Alpthal – das falsche gallische Dorf

Coronavirus Die Schweiz lanciert eine Impfwoche, der Kanton Schwyz lässt anlässlich dieser seinen Impfbus durch die Gemeinden touren. Durch alle Gemeinden? Nein, eine wehrt sich dagegen und macht Schwyz' Image als Hinterwäldlerkanton alle Ehre

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Die Schweiz ist selten ein einig Land
Die Schweiz ist selten ein einig Land

Foto: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Ab 8. November lanciert die Schweiz im Kampf gegen die wieder ansteigenden Corona-Zahlen eine Kampagne in Form einer Impfwoche. Der Kanton Schwyz lässt bereits seit geraumer Zeit einen ehemaligen Bus, der in der Zwischenzeit in einen Rettungswagen für Grossereignisse umgebaut wurde, als mobile Impfzentrale innerhalb seines Gebietes im Einsatz stehen. Im Rahmen besagter Impfwoche hätte der Bus in allen Gemeinden des Kantons Station gemacht, um noch Unentschlossenen die Möglichkeit einer spontanen Impfung gegen das Coronavirus zu ermöglichen – oder sie zumindest dafür zu überzeugen. Eine grossartige Idee, die nun durch eine einzige Gemeinde zunichte gemacht wurde: Alpthal, am Fusse der Rückseite der Mythen.

Der Kanton Schwyz kämpft gegen sein Image

Werner Stauffacher aus Steinen war einer der drei Ureidgenossen am Rütlischwur 1291, der Kanton gab dem Bundesstaat seinen Namen, mit den Taschenmessern der Victorinox kommt eines der berühmtesten Schweizer Exportgüter aus Ibach, einer Ortschaft innerhalb des Kantonshauptortes. Dennoch wird der Kanton Schwyz im Rest des Landes stets belächelt. Konservative Alte, welche noch hinter dem Mond leben, so lautet der allgemeine Tenor. So sehr es den Autor, der im schwyzerischen Brunnen aufgewachsen ist, schmerzt, aber gewisse Ereignisse geben dem Spott leider Recht: Seien es die berühmt-berüchtigten Gebrüder Schmidig aus Sattel, welche weniger durch ihr angebliche Schächten von Schafen landesweite Berühmtheit erlangt haben, als durch einen Fernsehbeitrag mit eher primitiven Phrasen, wo um eine Anzahl Schafe gestritten wurde, oder einen Kantonsrat, der ihm Rahmen einer Demonstration gegen Covid-Massnahmen den Bundesrat dem Genozid bezichtigte oder die Gemeinde Unteriberg, welche als konservativste Gemeinde des Landes gilt. Ein Image, das der Kanton längst hat; ungeachtet seiner Wirtschaftskraft, die er allerdings den drei Gemeinden des Bezirks Höfe – Freienbach, Wollerau und Feusisberg – zu verdanken hat. Der Schweizer Zeitungskonzern CH-Media hat just in dieser Woche einen Artikel publiziert, um das Hinterwäldler-Image der Schwyzer ein wenig zu korrigieren. Das Timing könnte gleichzeitig perfekter als auch unperfekter sein.

Alpthal als falsches gallisches Dorf

Während der landesweiten Impfwoche lässt der Kanton Schwyz durch alle Gemeinden des Kantons touren. Durch alle Gemeinden? Nein – ein kleines Dorf lässt den Impfbus nicht rein. Offiziell, weil in der Gemeinde alle Impfwilligen bereits geimpft sein sollten. Und wer sich dennoch noch impfen lassen möchte, sollte gefälligst auf eigene Kosten den Weg nach Einsiedeln antreten, heisst es. Alpthal sieht sich als gallisches Dorf umgeben von der bösen Diktatur aus Schwyz oder aus Bern. Die Gemeinde, bislang eher dafür bekannt, sich auf der eher unästhetischen Rückseite der Mythen zu befinden, ist nun landesweit in aller Munde. Das Schlagwort Alpthal Impfbus geht in Google-Suchverläufen viral. Man stellt sich nun die Frage, ob Alpthal wirklich einen grösseren Schaden genommen hat, wenn es dem Impfbus den Aufenthalt erlaubt hätte, und dann halt niemand gekommen wäre – oder nun durch diese ganze Diskussion, weil die Gemeinde nun auch wieder das Bild des ganzen Kantons je nach Ansicht bestätigt oder wieder in Verruf zieht.

Warum kann die Schweiz nicht an einer Strippe ziehen?

Die Schweiz ist selten ein einig Land, entgegen dem Spruch auf dem Rütli – Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern. Vier Landessprachen, sechsundzwanzig Kantone und Halbkantone, verschiedene Ansichten. Die vor allem während internationalen Fussballturnieren so zelebrierte Einigkeit und Rückendeckung der Mannschaft in Form von roten T-Shirts - alles nur blanke Fassade.

Durch die direkte Demokrate haben Minderheiten vergleichsweise starke Mitspracherechte. In kaum einem anderen Land haben Massnahmengegner so viel Einfluss, in keinem anderen Land muss über gesetzliche Grundlagen bezüglich Covid das Stimmvolk befinden. Nicht mal in Krisenzeiten wie diesen hält man zusammen, die eigene Profilierung ist viel wichtiger. Hauptsache, man redet über einen. Ob das damit verbundene eigene Verhalten konstruktiv ist, ist zumindest im Falle von Alpthal äusserst fragwürdig. Corona-Massnahmengegener sind gegen Argumente immun, vernünftige Debatten sind kaum mehr möglich. Mit dem Versuch Mitte September, das Bundeshaus in Bern zu stürmen, wurde eine Grenze überschritten. Leider schien dies in der Gesellschaft nur sehr wenig Aufmerksamkeit erweckt zu haben. Weil es ja viel schlimmer ist, einen QR-Code vorweisen zu müssen...

Oft wird von einer Diktatur gesprochen. Fakt ist, manche Schweizer – und davon viele Schwyzer – haben Probleme mit Obrigkeiten. Was die Alte Eidgenossenschaft aus den Fängen Habsburgs mag befreit haben, ist in aktuellen Zeiten eher wenig förderlich. Von einer Diktatur wird geredet – doch würde man sich tatsächlich in einer Diktatur befinden, würde man wohl kaum jede Woche beinahe unbehelligt demonstrieren können. Mehr noch, in der Schweiz hat man nebst den Volksinitiativen und Referenden die Möglichkeit, im Rahmen der SRF-Politiksendung Arena mit einem Bundesrat über ein Thema zu diskutieren. Wo sonst in aller Welt findet ein solch öffentlicher und transparenter Austausch mit Regierungsmitgliedern statt? Wenn das eine Diktatur sein soll, was ist dann Nordkorea?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Wachter

Daniel Wachter, geboren 1991, ist Lokomotivführer und abseits der Schienen Verfasser von selbst publizierten Romanen.

Daniel Wachter