Ein stinknormales Verfahren

Anklage gegen Wulff Der Schritt der Staatsanwaltschaft Hannover zeigt, dass Wulff genauso behandelt wird wie jeder x-beliebige Beschuldigte

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Ein stinknormales Verfahren

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Eben noch der Buhmann der Nation, der mit großem medialen Tam-Tam vom Hof des Schlosses Bellevue gejagt worden ist, nun der arme Getriebene, dem das Amt, die Ehre und die Frau abhanden gekommen sind. Hinzu kommt noch die unerbittliche Staatsanwaltschaft Hannover, die akribisch jedes Dokument, jede Datei umgedreht hat, um den Anfangsverdacht der Bestechlichkeit zu erhärten.

Zugegebenermaßen ist die Reihe an Vorwürfen im Lichte der staatsanwaltlichen Ermittlungen hinweggeschmolzen. Die Medien haben sich Anfang 2012 überschlagen mit Ungereimtheiten, die soweit gegangen sind, dass ein kostenloses „Bobbycar“ von einem Autohaus als Geschenk an die Wulffs für Schlagzeilen gesorgt hat. Die Hatz gegen Christian Wulff ist ein hysterischer Medienhype gewesen, der erst mit dem Rücktritt von Christian Wulff im Februar 2012 abgeebbt ist.

Nach monatelanger Detailarbeit der Staatsanwaltschaft Hannover geht es nun noch um € 719,40. Viele Kritiker gegen das Verfahren sehen darin eine Lappalie. Jan Fleischhauer spricht auf SPON von einer „Show-Justiz“, in die Prominente gerieten, wenn Ermittler ihre Arbeit im Zusammenspiel mit den Medien inszenieren. Es mag Negativbeispiele geben, in denen die Staatsanwaltschaften für genehme Berichterstattung mit ausgewählten Medien zusammenarbeiten und gezielt mit Informationen zu Ermittlungsständen versorgen. Dennoch ist es verfehlt von einer systematischen „Show-Justiz“ gegen Prominente zu sprechen.

Christian Wulff wird behandelt wie jeder x-beliebige Beschuldigte

Im Fall Wulff trifft eher das Gegenteil zu. Er wird nicht besser oder schlechter behandelt als jeder x-beliebige Beschuldigte. Am Ende der Ermittlungen besteht ein wackliger, aber hinreichender Tatverdacht. Von einem hinreichenden Tatverdacht spricht die Staatsanwaltschaft, wenn die Wahrscheinlichkeit den Angeschuldigten in der Hauptverhandlung vom zuständigen Gericht verurteilen zu können größer ist, als dass er freigesprochen wird. Wo genau die Grenze verläuft, ist insbesondere bei Bestechungsdelikten kaum zu identifizieren.

Bei Bestechungsdelikten kommt es auf jedes Wort, jede einzelne Handlung an, um den hinreichenden Tatverdacht auch in der Hauptverhandlung zu beweisen und den Angeklagten zu überführen. Auch deswegen wirken Ermittlungsschritte mitunter abstrus, wenn z.B. eine Kellnerin gefragt wird, wer diese oder jene Rechnung bezahlt habe oder ob Zeugen an einer Hotelbar nahe genug an Christian Wulff und seinem Freund David Groenewold standen, um sich an deren Dialog von vor viereinhalb Jahren erinnern zu können oder eben nicht.

Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Hannover Anklage gegen Christian Wulff erhoben und ist somit mehr oder minder davon überzeugt, den sogenannten hinreichenden Tatverdacht vor Gericht beweisen zu können. Zuvor hat die Anklagebehörde Wulff angeboten gemäß Paragraf 153 a der Strafprozessordnung, die Ermittlungen gegen Auflagen einzustellen. Auch dieser Schritt hat wiederum für Kritik gesorgt.

Aus den sozialen Medien raunt es, Wulff wäre gedrängt worden, ein Geständnis abzulegen, obwohl er unschuldig sei. Dieser Vorwurf hält der Gesetzeslage nicht stand. Paragraf 153 a der Strafprozessordnung wird in der staatsanwaltlichen Praxis als Regelfall für eine Vielzahl von Verfahren herangezogen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wulff bestechlich gewesen ist, bietet ihm aber an, um eine Hauptverhandlung herumzukommen. Diese Norm gilt explizit für eine von der Staatsanwalt angenommene Schuld von mittlerer Art und Güte.

Wulffs Vorteil wäre gewesen, einer möglichen Vorstrafe und einer Hauptverhandlung mit noch mehr medialer Berichterstattung zu entgehen. Die Staatsanwaltschaft wiederum hätte sich eine womöglich peinliche Schlappe vor Gericht erspart.

Zwar reicht schon der Anschein der Bestechlichkeit aus – da vor allem die Lauterkeit in eine angemessen Amtsführung geschützt wird –, trotzdem gibt es bei der Sachlage doch erhebliche Zweifel, Wulff in der Hauptverhandlung die Tat im Grundsatz nachzuweisen. Da muss die Staatsanwaltschaft Hannover nun durch. Denn eines bleibt festzuhalten: Ohne Zustimmung des Beschuldigten kann die Einstellung gegen Auflagen ehedem nicht erfolgen.

Um es deutlich zu sagen: Wulff wird hier genauso behandelt wie tausende andere Beschuldigte. Er ist überzeugt, unschuldig zu sein. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, ihn überführen zu können. Im nächsten Schritt wird ein Gericht darüber entscheiden, ob aus dem Beschuldigten Christian Wulff auch ein Angeklagter Christian Wulff wird. Das Gericht nämlich muss zunächst die Anklageschrift zur Hauptverhandlung zulassen.

Wenn dieses Zwischenverfahren beendet und die Anklage zugelassen ist, muss die Staatsanwaltschaft Hannover versuchen, Christian Wulff zu überführen und seine Schuld beweisen. Letztlich ist dies alles – vom Mediengetöse einmal abgesehen – ein stinknormales Verfahren.

Vielleicht sollten die Medienvertreter, die Wulff Anfang 2012 so herzlich niedergeschrieben haben und jetzt in die andere Richtung rudern, lieber einmal in sich kehren, die Fakten betrachten und nüchtern berichten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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