60 Jahre Anwerbeabkommen mit Südkorea: Lautlos und unsichtbar
Jubiläum Fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit begehen koreanische Einwander*innen das 60. Jubiläum des deutsch-koreanischen Anwerbeabkommens. Der Bergbau suchte Anfang der 1960er Jahre händeringend nach Arbeitskräften
Am 16. Dezember 1963 beschloss die Bundesregierung das Programm zur Beschäftigung koreanischer Bergarbeiter im Steinkohlenbergbau
Foto: Klaus Rose/Imago
Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des deutsch-koreanischen Anwerbeabkommens fand im Mai dieses Jahres eine außergewöhnliche Veranstaltung statt: Ehemalige koreanische Bergarbeiter und Krankenschwestern aus ganz Deutschland waren dafür in das koreanische Bergarbeiter- und Krankenschwestern Museum in Essen angereist.
Nur die Politik würdigte diesen Moment nicht: Außer es grüßten per Videobotschaften der südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol sowie dessen Außenminister und der Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, Nathanael Liminski.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, damals maßgeblich involviert in das Anwerbeabkommen, war gar nicht vertreten. Eine Ironie, wenn man bedenkt, dass der Bundesa
eblich involviert in das Anwerbeabkommen, war gar nicht vertreten. Eine Ironie, wenn man bedenkt, dass der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in Brasilien und Indien derzeit kräftig um Pflegefachkräfte für Deutschland wirbt.„Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“ brachte es der Schweizer Schriftsteller Max Frisch 1965 auf den Punkt. Vergessen wird dabei oft, dass auch Menschen aus Südkorea kamen. Trotz sechs Jahrzehnten bleibt ihre Geschichte unbeachtet und kaum sichtbar für die Öffentlichkeit. Keine Festakte, keine anerkennenden Dankesreden. Eine allumfassende museale, mediale oder auch politische Bemühung, diese Geschichte sichtbar zu machen oder die Erinnerung daran zu fördern, ist kaum erkennbar. Die Zurückweisung, diese bedeutsame Geschichte als integralen Bestandteil unserer eigenen Geschichte zu behandeln, sendet eine klare Botschaft über den Umgang mit unserer kollektiven Erinnerungskultur.Unter Tage aus schierer VerzweiflungDie Bergbauindustrie suchte Anfang der 1960er Jahre händeringend nach Arbeitskräften. Aus diesem Grund beschloss die Bundesregierung am 16. Dezember 1963 das Programm zur vorübergehenden Beschäftigung koreanischer Bergarbeiter im westdeutschen Steinkohlenbergbau. Bis 1980 kamen rund 20.000 südkoreanische Gastarbeiter in die Bundesrepublik. Die Mehrheit von ihnen hatte keine bergmännische Ausbildung – es war schiere Verzweiflung, die sie unter Tage trieb. Mein Vater zählte zu ihnen, ein Mann mit Träumen von einer blühenden Karriere im Bankwesen. Doch der Verlust seines Vaters, das vom Krieg (1950–1953) und der kolonialen Unterdrückung gezeichnete Land, zerstörten seine einst so lebendigen Träume.Am 19. Oktober 2023, behandelte der Bundestag den Antrag der Koalitionsfraktionen, der die „Deutsch-Koreanische Wertepartnerschaft stärken und zukunftsfest gestalten“ sollte. Es war unter anderem eine Würdigung der Leistung der südkoreanischen Gastarbeiter: „In der Bundesrepublik Deutschland haben 8.000 Bergleute und 10.000 Krankenschwestern und Schwesternhelferinnen, die im Zuge des deutsch-koreanischen Anwerbeabkommens zwischen 1963 und 1977 aus der Republik Korea in die Bundesrepublik Deutschland kamen, Großes geleistet.“ Der Bundestag forderte die Bundesregierung unter haushälterischen Vorgaben auf, „die menschlichen und fachlichen Beiträge der in Deutschland lebenden Koreanerinnen und Koreaner, der ehemaligen koreanischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter und ihrer nachfolgenden Generationen auch in Zukunft zu würdigen.“ Doch diese Entschließung des Bundestages verblasste unbemerkt im Schatten der Öffentlichkeit. Während zum 60-jährigen deutsch-türkischen Anwerbeabkommen vor zwei Jahren Bundespräsident Steinmeier Zeitzeugen und Nachfahren zu einem Austausch ins Schloss Bellevue lud, erhielten koreanische Zeitzeugen eine Absage. Das Auswärtige Amt, das großzügig Kulturprojekte während des 60-jährigen Jubiläums des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens unterstützte, lehnte ähnliche koreanische Kulturprojekte ab. Ganze fünf Monate benötigte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, um zu dem Schluss zu gelangen, dass für das Jubiläum keinerlei Feierlichkeiten