Unterstützer-Unterschriften-Sammeln

Wahlkampf 2017 (8) Es gibt Tage, die sind für einen parteilosen, unabhängigen Wahlkämpfer einfach zum Kotzen: Ohnmacht, Angst, Obrigkeitshörigkeit und Wut des Bürgers schlägt mir entgegen

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Foto: Wikimedia Commons, Hylliger Born mit Wandelhalle, Staatsbad Bad Pyrmont

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Wie sind die anscheinende Begeisterung für eine unermüdliche „Weiterso-Kanzlerin“ und die übrige Zustimmung zu den etablierten Parteien zu erklären? Was geht in der Seele eines deutschen Durchschnittsbürgers im Wahljahr 2017 vor? Diese Fragen stelle ich mir immer wieder beim Sammeln meiner Unterstützer-Unterschriften.

Unlängst war Unterschriften-Sammeln in der Fußgängerzone von Bad Pyrmont, nahe Hylliger Born, angesagt, an einem frischen Dienstagmorgen. Meine Erinnerung an die Stadt aus Schulzeiten war verblasst. Umso erstaunter war ich, Pyrmont als „Mini-Baden-Baden“ wieder zu erleben. Sehr mondän, betuchte Kurgäste und Einwohner mehrheitlich betagten Alters, meines Alters, jedoch nicht meines bescheidenen Geldbeutels, wenig junges Volk und einige sofort identifizierbare Menschen aus dem Niedriglohnsektor.

Das Sammeln war gelinde gesagt ein totaler Reinfall. Lag es an unserer sichtbaren „Piraten-Präsenz“, die in derart einkommensstarker Umgebung fehl am Platze war, einer Umgebung, die abgehalfterten Abgeordneten und pensionierten hohen Staatsbeamten sowie ehemaligen Diplomaten und ermüdeten Wirtschafts-Kapitänen gut zu Gesicht steht? Hier regiert das Geld der Republik, nicht der Niedriglohnsektor! Das bekamen wir geballt zu spüren. Wir wurden schlichtweg ignoriert. Rief unsere Gegenwart ein schlechtes Gewissen hervor, dass es außer Sattheit und Merkel-Seligkeit auch ein anderes Deutschland gibt? Wir hielten denn auch nur drei Stunden durch und machten uns danach aus dem Staub. Was hatten wir hier zu suchen?

Ich ging danach allein in einer Vorortgemeinde von Hameln auf die Suche nach dem Niedriglohnsektor in einem schlichten Areal des sozialen Wohnungsbaus. Dreistöckige Wohnblöcke mit jeweils 18 Wohneinheiten. Spielgelegenheiten für Kinder nahezu Fehlanzeige. Hier müsste doch wenigstens ein Funken von Rebellion gegen herrschende gesellschaftliche Zustände zu finden sein? Doch Fehlanzeige. Durchweg barsche Ablehnung von Menschen, die argwöhnisch aus Türspalten lugten. Wenn Wortfetzen zustande kamen, dann etwa so: „Wir werden sowieso nicht von denen ‚da oben‘ gefragt. Wir wollen von Politik nichts wissen, und die Politik will nichts von uns wissen. Machen Sie sich keine Illusion. Was Sie vorhaben (Stärkung des Bürgerwillens und Eroberung der Volkssouveränität), ist vergebene Liebesmüh.“

Abweisende Reaktionen von Menschen meines Alters in diesen frühen Nachmittagsstunden wurden häufig auch begleitet durch die Frustration über Niedrigrenten um die 600 bis 800 Euros, die keinerlei kleinste Extras erlauben. Auf meinen Vorschlag, für ein Grundeinkommens von 1.100 Euro pro Erwachsenen (derzeitige Armutsgrenze in Deutschland) zu kämpfen, und gegebenenfalls dafür nach Berlin zu marschieren, kam immer wieder die stereotype Antwort: „Wir können ja doch nichts machen.“

Doch dieser außerordentlich hässliche Tag des Unterschriften-Sammelns wurde gegen Abend dann doch noch durch drei erfreuliche Begebenheiten aufgehellt: Zwei Deutsch-Russinnen unterschrieben nach einer guten Diskussion von jeweils einer halben Stunde mit vollem Herzen und meinten, es müsse etwas geschehen, so könne es politisch nicht weitergehen. Die eine war eine 80jährige, intelligente, hochgewachsene blonde Dame, die glatt als eine pensionierte Künstlerin durchgehen konnte, Schauspielerin, Sängerin, Malerin oder dergleichen. Sie ging mit mir meine verschiedenen politischen Forderungen durch. Dabei wurden wir immer wieder durch ihren Gatten unterbrochen (ich fragte mich, wie sie an so einen Gatten gekommen sein könnte), der unsere Konversation absolut unterbrechen wollte, was jedoch von der Dame strikt abgelehnt wurde. Sie unterschrieb energisch und wünschte mir viel Erfolg.

