Die Entmündigung der Bürger hat begonnen!“ So warnte Alice Weidel 2016. Anlass für die Sorge der AfD-Politikerin waren Überlegungen der Europäischen Zentralbank (EZB), den 500-Euro-Geldschein abzuschaffen. Weidel argwöhnte, die EZB habe mit der Teilabschaffung „unseres Bargelds“ bereits „still und heimlich“ begonnen und 500-Euro-Scheine im Wert von zehn Milliarden Euro vernichtet.
Den Kampf um das Schein- und Münzengeld hat sich die AfD seit fünf Jahren auf die Fahnen geschrieben. 2019 stellte sie die Forderung auf, den Schutz des Bargeldes – das insbesondere von der EZB, bedroht werde – im Grundgesetz zu verankern. Dabei wandelte sich die Argumentation: Statt länger vor einer Entmündigung durch die Digitalisierung der Bezahlung zu warnen, appellierte sie an die Selbstbestimmung: „Bargeld ist gedruckte Freiheit.“
Die wahre, bare D-Mark
Geld als Instrument der Freiheit – diese Idee ist nicht neu, formuliert wurde sie etwa vom neoliberalen Vordenker Friedrich August von Hayek (1899 – 1992). Mit Ludwig Erhard ging sie in den deutschen Ordoliberalismus ein. Der Slogan des Bargelds als Freiheitspfand lässt sich als Echo auf den Nachkriegsliberalismus lesen.
Es ist also eine liberale Tradition, an die die AfD anknüpft. Das verwundert nicht: Schon zu ihrer Gründung im Februar 2013 fokussierte sie als Anti-Euro-Partei auf das Finanzielle. Die angekündigte „Alternative“ war von Anfang an keine zur neoliberalen Wirtschaftsordnung; die Partei wollte letzterer lediglich einen nationalstaatlichen Zuschnitt geben. Der marktradikale Teil der AfD, heute im Richtungskampf mit dem rechten Flügel befindlich, verfolgt in der blauen Bargeldpolitik eine ähnliche Rhetorik wie in ihrer Anti-EU-Argumentation: Diagnostiziert wird ein Verlust an finanzieller Souveränität, die nun wiedergewonnen werden soll. Die Zinspolitik der EZB ist das beste Beispiel. Eine Abschaffung des Bargelds würde einer Einführung von Minuszinsen den Weg ebnen, denn ohne Bargeld, so die Argumentation, fiele die Gefahr weg, dass die Bankkunden ihr Sichtguthaben jederzeit abheben und privat unter dem Kopfkissen horten können. In einer bargeldlosen Gesellschaft, so die Befürchtung, könnten private Guthaben dem System und dadurch dem Zugriff der Negativzinsen nicht mehr ohne Weiteres entzogen werden.
Nun wollen die anderen Parteien das Bargeld aber gar nicht als gesetzliches Zahlungsmittel abschaffen, wie die AfD suggeriert. Einschränken hingegen wollen die Zentralbanken und die Privatwirtschaft den Gebrauch der Scheine und Münzen durchaus. Es bleibt also die Sorge, dass die Politik dem steigenden Druck auf längere Frist nicht standhalten wird. Die AfD nutzt diese Gemengelage, um Bargeld als individuelle Freiheitsgarantie ins Feld zu führen – und sich so wieder einmal als Partei der deutschen Souveränität zu profilieren.
Auch die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) forderte während des Wahlkampfs 2019, das Bargeld verfassungsrechtlich stärker zu verankern. „Der Einsatz von Bargeld“, so Kanzler Sebastian Kurz, sei für viele „eine Grundbedingung für ein selbstbestimmtes Leben.“ Die Sache ist nur: Es taugt gar nicht für diese Versprechen. Das Gegenteil ist eher der Fall.
Für die meisten Bürger, die die AfD anspricht, ist vielmehr elektronisches Buchgeld – also ein Konto bei einer Bank – die Voraussetzung für ein freies und selbstbestimmtes Leben. Ohne Konto keine Wohnung, Arbeit oder Versicherung. Erst Banken eröffnen Zugang und Teilhabe am sozialen Leben. Kunden mögen Buchgeld zwar imaginär wie Bargeld behandeln; Gehalt, Miete, Krankenkasse, Steuern oder Kredite, die das Leben regeln, existieren aber nicht als Bargeld, das nur einen Bruchteil des Geldumlaufs darstellt. Warum wird dann so viel darüber gesprochen?
