Des Knaben Wunderhorn

Tschechien Über den Tycoon Daniel Křetínský weiß man nur, dass er sich überall einkauft. Zu welchem Zweck?
Ausgabe 41/2019
Der tschechische Unternehmer Daniel Křetínský im September 2019 in Paris
Der tschechische Unternehmer Daniel Křetínský im September 2019 in Paris

Foto: Imago Images/IP3press

Der Milliardär Daniel Křetínský (44) ist selbst in seinem Land ein wenig bekannter Mann. Der scheue Investor besitzt Gasleitungen und Kraftwerke in ganz Europa. Mit dem Aufkauf des Lausitzer Braunkohlereviers ging er eine Riesenwette gegen die deutsche Energiewende ein: Noch wird die billige Braunkohle gebraucht. Und falls die Politik die Tagebaue vorzeitig stilllegt, kassiert Křetínský hohe Entschädigungen.

Spätestens seit er sich gegen den Widerstand der Redaktion in das französische Weltblatt Le Monde eingekauft hat, würde man gern mehr über ihn wissen. Křetínský beteuert, er wolle die klassische Presse gegen die US-Internetgiganten stärken, für französische Journalisten ist er aber bestenfalls „der Junge, der Gas roch“, schlimmstenfalls „der böse Tscheche“. Sucht er mit dem Kauf mehrerer Zeitschriften nicht mediale Deckung für seinen Einstieg ins französische Energiegeschäft? Interessiert ihn an Le Monde bloß der Gewinn aus dem Verkauf des alten Redaktionsgebäudes? Aber warum hat er dann eine konservative Souveränistin an die Spitze des Magazins Marianne gesetzt? Kein politisches Bekenntnis?

Selbst wer tschechische Blätter liest, findet fast nichts über Křetínskýs Wurzeln und Antriebe. Ich verbringe daher einen Halbtag an der Juristischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn. Auch weil das tschechische Verfassungsgericht in dieser Stadt sitzt, ist diese Fakultät bedeutend. Křetínskýs Mutter (67) lehrt römisches Recht, und ihr Sohn hat hier mit solchem Erfolg studiert, dass er für seine Magisterarbeit einen Doktortitel bekam.

Das Gebäude ist ein respektgebietender Solitär. Marmor und Klinker, hohe lichtdurchflutete Räume, die vier Tische der Cafeteria werden zusätzlich von 13 Lampen bestrahlt. Ich lese Křetínskýs tschechische Blätter Blesk und Reflex, politisch uninteressanter Boulevard. Sparta Prag, ebenso in Křetínskýs Besitz, hat schon wieder verloren, noch dazu ein Prager Derby. Warum pumpt er da Geld rein? Interessiert er sich nicht eigentlich mehr für Lucas Cranach als für Sport?

Ich gehe ins Büro von Markéta Selucká. Die forsche Blondine im rosa T-Shirt war Dekanin, wollte einen von Křetínskýs finanzierten Lehrstuhl für „Energierecht“ einrichten und wurde wohl auch deswegen abgewählt. Der akademische Senat fürchtete um die Unabhängigkeit der Forschung. „Sich für Geld verkaufen“, erklärte mir ein Senatsmitglied, „das ist mir in der Seele zuwider“. Selucká vermutet hinter dem Widerstand den „tschechischen Neid“ und den „kommunistischen Einfluss“. Sie äußert sich radikal wirtschaftsliberal, „wir müssen die Studenten in die Praxis kriegen“, sogar Ex-Präsident Václav Klaus ist für sie „ein Linker“.

180-Kilometer-Flug

Ich frage sie, ob es stimmt, dass Křetínský kalt ist. „Das würde ich gerade nicht sagen“, sagt sie, „zu mir war er herzlich. Er ist kultiviert, intelligent, schlau. Er weiß, was er will.“ Er habe sein Uni-Investment so lange mit ihr besprochen, dass sein Privatflieger fast den Timeslot nach London verpasst hätte. „Jeder andere hätte erbost auf den Widerstand hier reagiert, er aber unterschrieb.“ – „Hat er die dickere Haut?“ – „Nein, er ist fähig, sich über Engherzigkeit zu erheben.“

Ich erfahre über den Brünner, dass er längst Prager geworden ist. Zur Präsentation des Energierecht-Projekts ließ er sich indes nach Brünn einfliegen. Ich: „Moment, er ist die 180 Kilometer von Prag geflogen?“ Selucká: „Kennen Sie die Autobahn D1?“ Ob aus Křetínskýs Lehrstuhl noch was wird, vermag die abgewählte Dekanin nicht zu sagen. Auch sie hat keine Ahnung, was er mit der französischen Presse will.

Später gehe ich in die Aula, zum „Treffen der akademischen Gemeinde mit der Fakultätsleitung“. Vorn hängt ein Riesengemälde: Dutzende auf Wellen und Wolken reitende Ärsche, die Justitia muss man suchen. Die Decke ist eine Lichtfläche mit Zitaten tschechischer Granden. Von Masaryk dieses: „Die tschechische Frage ist eine Frage nach dem Schicksal der Menschheit.“

Die reglosen Mimiken des Mittelbaus gereichten Porträtmalern zur Freude. Trotz Prisen tschechischen Humors sind die Reden langweilig. Der neue Dekan kündigt an: „Ich stehe dem reserviert gegenüber, aber wir müssen eine Überwachung einführen, wer hier was macht.“ Dann erwähnt er noch „Affären“ erfolgreicher Absolventen, die nicht dem guten Ruf des Hauses dienen. Namen nennt er keine.

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