Herausragende Rhetorische Leistungen

Zitate Zu Ehren von Walter Jens: Da z. Z. leider großer Mangel an positiven Rhetorikleistungen herrscht, wenigstens negative Beispiele einiger politischer Leithammel-Leistungen

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Herausragende Manipulierende Rhetorische Leistungen

Zu Ehren von Walter Jens

Jeden Monat, jede Woche, jeden Tag sollten rhetorische Blüten der Herrschenden den Lauf der Dinge in der Welt erklären und dem gemeinen Volk zu Füssen gelegt werden. Dann könnten Untertanen zu Bürgern werden, wenn sie denn die richtigen Schlüsse zögen.

Die letzten beiden Tage (18./19. 6. 2013) haben uns hervorragende Beispiele zur Kunst der Rhetorik einiger Häuptlinge der derzeitigen Weltgeschichte beschert, die ich dem geneigten oder nicht geneigten Leser zur Begutachtung anheimstellen möchte. Fünf Sterne bitte für die trefflichste Rhetorik-Leistung unserer Leithammel.

Dabei handelt es sich um:

den „Sultan“, den „Nobelpreis“, die „Mutti“ und um „Kladderadatsch“.

1. „Sultan“ (Türkischer Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan)

Art der Rhetorik: Manipulierende Rhetorik zum Zwecke der Machterhaltung und –ausweitung

Nach der gewaltsamen Auflösung der regierungskritischen Proteste hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den "Sieg" über die Demonstranten ausgerufen.

"Unsere Demokratie hat erneut auf dem Prüfstand gestanden und sie hat gesiegt".

Erdogan vor Mitgliedern seiner Regierungspartei AKP in Ankara. Bei Razzien gegen Regierungskritiker wurden erneut mindestens 130 Menschen festgenommen.

„Die Regierung hat gemeinsam mit dem türkischen Volk das "Komplott" aufgedeckt, das von "Verrätern" zusammen mit "ausländischen Komplizen" geschmiedet worden ist.“

Erdogan unter tosendem Applaus der AKP-Mitglieder.

„Ab sofort wird es "keinerlei Toleranz" mehr geben für "Menschen oder Organisationen, die Gewalt anwenden".

(Quelle: AFP, 18.06.2013)

2. „Nobelpreis“ (Präsident der USA Barack Obama)

Art der Rhetorik: Visionäre We-Can-Verarschungs-Rhetorik zum Zweck der vermeintlichen Vermenschlichung von politischer Macht

US-Präsident Barack Obama hat in seiner Rede in Berlin ein weitreichendes Abrüstungsangebot gemacht. Ziel sei es, die strategischen Atomwaffen um bis zu einem Drittel zu verringern, sagte Obama in seiner mit Spannung erwarteten Ansprache vor dem Brandenburger Tor. Auch zu Verhandlungen über einen Abbau des Arsenals an taktischen Atomwaffen sei er bereit. Zuvor hatte Obama ein Bekenntnis zur transatlantischen Partnerschaft abgelegt.

"Wir leben nicht mehr in Furcht vor einer globalen Vernichtung. Aber solange es Atomwaffen gibt, sind wir nicht wirklich sicher... Das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen muss verfolgt werden - ungeachtet, wie weit sich dieser Traum in der Zukunft befinden mag".

Obamas Vision einer "atomwaffenfreien Welt": Reduktion einsatzfähiger strategischer Sprengköpfe von 1550 Stück auf 1000 Stück.

Obama über sein vertrauliches Tête-à-Tête mit Merkel über USA-Europa-Beziehungen und Freihandelszone:

„Ich habe in Erinnerung gerufen, dass aus unserer Perspektive (der USA) die Beziehungen zu Europa weiterhin der Eckstein unserer Freiheit sind...Europa ist in fast allem, was wir unternehmen, unser Partner."

Obama zu Euro-Krise, Jugendarbeitslosigkeit und von Deutschland betriebenem Austeritätskurs:

„Wenn in den Krisenländern überall die Jugendarbeitslosigkeit steigt, dann müssen wir auch irgendwann unseren Ansatz ändern, sodass wir gewährleisten, dass nicht eine ganze Generation unwiederbringlich verloren geht. So wichtig politische Ziele wie etwa die Haushaltskonsolidierung sind, so dürfen wir das Hauptziel nicht aus den Augen verlieren - nämlich das Leben der Menschen zu verbessern".

(Quelle: AFP, 19.6.2013)

3. „Mutti“ (Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Angela Merkel, CDU)

Art der Rhetorik: Fruchtbare-Leere-Rhetorik zum Zwecke des Einlullens des Untertans

Merkels sensationelle Feststellung auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Barack Obama:

"Das Internet ist für uns alle Neuland!"

Danach die schlichte Vision „Muttis“ bezüglich des umstrittenen Datenüberwachungsprogramms PRISM, mit dem der US-Geheimdienst ausländische Internetnutzer ausspäht:

„Das Internet wird auch von „Feinden und Gegnern“ missbraucht...Ich schätze die Zusammenarbeit mit den USA in Fragen der Sicherheit. Ich habe aber auch deutlich gemacht, dass bei aller Notwendigkeit das Thema der Verhältnismäßigkeit ein wichtiges Thema ist...Ich habe mit Obama einen offenen Informationsaustausch zu dem Thema vereinbart.“

(Quelle: Teleschau, AFP, 19.6.2013)

4. „Kladderadatsch“ (Kanzlerkandidat der SPD Peer Steinbrück)

Art der Rhetorik: Unkontrollierte Wasserfall-Rhetorik zum Zwecke der Vorspiegelung von Empathie und Führung in gefahrvollen Zeiten

Gut drei Monate vor der Bundestagswahl ist die SPD in ein neues Umfragetief gerutscht. Im neuen "stern-RTL-Wahltrend" verloren die Sozialdemokraten zwei Punkte und kommen nur noch auf 22 Prozent, während Union und FDP eine Mehrheit erzielen. Nach den jüngsten Querelen in der SPD bekräftigte ihr Kanzlerkandidat Peer Steinbrück seinen Führungsanspruch.

"In jedem Bundestagswahlkampf ist der Kandidat derjenige, der die Zügelführung haben muss!"

Bezüglich Kritik am SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel vom vergangenen Wochenende:

„Meine Kritik an Sigmar Gabriel war ein Weckruf zur rechten Zeit, der öffentlich wahrnehmbar sein sollte".

(Quelle: AFP, 19.6.2013)

Nachruf: Nach diesem rhetorischen Sturmgewitter hätte ich gern unseren lieben Walter Jens zum Gespräch am Kamin gebeten.

Liebe Grüße vom Pazifischen Ozean an die dFC! CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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