Unabhängige Kandidatur auf Liste der Piraten

Wahlkampf (6) Wie macht ein parteiloser „Bürgerkandidat“ Wahlkampf, der nach 50 Jahren in seine Heimat Weserbergland zurückkehrt?

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1. Mai. Der DGB hat zur Demo im Bürgergarten der Stadt Hameln geladen. An einem strahlenden 1. Maifeiertag haben sich ein paar Hundert unermüdliche, über die Rechte der Arbeitnehmer besorgte Bürger eingefunden, um den kämpferischen Worten des Herrn Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Stephan Weil, zu lauschen und, soweit SPD-Genosse, bzw. SPD-Anhänger, Mut und Aufmunterung für anstehende Wahlschlachten zu schöpfen. Die anwesende erste Garde der lokalen SPD und des DGB braucht in stürmischen Wahlkampfzeiten geschlossene Reihen und ein festes Ziel vor Augen. Es gilt, den Schulz-Effekt für anstehende Wahlscharmützel zum Bundestag und anschließend zum niedersächsischen Landtag im Januar 2018 auszunutzen. Staatliche Macht und Pfründe müssen verteidigt oder gar vermehrt werden, ohne dass der getreue Gewerkschaftler und nichtsahnende Bürger merkt, wie er verschaukelt wird.

Herr Weil tut mir aufrichtig leid. Ist doch seine Aufgabe, soziale Gerechtigkeit anzupreisen, nachdem gerade seine Partei durch die Agenda 2010 die Armut in Deutschland großflächig und unter begeisterter, tatkräftiger Mitarbeit einer unermüdlichen Kanzlerin mit wachsendem Erfolg eingeführt hat. Die kümmerlichen Korrekturen an der Agenda, die Genosse Schulz vorgeschlagen hat, können auch durch markige Worte keinen Bürger vom Hocker reißen, bzw. in der Maisonne für Stimmung sorgen, die über Bierseligkeit hinaus geraten würde. Warum gesteht der gute Mann nicht aufrichtig, dass die Schröder-Agenda der massive Einstieg in die Armut war? Sie würde jetzt jedoch mit Schulz und einer geläuterten SPD, die fortan nach Jahren der „Sünde“ die Interessen der Kleinen Leute wieder entdeckt hätte, ad acta gelegt werden. Ein für alle Mal in diesem reichen Land! Die Partei hätte sich leider unter Schröder vertan und versündigt, würde aber jetzt Einsicht zeigen und Busse tun, trotz Aufschrei des Groß-Kapitals. Tosender Beifall, statt höflichem Applaus, wäre Herrn Weil zuteil geworden. Aber die altehrwürdige, jetzt gehörig lädierte Arbeiterpartei ist zu einem derartigen Kraftakt nicht mehr fähig. So wird der Schulz-Effekt im Frühlingswind verwehen, nicht nur im Hamelner Bürgergarten, auch sonst in deutschen Landen.

Die Rednerbühne im Bürgergarten öffnete sich zu einem weiten O, gebildet aus allerhand Ständen von Parteien und Nichtregierungsorganisationen, in dessen Rund die anwesenden Bürgerinnen und Bürger die gebotene Muße fanden, den Internationalen Tag der Arbeit zu Diskussionen, Würstchenverzehr und geselligem Beisammensein zu genießen bzw. nicht zu genießen. Denn es war auch eine nicht zu übersehende Zahl von Niedriglöhnerinnen und –löhnern anwesend, denen der Missmut über die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse im Gesicht geschrieben stand. Unter den anwesenden Parteien glänzten die CDU und FDP durch Abwesenheit. Vielleicht wären diese beiden Parteien und die Hälfte der GRÜNEN eher begeisterte Teilnehmer an einem Festakt zu Ehren eines Internationalen Tages des Kapitals?

