Stellen Sie sich einen dunklen, kalten Raum vor. An der Wand ist ein Schalter. Den legen Sie um – und es wird hell und wohlig warm im Raum. Ihr knipsender Finger ist Heroin und der Raum Ihr Körper. Das Opiat wirkt krampflösend, sedierend und befreit für eine Zeit von körperlichem wie psychischem Schmerz. Nach rund sechs Stunden lässt die Wirkung nach, das Licht wird gedimmt, bis es wieder dunkel und kalt ist. Der Raum aber bleibt unverändert zurück.
Ein anderes Mal tippen Sie nicht auf den Schalter, sondern Sie öffnen die Tür – und eine Horde feierwütiger Hools stürmt hinein. Sie reißen die Fenster auf, beschmieren die Wände, kotzen in die Ecke und zerlegen das Sofa – um dann einfach abzuhauen. So wirken Amph
irken Amphetamine wie Kokain – und auch der Alkohol. Dieser beschädigt in jeder Dosierung Zellen. Konsequent ist er als Nervengift klassifiziert, Heroin hingegen ist ein Arzneimittel.Wie bitte? Ja, genau. Mit Heroin ist viel Leid verbunden. Es gibt Süchtige, es sterben Menschen. Doch genau hier müssen wir innehalten. Die Substanz ist nicht schuld an den Toten. Es ist die Politik.Heroin ist nicht das „H“ der StraßeHeroin gehört zur Familie der Opioide, das schließt alle Opiate und ähnliche synthetische Stoffe ein. Opiat ist nicht gleich Opiat: Schlafmohn-Milch enthält 40 Alkaloide, aus denen diverse Opiate gewonnen werden können, etwa Morphin, Kodein oder Thebain. Als potenteste Schmerzmittel sind Opiate aus der Medizin nicht wegzudenken. Das gilt auch für Heroin. 1887 vom Aspirin-Entwickler Felix Hoffmann als bekömmlicher Morphin-Ersatz synthetisiert, wurde es von Bayer in alle Welt geliefert – bei Atemwegserkrankungen, in der Geburtsanalgesie, bei psychiatrischen Leiden und vor Narkosen. Etwas anderes ist „H“ – „eytsch“ –, das „Heroin“ des Schwarzmarkts. Beim reinen Heroin macht die Dosis das Problem: Bei mittlerer Überdosierung entstehen die Rausch- und Suchteffekte, um die es beim Straßenkonsum geht. Eine starke Überdosis ist tödlich; der Körper wird zu Tode „beruhigt“. Aber noch einmal: Im Grunde verlässt es ihn wie vorgefunden. Jene Körper-Wracks, die man mit „Heroin“ verbindet, werden nicht von Hoffmanns Stoff – einem Diamorphin – verursacht. In einer Dosis H macht dieses oft nur fünf Prozent aus. Das Gefährliche ist politischer Natur: ungesundes Leben in einer kriminalisierten Schattenwelt und das Gepansche des Schwarzmarkts: Ein Pack ist fast wirkungslos, das nächste tödlich. Zudem sind da die Streckmittel. Neben Koffein ist das hierzulande oft Paracetamol, das im Übermaß Leber und Nieren schwer angreift. Jüngst finden sich aber auch Spuren von Fentanyl.Und das bringt neuen Alarm. Denn das synthetische Opioid – viel billiger als Heroin, aber sehr viel potenter, also noch schwieriger zu dosieren – gemahnt an die aktuelle Opioid-Krise der USA: alle fünf Minuten eine tödliche Überdosis. Doch darf dieses Inferno nicht falsch gedeutet werden. Es ist politischer Natur. Erst wurden Opioide wie Fentanyl und Oxycodon zu schnell ohne Betreuung verschrieben und dann zu plötzlich abgesetzt. Das trieb viele auf den Schwarzmarkt. Inzwischen bekommen auch Menschen mit starken Schmerzen keine Opioide mehr. Also versorgen auch sie sich selbst – oder leiden. Weil die Politik nicht versteht, dass die Substanz nicht das Problem ist. Noch scheint uns das fern. Das Stigma herunterdosieren Dennoch sollte das Auftauchen von Fentanyl auf dem Schwarzmarkt zum Überdenken unserer Heroinpolitik führen. Die besteht in der scharfen Kriminalisierung der Substanz – und der Substitution durch Methadon: Man macht von einem schwächeren Opioid abhängig, was viele weiter zum Straßen-H treibt. Wegen der extremen Stigmatisierung von Heroin ist dessen therapeutische Abgabe sehr heikel und selten. Dabei wäre das wohl besser.Einfach ausknipsen lässt sich das „Heroinproblem“ nicht. Doch sieht man es als ein politisches, muss es auch so bearbeitet werden. Es geht darum, das Stigma herunterzudosieren. Dann würde zweierlei denkbarer: eine Entkriminalisierung des Straßenkonsums wie in Portugal, die Druck von den Süchtigen nimmt – und flächendeckende Checks der Schwarzmarktsubstanz, wodurch die akute Gefahr erheblich sänke.Placeholder authorbio-1