Am 16. Oktober 2017, um 14.35 Uhr, veröffentlicht Daphne Caruana Galizia ihren letzten Blogeintrag. 23 Minuten später wird sie auf dem Weg zu einem Banktermin mit einer Autobombe ermordet. Der kurze Post, der am Ende ihrer über drei Jahrzehnte langen journalistischen Karriere steht, schließt mit den Worten: „Betrüger, wohin man blickt. Die Situation ist zum Verzweifeln.“
Wer die maltesische Journalistin umgebracht hat, ist auch ein halbes Jahr nach der Tat unbekannt. Die Hinweise, die dem internationalen Ermittlerteam vorliegen, deuten auf polizeibekannte Auftragsmörder hin. Fest steht auch: Eine Journalistin wird nicht ermordet, wenn es nicht jemanden gibt, der sie ruhigstellen will.
Die 53-jährige Reporterin befand sich mitten in einer langfristigen Recherche über Korruption unter hochrangigen Politikern, darunter ein amtierender Minister und der Stabschef des Premiers. Mit ihren Anstrengungen war sie vielen Mächtigen auf Malta ein Dorn im Auge. Bis zu ihrem Tod arbeitete sie daran, illegale Verbindungen zwischen Regierungsangehörigen und Panama-Firmen zu beweisen.
Jetzt hat eine gemeinnützige Organisation das Daphne Project ins Leben gerufen, das sicherstellen soll, dass die Geschichten, derentwegen sie wohl sterben musste, nicht ungeschrieben bleiben. „Wenn eine Journalistin ermordet wird“, schreibt Laurent Richard, der Gründer der Plattform, „dann wird ihre Arbeit zu unserer.“ Das Prinzip dahinter ist zutiefst demokratisch: Wer eine Stimme zum Schweigen bringt, muss sich im Gegenzug auf ein Vielfaches an Stimmgewalt gefasst machen. Statt einer Journalistin arbeiten jetzt 45 an dem Projekt. Insgesamt sind 18 große Medienhäuser beteiligt, darunter der Guardian, die New York Times, Le Monde und die Süddeutsche Zeitung. Der Mord an einer Reporterin darf nicht mit medialer Stille belohnt werden.
Auf forbiddenstories.org, der Webseite der Initiative, können Journalisten, die heikle Investigationen führen, ihr Material verschlüsselt sichern. „Falls Ihnen etwas zustoßen sollte“, schreiben die Koordinatoren, „sind wir in der Lage, Ihre Arbeit fortzusetzen und über unser Netzwerk international zu verbreiten.“ Was sonst ein paar tausend Menschen lesen würden, erhält so über Sprach- und Landesgrenzen hinweg die Aufmerksamkeit von Millionen.
Immer wieder geraten Journalisten ins Fadenkreuz unsichtbarer Hinterleute. Im Februar wurde der slowakische Investigativreporter Ján Kuciak in seinem Haus erschossen, nachdem er Nachforschungen über Mafiabeziehungen von Spitzenpolitikern angestellt hatte. Im Fall der amerikanischen Kriegskorrespondentin Marie Colvin, die 2012 im syrischen Homs ums Leben kam, haben die Anwälte der Familie jüngst Unterlagen beim zuständigen Washingtoner Gericht vorgelegt, die belegen sollen, dass Colvin gezielt von Assad-Streitkräften ermordet wurde.
Die Arbeit von Caruana Galizia, Kuciak und Colvin wurde gewaltsam unterbunden. Die Antwort des Daphne Project lautet, dass „unterbrochen“ das bessere Wort wäre: Ihre Fortsetzung erfolgt täglich, nicht nur in Malta. Denn auch wenn die Situation zum Verzweifeln sein mag – wenn Journalisten ermordet werden, darf das letzte Wort nicht gesprochen sein.
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