Die Finanzkrise 2008 hat gezeigt, wie umkämpft Geld ist. Im Zuge niedriger Zinsen und fehlender Regulierung hatten Buchgelder einen spekulativen Finanzsektor hervorgebracht, der – obwohl mit abstrakten Beträgen in schwindelerregender Höhe operierend – sich als mit der Alltagsökonomie aufs Engste verkoppelt erwiesen hat. Sämtliche Schritte der Zentralbanken, die dann zur Stützung ihrer Währungen und ihrer Volkswirtschaften unternommen wurden, sind der AfD hochsuspekt: quantitative Lockerung und Ankaufprogramme von Anleihen, Zinssenkungen bis zu Negativraten. Mit ihrem Vorstoß zum Schutz des Bargeldes versucht die Partei nun, ebensolches als einfaches Zahlungsmittel ins Zentrum zu rücken und das abstrakte Thema des europäischen Finanzwesens in eine konkrete, alltagstaugliche Sphäre einzubinden. Ganz gezielt bemüht sich die AfD darum, die sehr speziellen und teils obskuren Affekte zu mobilisieren, die mit dem baren Geld verknüpft sind. Nicht ohne Erfolg: Denn obwohl der „einfache Bürger“ gar nicht so viel Freiheit mit seinem Bargeld erkaufen kann, hängen die Deutschen im Vergleich mit anderen Nationen sehr an den Scheinen und dem Münzgeld.
Wer unter der Abschaffung des Bargelds aber am meisten leiden würde, geradezu existenziell betroffen wäre, ist gerade jene Gruppe, deren Interessen die AfD nicht gerade vertreten möchte: ausgegrenzte und benachteiligte, vor allem geflüchtete und migrierte Menschen. Wo der Zugang zu digitalen Geldinfrastrukturen Auflagen unterliegt und sanktioniert ist, bleibt eine anonyme und lokal einsetzbare Währung für sie unabdingbar für Bewegungsfreiheit und Lebensunterhalt. Das heißt aber, dass man sich zum Schutz jener Menschen für den Erhalt des Bargelds starkmachen muss, die die AfD mit ihrer rassistischen Politik ausgrenzt.
Und wie verhält es sich mit dem anderen großen Thema der Debatte: der Frage der Überwachung und Kontrolle, die nicht nur Ausgegrenzte, sondern alle betrifft?
Zunächst einmal ist es eine Illusion, Geldflüsse einfacher Bürger seien derzeit nicht kontrolliert. Da Geld auch jetzt schon hauptsächlich als Buchgeld kursiert, unterliegt es bereits der Kontrolllogik elektronischer Daten. Diese Kontrolle nimmt zu, da die Digitalökonomie sich als Koproduktion von Konzernen und Staaten entwickelt, die ein Interesse an der Kontrolle von Daten teilen. Doch bedeutet das Festhalten an Münzen und Scheinen im Gegensatz dazu „Freiheit“? Eine Freiheit, die darin liegt, dass Banken bei bestimmten finanziellen Interaktionen als Mittler und Wächter umgangen werden und dass Geldwäsche ohne großen Aufwand möglich ist, lohnt wohl kaum, auf diesen Begriff gebracht zu werden. Zumal Geldwäsche und Schwarzmarkt auch ohne Bargeld möglich sind. Ein Beispiel liefert Margaret Atwoods Roman Der Report der Magd (1985), in dem eine theokratische Diktatur herrscht, die das Bargeld abgeschafft hat. Der Überwachung zum Trotz gibt es in dieser bargeldlosen Welt für kleine und gern geheim gehaltene Laster und Freiheiten wie Alkoholkonsum und Ähnliches einen florierenden Schwarzmarkt: über den Tauschhandel.
Nischen der Anonymität
Was Bargeld in der digitalen Kontrollgesellschaft offenhält, sind höchstens kleine Nischen der Anonymität – die womöglich nicht zu unterschätzen sind. Für Arme und Nicht-Registrierte ist Bargeld gerade aufgrund dieser Anonymität als Zahlungsmittel wesentlich. Für alle anderen mag diese Bargeld-Funktion angesichts einer mächtigen, sich weiter ausbreitenden Digitalökonomie eher symbolisch sein: Wesentliche Daten der Geldflüsse, einschließlich der daraus errechneten Scores und Prognosen, werden bereits jetzt, trotz Bargeld, erfasst.
Statt über Abschaffung und Beibehaltung von Münzen und Scheinen zu diskutieren, könnte sich die Debatte auch verschieben – hin zu einem Nachdenken über Datenschutzmechanismen für neue Währungs- und Geldformen, die auch digital sein werden. Entscheidend ist, inwiefern sie der Kontrolllogik und Privatisierung des elektronischen Gelds entgehen und ob es gelingt, neue Formen ökonomischer Interaktionen einzuführen, die mit den marktliberalen Dogmen und einer möglichst reibungslosen Zirkulation der Geldströme brechen. Nimmt man die Frage der Freiheit in diesem Kontext ernst, kann dies aber nur heißen, bei den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Ausgegrenzten und Armen anzusetzen.
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