Verrückt - Verrückt mit Stil!

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Kerstin und Sandra Grether und ihre Band "Doctorella" legen mit ihrem Debütalbum "Drogen und Psychologen" ein seicht-tiefsinniges Stück Popmusik vor. Die Musik ist stimmig und die Texte beschreiben Leichtigkeit, die in abwechselnden Zeilen nichts weniger als die menschliche Existenz infrage stellen. Der ernsthafte Versuch mit Popmusik eine Ebene weiter zu gehen.

"...ja wir waren uns nah und die Köpfe voller Schrot, immer wie Abschied und noch kälter als der Tod"- so schlägt es einem in dem Lied "Zwei Engel, ein Verbot" entgegen, das wohl von der Melodie und Gesang beste Lied auf der Platte. Existenz, immer wieder die Existenz, die in Nebensätzen urplötzlich zur Disposition gestellt wird.

"...ich weiß auch, dass dein Eis heut' nicht bricht..." so zu hören in dem Lied "Ich hol' dich aus dem Irrenhaus"; der in dem Irrenhaus befindlichen Person wird einfach eine "bescheuerte Paranoia" unterstellt mit der subtilen und unerfüllten Hoffnung, diese doch abzulegen, "werd' n' bisschen erwachsen". Letztlich bleibt das Verrückte, das Verrückte "mit Stil" doch das versteckte Ideal, und wieso auch nicht?

Die Grether-Zwillinge formieren sich mit Mesut Molnar am Schlagzeug und Jakob Groothoff am Bass zur Band Doctorella und haben nun mit "Drogen und Psychologen" ihr erstes Album vorgelegt. Es strotzt von einer ungeheuren Ladung an Widerspruch, es ist das Existenzielle, das Herausholen aus dem Irrenhaus sowie das Seichte "...ich pflück' dir einen Blumenstrauß", das hier in einen Musikcocktail gegossen wird - und funktioniert.

Die Klänge, die Melodien und der Gesang, sie werden im jeden Lied einer neuen Mixtur unterworfen, nie weiß man, was als nächstes passiert: so ist der Einstieg in den Song "Drogen und Psychologen" "Was mach' ich bloß an diesen Tagen, wenn ich meine Freunde nicht mehr versteh'..." durchaus mit einer Sequenz aus einem Coming of Age-Roman mittlerer Art und Güte vergleichbar und schon eine Zeile später ist die Existenzfrage wieder da "...sie amüsieren sich, während ich zugrunde geh".

Und dann wird alles zur Disposition gestellt, sowohl "Drogen" als Sinnbild alles Unvernünftigen als auch "Psychologen" als Vertreter der Rationalität. Schließlich gibt es die Antwort, die auch John Lennon schon in seinem Song "God" postuliert hat: "...I just believe in me...!"

Diese Spannung, dieser Widerspruch aus Seichtem und Existenziellem ist der Glücksfall dieses Albums. Es versucht in der Verpackung der Leichtigkeit und des Seichten durch die Hintertür Popmusik tiefgründiger zu gestalten, Gesellschaftskritik zu platzieren und zu entfalten.

So die Kritik am Konservativismus in die "Die Reichen tragen schwarz". Wenn Bertolt Brecht in seinen Werken noch vom schwarzen Herzen schrieb, so ist heute für die reichen Konservativen lediglich schwarze Kleidung noch ein Zeichen ihrer Geisteshaltung - das Herz längst ergraut. Das Gegenmittel: "Doctorella, oh gib ihnen Medizin!"

Popmusik kann schon per defintionem die Gesellschaft nicht bewegen, aber dieses Album ist der ernsthafte Versuch mit Popmusik mehr zu erreichen. Und dieser Versuch ist mehr als achtbar!

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Doctorella - Drogen und Pyschologen (Album)

erschienen bei Zick Zack/Indigo (VÖ 30.03.2012)


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Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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