und nach dem Krieg in „PIDE“ umbenannt wurde, und der örtlichen Verwaltung gab es genügend Sympathisanten für beide Parteien. Das galt nicht für die farbige kapverdische Mittelschicht, die das Hitlerregime und seine Rassenideologie verständlicherweise strikt ablehnte. Diese Mittelschicht, zu der auch Joaquíms Familie zählte, war von den weltpolitischen Ereignissen und den Verhältnissen innerhalb des Kolonialreiches zunehmend enttäuscht und erhoffte sich in der Zukunft eine größere Eigenständigkeit ihrer Inseln.

„Teresa, ich glaube, Zeca kommt dort mit seiner Freundin.“ Joaquím deutete mit seiner ausgestreckten rechten Hand in Richtung des von den Falken einst errichteten Sprungbrettes. Teresa erkannte jetzt auch die typische Silhouette ihres gemeinsamen Freundes vor der mondbeschienenen Meeresoberfläche, die heute Nacht besonders ruhig war.

„Zeca, komm her, setz Dich zu uns,“ riefen Teresa und Joaquím ihm zu.

Ihr gemeinsamer Freund aus Santo Antão hatte mit Hilfe von Onkel Manuel vor zwei Jahren einen Platz in der Ausbildungsstätte der Schiffswerft bekommen und bekam Unterschlupf im Hause der Köchin der Familie. An den Wochenenden traf er sich häufig mit Joaquím und Teresa am Strand „Praia da Matiota“.

Zeca, der nicht nur ein begabter Violinist, sondern auch ein begeisterter Tänzer, vor allem der Samba-, Coladeira- und Funaná-Tänze, war, schien in dieser Nacht sehr bedrückt zu sein. Nachdem er sich mit seiner Freundin zu Joaquím, Teresa, Fernando und Conceição gesetzt hatte, richtete er seinen Blick besorgt auf das Meer hinaus. Jenseits der weiten Hafenbucht zeichneten sich die Umrisse des „Monte Cara“ am Nachthimmel ab. Nach einem tiefen Seufzer schlug er vor, erst einmal ein Bad im Meer zu nehmen, bevor er ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen hätte. Alle willigten ein, und stürzten sich ins angenehm lauwarme Wasser. Sie schwammen nicht zu weit in die Dunkelheit hinaus, obwohl sie alle gute Schwimmer waren. Denn das Einzige, was ihnen das Badevergnügen verderben konnte, war die Angst vor Haien. Fernando, Conceição, Zeca und seine Freundin kehrten bald zum Strand zurück. Joaquím und seine Schwester nutzten das Halbdunkel der Nacht noch eine Weile aus, um ungestört die Nähe des Anderen zu genießen. In letzter Zeit beobachteten beide das Verhältnis zwischen dem Bruder und Conceição mit steigender Unruhe. Ihr Bruder verheimlichte nicht länger seine Liebesbeziehung vor den Geschwistern und Eltern. Ohne es sich gegenseitig einzugestehen, wuchs zwischen Joaquím und seiner Schwester das Verlangen, es den beiden Jungverliebten gleich zu tun. Doch ihre Jugend und das Geschwisterverhältnis hatten sie bisher vor allen Versuchungen bewahrt.

Als sich Joaquím und Teresa schließlich zu den anderen gesellt hatten, begann Zeca mit leiser und verzweifelter Stimme seine Erzählung, die schwer auf ihm lasten musste.