geplant sind. Das Bundespräsidialamt gab bekannt, dass kein Festakt geplant sei. Politiker hielten Dankesreden, Festakte wurden gefeiert, und Museen kuratierten Ausstellungen zum deutsch-türkischen Leben. Die Medien berichteten Monate vor dem Jahrestag ausführlich, um diesem Jubiläum einen angemessenen Platz in der Erinnerungskultur zu verschaffen.Es herrscht eine konzertierte Ablehnung seitens Politik, Kultur und Gesellschaft gegenüber dem 60-jährigen Anwerbeabkommen mit Südkorea. So wurde Ende 2018 ein historisches Kapitel des Steinkohlenbergbaus in Deutschland nach 200 Jahren abgeschlossen: Die Schachtanlage Franz Haniel in Bottrop förderte das letzte Kohlestück zutage – ein symbolischer Abschiedsmoment. Doch in diesem bedeutungsvollen Augenblick fand der Beitrag der koreanischen Kumpel keine Erwähnung, als hätten sie niemals dort gearbeitet.Maria Böhmer, die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung bis 2013, betonte in einem Interview die Bedeutung einer starken Willkommenskultur für die Vielfalt in Deutschland und die gemeinsame Verantwortung, dieses Land gemeinsam zu gestalten und volle Teilhabe zu ermöglichen. Dennoch etablierte sie eine Politik des Ausschlusses gegenüber der koreanischen Gemeinschaft.Eine zu kleine Minderheit?Bei den ersten beiden Integrationsgipfeln 2006 und 2007 schloss Böhmer koreanische Verbände aus und begründete dies mit der Annahme, dass die Gruppe der Deutsch-Koreaner in Deutschland vergleichsweise klein sei und ihre Integration bereits weitgehend erfolgreich verlaufen sei. Ähnlich argumentierte sie in Bezug auf Deutsch-Vietnamesen (Anzahl: 83.076) und Deutsch-Chinesen (Anzahl: 75.733), die aufgrund ihrer größeren Anzahl vertreten waren. Als Böhmer 2011 den Integrationsbeirat gründete, schloss sie die Teilnahme der Koreaner mit der Begründung aus, dass der Beirat nicht mehr „handlungsfähig“ sei.Dieses Vorgehen sendet eine verheerende Botschaft an alle Minderheiten, die sich nach gleichberechtigter Teilhabe und Partizipation sehnen: In einer kleinen Minderheit zu sein, garantiert nicht die Gewährleistung fundamentaler Prinzipien eines Landes, das sich mit seinen demokratischen Werten rühmt. Die Integrationsbeauftragte Reem Alabali-Radovan, der ich bei einer Veranstaltung die Situation schilderte, versicherte mir, dass sie am 16. Dezember 2023 anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Koreaner in Deutschland gedenken wird.Das 60-jährige Anwerbeabkommen mit Südkorea markiert das letzte große Jubiläum, das diese Generation miterlebt. In zehn Jahren, wenn das Abkommen70 Jahre alt wird, werden viele von ihnen nicht mehr bei uns sein. Diese Realität ist auch dem koreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol bewusst. Im Oktober 2023 lud er 240 koreanische Bergarbeiter und Krankenschwestern nach Südkorea ein, um ihre Lebensleistung zu würdigen. Südkorea habe nicht vergessen, wem es den wirtschaftlichen Erfolg zu verdanken habe, so Suk-yeol.Bei seiner Rede gab er ihren Wert für das Land wieder: „Ihr Schweiß, Ihre Hingabe haben eine sehr große Rolle bei Koreas bemerkenswertem Weg zum Wachstum und Wohlstand gespielt. Ihr Schweiß und Ihre Hingabe sind die Grundlage für die Industrialisierung Koreas, und Ihr Leben ist verbunden mit der modernen Geschichte Koreas. Jetzt ist es an der Republik Korea, den Bergarbeitern und Krankenschwestern zu danken und sie zu ehren. Wir werden Ihren Schweiß und Ihre Aufopferung im Namen der Nation ehren und für immer in Erinnerung behalten.“ Trotz dieses bedeutsamen Ereignisses findet dieses historische Treffen in unserem Land keinerlei Erwähnung, als ob es kein Teil der deutschen Geschichte wäre.Kein Teil deutscher GeschichteEin Land, das seine eigene Geschichte, einschließlich der Geschichte der südkoreanischen Gastarbeiter, ignoriert, riskiert, in der Gegenwart blind zu sein, wie einst von Bundespräsident Richard von Weizsäcker angemerkt bei der Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa am 8. Mai 1985 in Bonn – ein Gedanke, der heute genauso relevant ist wie damals.Deutschland ist noch nicht am Punkt, alle Einwandernden willkommen zu heißen und gleichberechtigt zu integrieren. Solange die Geschichte der südkoreanischen Gastarbeiter nicht als untrennbarer Teil der deutschen Geschichte angesehen wird, solange wird Deutschland nicht in der Lage sein, die Prinzipien eines Einwanderungslandes in die Tat umzusetzen.
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