Der Stand der PIRATEN war der letzte unter den Parteien. Die kleine aber feine Truppe war bemüht, Stimmen zur kommenden Bundestagswahl zu sammeln: Erforderliche 200 Stimmen für den Direktkandidaten im Wahlkreis und eine erkleckliche Zahl der insgesamt 2000 Stimmen, die für die Landesliste notwendig sind. In der letzten April-Woche hatte ich mit den PIRATEN eine Übereinkunft geschlossen, als Parteiloser auf ihrer Liste zu kandidieren. Unsere politischen Auffassungen liegen nicht weit auseinander. Besonders das politische Ziel der Stärkung von Bürger-Macht haben wir gemeinsam. Und dieses Ziel zu erreichen ist angesichts der Ohnmacht, die mehr als 90% der Bürgerschaft gegenüber Bundestagsparteien und Staat empfinden, das wichtigste Ziel unserer Demokratie. Andererseits ist es gleichsam das wichtigste „negative“ Ziel für die etablierten Parteien, das unter allen Umständen verhindert werden muss, steht es doch den herrschenden Machtinteressen im Nachkriegsdeutschland diametral entgegen.

Die Bundestagsparteien betrachten seit 1949 diesen unseren Staat mit all ihren regelmäßig brav abnickenden Bürgerinnen und Bürgern sozusagen als ihr angestammtes „Eigentum“, mit dem sich trefflich Macht und Geld verdienen lässt. Der gemeine Bürger, der Untertan, muss jede Legislaturperiode wieder neu hofiert werden, um sein Stimmlein einer Handvoll von Parteien anzuvertrauen. Dieses ist seine einzige politische Entscheidung, die er treffen darf. Von allen übrigen politischen Entscheidungen bleibt er ausgeschlossen. Das würde seine Urteilskraft übersteigen. Soweit ist Demokratie in Deutschland nicht vorgesehen.

Nun, gerade diese „kranke“ Form von Demokratie mit ihrer Entmachtung des Bürgers und der gleichzeitigen Übertragung von Machtfülle an die BT-Parteien gilt es abzuschaffen. Die Emanzipation des Bürgers ist nicht nur in vielen Weltregionen auf der Tagesordnung, sie muss auch in Deutschland auf die politische Tagesordnung gehievt werden.

Mit dieser politischen Forderung im Mittelpunkt trat ich als Parteiloser Bürgerkandidat zu Beginn März meinen Wahlkampf an. Aber alle Versuche, meine politischen Vorstellungen und mich persönlich, der ich 50 Jahre lang abwesend war, im Wahlkreis bekannt zu machen, wurden von der Presse totgeschwiegen. Ich empfand eine Mauer des Schweigens um mich herum, die ich nicht durchstoßen konnte, errichtet von lokalen medialen, politischen und wirtschaftlichen Seilschaften, so, als ob ich eine „Unperson“ sei, die zwar nach langer Abwesenheit in die Heimat zurückkommen, die aber ja keine Ideen über Bürger-Freiheit verbreiten dürfte. Das würde das lokale Filz-Geflecht und seine Machtinteressen gefährden, zumal im Angesicht eines Wahlkampfes, bei dem ein dickes Fell zu verteilen ist.

Auf meiner Suche nach einer kleinen Unterstützergruppe stieß ich Ende April auf die PIRATEN. Schnell fanden wir unsere gemeinsamen Interessen heraus: Ich als Parteiloser, der stets Bewegungen für Freiheit, Bürger-Macht und Direkter Demokratie für wichtiger hielt und hält als politische Parteien, und die PIRATEN, die ihre Partei für Bündnisse mit Unabhängigen offen hält. Ein paar Tage nach unserer Einigung gingen wir am 1. Mai im Hamelner Bürgergarten gemeinsam auf die Bürger zu, um sie von unseren politischen Zielen zu überzeugen. Und dieses einvernehmliche Vorgehen scheint sich für beide Seiten zu lohnen. Die ersten 60 Unterstützer haben für meine Kandidatur unterschrieben. Die lokale Presse hat eine erste Pressemitteilung der PIRATEN über meine Kandidatur veröffentlicht. Allmählich wird meine Kandidatur als Parteiloser bekannt und wird von Teilen der Bürgerschaft begrüßt. Ich hoffe in der Folge, bald die ersten Wahlveranstaltungen organisieren zu können.

Anfang Juni wird mein nächster Beitrag von einem Schneeball erzählen, der seinen Weg ins Tal angetreten hat, ohne große Illusionen aber mit einem warmen, freiheitlichen Herzen.

LG und bis dann,

CE

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Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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