„Ihr erinnert Euch sicherlich an den alten Vorarbeiter Francisco, der mit mir auf der Werft arbeitet. Er wohnt mit seiner Frau und acht Kindern in meinem „bairro“, nicht weit vom Haus meiner Gasteltern entfernt. Für mich ist er hier in Mindelo so etwas wie ein Vaterersatz. Ich hatte euch früher davon berichtet, dass er in den zwanziger Jahren Chef der Gewerkschaft der schwarzen Hafenarbeiter war. Seitdem in den Dreißiger Jahren das Salazarregime alle Gewerkschaften abgeschafft und stattdessen korporative Vereinigungen mit den Arbeitgebervertretern an der Spitze eingesetzt hatte, wurde Francisco von der PVDE bespitzelt. Jedoch habe ich Euch gegenüber niemals erwähnt, dass er in Mindelo der Chef der verbotenen Kommunistischen Partei ist, die heimlich im Untergrund agiert. Ich selbst bin seit einiger Zeit Mitglied der Jugendorganisation der Partei. Gestern Nacht, genau um diese Zeit, stürmten Polizisten von der PVDE Franciscos Haus und führten ihn ab. Die Geheimpolizei nutzte die Abwesenheit der Nachbarn, die bis auf Wenige alle in der Stadt Karneval feierten, um ihn ins Gefängnis zu sperren. Seine Frau hat heute den ganzen Tag über vergebens versucht, mit Francisco Kontakt aufzunehmen und herauszufinden, was man ihm vorwürfe. Sie wurde als bolschewistisches, afrikanisches Gesindel bezeichnet und selbst mit Gefängnis bedroht, wenn sie nicht Ruhe gäbe. Heute Abend, bei Einbruch der Dunkelheit, kam ein schwarzer Gefängniswärter, der mit den Kommunisten sympathisiert, in Franciscos Haus vorbei. Er teilte seiner Frau mit, er hätte von Vorgesetzten gehört, dass ihr Mann als hohes Mitglied der KP mit dem nächsten portugiesischen Schiff auf die Insel Santiago und in das Konzentrationslager von „Tarrafal“ überführt würde.“

Zecas Freunde hörten betroffen zu. Sie versuchten ihn aufzumuntern, indem sie ihm rieten, sich aus allen politischen Aktivitäten herauszuhalten und einzig an seiner Berufsausbildung zu arbeiten. Irgendwann würde der Krieg aufhören und dann bekämen sie alle sicherlich die Aussicht auf eine bessere Zukunft. Sie teilten Zecas Vorliebe für die Kommunisten nicht, aber sie verstanden ihren Freund, weil die Schwarzen in dem Kolonialreich die Schicht darstellte, die am meisten diskriminiert wurde. Ihnen war auch bekannt, dass der „Estado Novo“ die Kommunisten erbarmungslos verfolgte. Onkel Manuel hatte den Kindern erzählt, dass die GESTAPO der PVDE bei der Erbauung des Konzentrationslagers Tarrafal beratend tätig gewesen war und ihre Mitglieder in Verhörmethoden geschult hatte. 1936 errichtete das portugiesische faschistische Regime das Konzentrationslager auf den Kapverden für die inneren Feinde des Kolonialreiches, und das waren insbesondere die Kommunisten. Es war in demselben Jahr, in dem die farbige kapverdische Elite mit der Herausgabe der Zeitschrift „Claridade“ der kapverdischen Emanzipationsbewegung den entscheidenden Impuls verlieh.

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Foto: Wikimedia Commons, Teil des Konzentrationslagers "Tarrafal" auf der Insel Santago, mithilfe von Gestapo-Beratung erbaut

Langsam trocknete der frische Meereswind, der über die weite Bucht landeinwärts wehte, die Körper und Kleider der jungen Menschen. In ein paar Stunden schon musste die Morgenröte einsetzen. Inzwischen wurde die laute Sambamusik von dem langsamen Rhythmus der melancholischen Morna abgelöst. Wahrscheinlich machten sich die Karnevalsbesucher im Zentrum der Stadt und der „Praia de Bote“ auf den Heimweg. Die drei jungen Paare erhoben sich, fühlten sich steif und traurig. Wie von selbst begannen sie, sich paarweise aneinanderzuschmiegen und die Morna im feuchten Sand zu tanzen. Joaquím schloss seine Augen, lehnte seinen Kopf an Teresas Nacken und Schulter, drückte seine Schwester ganz vorsichtig an seinen bebenden Körper, roch an ihren noch nassen Haaren und wollte die Stadt, den Porto Grande, den Monte Cara und das Meer vergessen und nur noch sie spüren. Aus der Ferne erklang die Morna von Eugenio Tavares, die er über alles liebte:

„Hora di bai, hora di dor“ (Stunde des Abschieds, Stunde des Schmerzes).

In diesem Augenblick fühlte er sich seiner Schwester näher, als er es je getan hatte. Auch sie verlor sich in ihren Gefühlen für Joaquím und hätte ihn am liebsten nicht mehr losgelassen. Als die Morna zu Ende war, wurde es mit einem Male still in Mindelo. Selbst die betrunkenen portugiesischen Soldaten, denen sie auf dem Heimweg begegneten, zeigten sich friedlich. Sie schienen durch die Morna an ihre Lieben im Mutterland erinnert zu sein und den Krieg, der sie in diese ‚Mondlandschaft‘ versetzt hatte, mit aller Leidenschaft zu verfluchen.

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

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