Die andere Deutsch-Russin arbeitet im Pflegeheim und hat eine schwierige Familiengeschichte hinter sich. Der Einsatz für eine humanistisch ausgerichtete bürgerbestimmte Republik im Gegensatz zu einem Parteienstaat war ihr ungemein wichtig.

Ja, und dann war da noch ein 84jähriger deutscher Rentner an der Bushaltestelle, von der aus ich nach Hause fuhr. Wir unterhielten uns angeregt etwa eine halbe Stunde lang, während ich auf den Bus wartete. Der Rentner saß hier seine trübe Abendstunde ab, bevor er nach Hause in seine Sozialwohnung streben wollte. Und ich hatte keine Lust mehr auf weiteres Klingeln in dem traurig stimmenden Sozialwohnungs-Areal. So kamen wir beide in ein anregendes Gespräch: Sein Einkommen nach beinahe 50 Jahren Arbeit auf dem Lande lag bei 600 Euro. Als 14jähriger wurde er zum Volkssturm eingezogen und verdingte sich nach dem Krieg als Landarbeiter bis ins hohe Alter. Als ich ihn nach seinen Freuden im Leben befragte und annahm, dass es Bier und Bundesliga sein könnte, meinte er, er tränke nicht und wollte vom Fußball nichts wissen. Seine größte Freude sei eine Zigarette, die er sich leider nur alle Jubeljahre mal gönnen könnte. Und das Sitzen an der Haltestelle am frühen Abend sei ebenfalls eine willkommene Abwechslung in seinem eintönigen Leben als alleinstehender Niedrigrentner. Gottseidank stimme die Gesundheit trotz fortgeschrittenen Alters noch. Er war unbedingt dafür, dass der Bürger endlich aufstehen müsse, um Berlin zu zeigen, was Bürgerwille sei. Selbst in seinem Alter würde er noch einmal. wenn nötig, zum Reichstag fahren, um den „Hohen Herrschaften“ Volkes Wille zu zeigen. Als wir uns verabschiedeten, konnte ich nicht umhin, ihm Geld zuzustecken, damit er sich vor dem Schlafengehen noch eine Zigarette genehmigen könnte.

So fand ein fürchterlich entmutigender Tag doch noch ein versöhnliches Ende mit drei Unterstützer-Unterschriften.

Hier soll für heute Schluss sein. In zwei Tagen muss ich die 200 Unterstützer-Unterschriften beisammen haben, die noch von Gemeindeämtern bestätigt werden müssen, bevor sie zum Kreiswahlleiter gehen. Jetzt sind es etwa 180. In den letzten zwei Monaten habe ich durch Hausbesuche ungefähr 300 km zurückgelegt.

Über Ängste, Ohnmacht, Obrigkeitshörigkeit und Zorn deutscher Wählerinnen und Wähler wird weiter zu reden sein. Aber erst gegen Mitte Juli, wenn ich Gewissheit habe, ob ich als Parteiloser auf den Wahlzettel komme oder nicht. Wahlleiter finden immer Argumente, unerwünschte Kandidaten auszuschließen, zumal der Druck von etablierten Parteien diesbezüglich nicht von „Pappe“ sein wird. Das merke ich deutlich an der Reaktion der hiesigen Presse auf meine Kandidatur als Parteiloser. Hier sei nur betont: Angst, Ohnmacht, Obrigkeitshörigkeit und Zorn sind die vorherrschenden „Seelenstimmungen“ des deutschen Wählers, und das quer durch die gesellschaftlichen Schichten hinweg. „Rühmliche“ Ausnahmen davon sind die deutschen Entscheider-Menschen aus Politik und Wirtschaft, ein kleines Häufchen Privilegierter in einem Ozean von Machtlosen, die nur noch sagen können: „Gute Nacht, Marie!“

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Noch eine schoene kommende Woche,

CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

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