Warum der Numerus Clausus abgeschafft gehört

Studium Der Numerus Clausus ist ungerecht und setzt Fehlanreize. In zu vielen Fällen hält er diejenigen vom Studieren ab, die am geeignetsten wären. Er gehört abgeschafft.

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Thorsten ist 19 Jahre alt und hat gerade seine Abiturprüfungen bestanden. Schon seit Jahren wird er in der Schule "Der Anwalt" genannt. Denn niemand kann seiner Begeisterung für Gerichte, Urteile und Strafprozesse entgehen. Während seine Mitschüler Castingshows und Soaps schauen, ist er in Anwaltsserien von "Boston Legal" bis hin zu "Good Wife" vertieft. Und das ist für den Jungen, der Bücher über Gerichtsirrtümer anstatt Vampirgeschichen liest, mehr als nur ein Hobby.

Kommt es zu Diskussionen, ist er stets der größte Rhetoriker – wortgewandt wie kein anderer. Logischerweise absolvierte er deshalb auch seine zwei Schulpraktika beim örtlichen Rechtsanwalt und dem Schöffengericht, während er in der Schule die Streitschlichter-AG initiiert und in Vorträgen das Grundgesetz erklärt. Man könnte fast meinen, dass Thorsten eine Art Inselbegabung für alles, was mit Paragraphen, Recht und Unrecht zu tun hat, besitzt – und doch wird er niemals Jurist werden können.

Es ist die gerade von ihm bestandene Abiturprüfung, die dies verhindert. Besser gesagt: Es sind die mündliche Prüfung der Biologie und sein Pech in der schriftlichen Klausur der Mathematik, die ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Mit Photosynthese und Algebra kannte er sich noch nie besonders gut aus. Nun ist sein Urteil gefällt.

Sophie ist 27 Jahre alt. Ihr Abitur schloss sie einst als Stufenbeste ab. Trotzdem wusste sie nie so recht, was sie einmal werden würde. Nach 2 Jahren der Rechtswissenschaften brach sie ihr Studium ab. Auch der anschließende Versuch Medizin oder Germanistik zu studieren brachte keinen Durchbruch. Heute studiert sie das zulassungsfreie Fach der Theaterwissenschaften – in der Hoffnung nun ihre Berufung gefunden zu haben.

Daniel ist 24 Jahre alt und studiert Medizin. Schon immer war es sein Traum eines Tages Arzt werden zu können. Nun ist er auf dem besten Weg, gilt als einer der Besten seines Jahrgangs. Doch Daniel teilt in gewisser Weise das Schicksal von Thomas. Auch sein Abitur war dank familiärer Probleme und dem damit einhergehenden Stress schlechter als erhofft. Seine Berufung wollte er deshalb jedoch nicht an den Nagel hängen.

Heute studiert er in Österreich, wo es keinen Numerus Clausus und in Ausnahmen Eignungstests vor der Zulassung gibt. Für den Medizinbegeisterten war das natürlich kein Problem. In wenigen Jahren wird er deshalb ein Spitzensteuersatzzahler sein, eine wichtige gesellschaftliche Funktion ausüben und in er Provinz seine eigene Praxis eröffnen,während in seiner Heimat Deutschland der Ärztemangel herrscht.

Fälle wie diese ereignen sich jährlich zu tausenden, verschenken Potenziale und verstärken zusätzlich oft die soziale Selektion. Nicht nur deshalb ist an der Zeit für eine Debatte, ob Alternativen zum Numerus Clausus erprobt werden sollten.

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Geschrieben von

David Gutensohn

Wurde an der Deutschen Journalistenschule ausgebildet und war freier Autor u.a. für Der Freitag. Heute arbeitet er als Redakteur bei ZEIT ONLINE

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