Der Börsenstart von Facebook - ein Anachronismus unserer Zeit?

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Während die westlichen Industrienationen immer noch unter den Finanz- und Wirtschaftskrisen ächzen, ist Facebook dieser Tage an die Börse gegangen, ganz so als befänden wir uns in den ausgehenden 1990er Jahren. Der Börsenstart von Facebook zeigt vor allem eines: der Finanzmarkt-Kapitalismus dreht sich unbeirrt weiter.

104.000.000.000,- US-Dollar war Facebook unmittelbar nach erster Notierung bei der New Yorker Nasdaq am 18.05.2012 wert, zumindest virtuell. Innerhalb von nicht mal zehn Tagen hat sich der Wert des sozialen Netzwerks auf unter 80 Mrd. US-Dollar reduziert. Die Laune des Facebook-Erfinders und Vorstandsvorsitzenden Mark Zuckerberg soll dermaßen im Keller sein, dass er in Restaurants in Italien bereits das Trinkgeld einspart.

Rückblende: Am 15.09.2008 ist die Bank Lehman Brothers Inc. insolvent gegangen und löste in der Folge die erste schwere Finanzkrise im 21. Jahrhundert aus. Nach der Rückverstaatlichung von Fannie Mae und der Verstaatlichung von Freddie Mac, der beiden gr0ßen Hypothekenbanken in den USA, schwappte die anfängliche Subprime-Krise schließlich auch nach Deutschland, wo vor allem die Hypo Real Estate Sinnbild für die hiesige Bankenrettung geworden ist.

Ein vollmundiger Finanzminister Peer Steinbrück kündigte 2008 in der Bundespressekonferenz rigides Durchgreifen an, und zwar für alle Banken, die den staatlichen Bankenrettungsschirm in Anspruch genommen hatten, der in Rekordzeit durch die deutschen Gesetzgebungsorgane gepeitscht wurde. Einher ging dieses Rettungsgesetz mit den denkwürdigen Worten des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, dass die Stimmen zur Auszahlung bereit stünden; Freud hätte nirgendwann sonst seine Freude gehabt.

Was sind aus den Versprechen, keine Boni Banker, Gehaltsdeckelung auf 500.000 € im Jahr etc. etc. geworden? Sie wurden unterlaufen, wie so oft, wenn die Politik Handlungsfähigkeit zum Schein demonstriert hat.

Facebook geht an die Börse und alle tun business as usual

Die Kursverluste treffen vor allem größere Investoren, die Kleinanleger sind spätestens seit 2008 von der Bildfläche verschwunden. Trotzdem hat der Börsenhype um Facebook und seine Ernüchterung eine starke Symbolkraft, heißt es doch an der Wallstreet, das Kasino dreht sich weiter - business as usual.

Solange die Finanzwelt im Financial District von New York City maßgeblich mitentscheidet, wer im Weißen Haus sitzt, solange das Kanzleramt Geburtstagspartys für den Chef der Deutschen Bank schmeißt, um damit das enge Band zwischen Finanzwelt und Politik zu erhalten, ist die Wiederherstellung des Primats der Politik eine Wunschvorstellung, eine Vorgaukelei für den sich immer weiter abwendenden interessierten Bürger.

Die Gegenbewegung in Form von Occupy Wall Street, die im Herbst 2011 aus dem Geist des arabischen Frühlings im Zucotti Park unweit der New York Stock Exchange entsprungen ist, muss sich weiter verfestigen. Und sie muss Zulauf finden, da die Politik, die Repräsentanten der Bevölkerungen in Wahrheit längst kapituliert und sich auf eine Restauration der Verhältnisse beschränkt haben.

Wenn es der Occupy-Bewegung gelingt, den Druck zu erhöhen, kreative Alternativvorschläge der eingefahrenen Wirtschafts- und Finanzordnungen auf den Tisch zu legen, dann muss die Politik mindestens deren Anliegen aufnehmen und einen erneuten Anlauf unternehmen, die Finanzwelt zu entmachten.

Andernfalls ist nichts weniger als globale Rezessionen und ein Ansteigen von Massenarmut die Folge. Die Finanzjongleure teilweise schon voll virtualisiert kennen kein Erbarmern mit den Bevölkerungen, sie sehen nur Rendite in Form von Algorithmen.

Eine völlige Aufspaltung von Arm und Reich wie in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits in aller Breite zu besichtigen, überzöge dann auch Europa und die restliche Welt.

Mark Zuckerberg erlaubt sich den Luxus nur noch Tiere zu essen, die er selbst gejagt und erlegt hat. Wer erlegt den Raubtier-Kapitalismus?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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