Die Kraft der violetten Welle

Spanien Lebt in diesem Land die Avantgarde des Feminismus? Jedenfalls gingen dort am Weltfrauentag so viele Menschen auf die Straße wie sonst nirgends in Europa
Die anstehenden Parlamentswahlen werden eine Arena der Frauenbewegung sein
Die anstehenden Parlamentswahlen werden eine Arena der Frauenbewegung sein

Foto: Pau Barrena/AFP/Getty Images

Allein in Madrid und Barcelona demonstrierten am 8. März insgesamt rund eine halbe Million unter dem Motto „Wir haben 1.000 Gründe“. Die Beteiligung am feministischen Generalstreik, der im Gesundheits- und Bildungswesen besonders massiv ausfiel, bezifferten die Gewerkschaften auf sechs Millionen Frauen. Die Parolen der Mobilisierungen richteten sich gegen häusliche Gewalt und waren für weibliche Ermächtigung: „Wir sind nicht alle da, es fehlen die Umgebrachten.“, „Wenn sie eine berühren, berühren sie uns alle.“, „Die Straße, die Nacht, sie gehören auch uns“, um nur einige zu nennen.

Dass sich dabei das rechte Lager – die Rechtspopulisten von VOX und die konservative Volkspartei PP – vom Streik absetzten und die Demonstrationen als „ideologisch“ brandmarkten, weil sie zur „Spaltung zwischen Männern und Frauen“ ermutigen, trieb wahrscheinlich nur noch mehr auf die Straße.

Tatsächlich dürfte der konservative Backlash, den Spanien derzeit erlebt, für den durchschlagenden Erfolg des Weltfrauentages mitverantwortlich sein. Zwar ist im Land die Kultur des Machismo nach wie vor stark verankert, doch sie bröckelt. In Spanien ist jeder Frauenmord – 2018 waren es 47 – ein öffentlicher Skandal. Und das obwohl es im EU-Vergleich in den skandinavischen Ländern, auch in Deutschland, weit mehr Femizide gibt.

Die marea violeta (violette Welle), wie sie hierzulande heißt, zeichnet sich geradezu durch ihr querschnittartiges Profil aus. Am 8. März waren Mütter, Großmütter, Töchter und Enkelinnen, Hausfrauen, Studentinnen und Schülerinnen, Journalistinnen und Politikerinnen auf den Straßen. Nicht alle sind Vollblutaktivistinnen. Aber die neue feministische Sensibilität beschränkt sich keinesfalls auf linksalternative Milieus. Wenn Rechtspopulisten despektierlich von „Feminazis“ reden, die angeblich den Mann unterdrücken und die Familie niederreißen möchten, so manövrieren sie sich – zumindest in dieser Frage – selbst ins Abseits.

In Spanien liegt der mehrheitliche Konsens woanders: Frauenrechte müssen gestärkt, erfochtene Meilensteine wie etwa die Möglichkeit, straffrei abzutreiben, verteidigt und die Gleichberechtigung vorangetrieben werden. „Dass sich sogar Anna Botin, die Chefin der Großbank Banco Santander, zum Feminismus bekennt, finde ich ausgezeichnet. Das heißt, dass ein kritisches Bewusstsein um sich greift“, fasst es die Schriftstellerin (und feministische Pionierin) Rosa Montero zusammen.

Einst gegen Franco

Gründe für die Stärke des spanischen Feminismus gibt es viele. Einerseits schlägt die Frauenbewegung tiefe historische Wurzeln, und zwar bis in die 1970er Jahre hinein, als sie mit dazu beitrug, die Diktatur Francos zu Fall zu bringen. Auch wenn deren reaktionäres Gemisch von Nationalkatholizismus und Patriarchalismus tiefe Spuren hinterlassen hat. Bis vor gar nicht so langer Zeit gab es in Spanien Frauen, die kaum lesen und schreiben konnten, die treue Gattinnen, zärtliche Mütter, fleißige Hausfrauen und weiter nichts zu sein hatten.

Heute freilich ist vieles anders. Es gehört zu den positiven Nebeneffekten der Wirtschaftskrise, die Spanien seit 2008 erfasst hat, dass die Gesellschaft in Bewegung geraten ist. Stabile Wertvorstellungen von einst wurden brüchig. Dabei kann sich die spanische Frauenbewegung besonders auf eines stützen: Die Bevölkerung hat die Angst vor dem Wandel verloren, es wird nach neuen Rollenbildern gesucht.

Dass der Feminismus gerade jetzt, vor den Generalwahlen am 28. April, die öffentliche Debatte aufwirbelt, dürfte sich noch als wegweisend erweisen. Keine der (männlichen) Parteispitzen, weder Liberale noch Sozialisten oder Linke, werden den Feminismus für sich vereinnahmen können. Doch fast alle werden darauf Bezug nehmen, um nicht von den Wählerinnen abgestraft zu werden. Die kommenden Wahlen, sie werden nicht die letzte Arena der violetten Welle gewesen sein.

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Geschrieben von

Conrad Lluis Martell | conrad lluis

Forscht zur Bewegung der indignados (Empörte) und ihren Auswirkungen auf Spaniens Politik und Gesellschaft, lebt in Barcelona, liebt den Bergport.

conrad lluis

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