Thomas Leif: Woran liegt es, dass das Thema Armut in der Politik eher ein Randthema ist?
Prof. Dr. Stefan Sell: Wir haben in den 1990er Jahren in der ganzen westlichen Welt den Siegeszug des Neoliberalismus erlebt. Der geht damit einher, dass man alles in der Gesellschaft privatisiert. Man privatisiert nicht nur staatliche Unternehmen, sondern auch Arbeitslosigkeit und Armut. Die wird auf den einzelnen zurückgeführt. Jeder ist seines Glückes Schmied – oder eben seines Unglückes – und dafür selbst verantwortlich. Das hat sich in unseren Köpfen mittlerweile so tief verankert, dass es gar nicht mehr infrage gestellt wird. Es gibt Untersuchungen, bei denen man Menschen gefragt hat: Gegen welche Gruppen habt ihr ausgeprägte Vorurteile? Ich hätte angenommen, dass beispielsweise gegen Sinti und Roma oder Asylsuchende Verachtungsgefühle vorgetragen werden. Diese Studien haben aber gezeigt, dass an allererster Stelle, sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands, die Langzeitarbeitslosen stehen. Noch vor Asylbewerbern und Sinti und Roma.
Wie erklären Sie sich das?
Eine Hypothese geht davon aus, dass man zumindest bei Erwachsenen die Vorstellung hat, dass sie an ihrer Langzeitarbeitslosigkeit im Prinzip selbst Schuld sind. Wenn sie sich nicht so verhalten würden, wenn sie nicht so viel trinken würden, dann hätten sie eine Chance, eine Arbeit zu bekommen. Und deswegen ist zum Beispiel die Kinderarmut von Hartz-IV-Empfängern für die Politik ein rotes Tuch. Denn bei Kindern fällt es deutlich schwerer zu sagen: Ihr seid selbst schuld.
Es heißt ja immer: Auch arme Kinder haben die Möglichkeit, über Bildung aufzusteigen.
Leider ist der Einfluss des Familienhintergrunds auf den Bildungserfolg – im Positiven wie im Negativen – nirgendwo in Westeuropa so ausgeprägt wie in Deutschland. Das bedeutet, dass es mit dem Aufstieg durch Bildung gerade in den wirtschaftlich schwachen Haushalten leider nicht weit her ist. Vor allem dann nicht, wenn die Eltern nicht über die kognitiven Ressourcen verfügen, ihre Kinder in der Schule besonders zu unterstützen. Nicht weil sie es nicht wollen, sondern schlichtweg weil sie es nicht können. Zudem transportiert das Schulsystem in Deutschland eine Menge Lernaufgaben in die Familien. Man denke nur an die Hausaufgaben.
Der größte Konsens bei allen Parteien und Experten besteht darin, dass Kinderarmut bekämpft werden muss. Was folgt aus diesem generellen Konsens?
Man muss zur Kenntnis nehmen: „Kinderarmut“ als solche gibt es gar nicht, es handelt sich immer um eine abgeleitete Armut der Eltern. Deshalb kann man Kinderarmut auch nicht isoliert angehen, das muss scheitern. Wir erleben, ich muss es so deutlich sagen, eine Hierarchisierung der Not und damit der Hilfebedürftigkeit – ob bewusst oder unbewusst. Das geht sogar bis hin zu den Kirchen. Bei Pflegebedürftigen oder Behinderten kann man eine große Empathie feststellen, ein großes Interesse zu helfen und sich für die Betroffenen einzusetzen. Aber ganz unten stehen die Langzeitarbeitslosen, für deren Belange sich nur wenige wirklich engagieren wollen.
Gibt es auch eine Hierarchie beim Konfliktthema Armut?
Es gibt auch eine Hierarchie der Armut. Die Mehrheit der Bevölkerung hat ganz klare moralische Vorstellungen, denen zufolge es "gute" Arme und "schlechte" Arme gibt. Entlang dieser moralischen Unterscheidung verteilt man dann auch die Hilfsbereitschaft.
Wer gehört zu den "guten" Armen?
Illustrieren wie das mal an einem Beispiel: Zu den als "gute" Arme kategorisierten Menschen gehören die mehreren hunderttausend alleinerziehenden Frauen, die Hartz IV beziehen und sich nichts leisten können. Viele würden hier noch sagen, dass das eigentlich nicht geht: Schließlich haben diese Frauen doch ein Kind oder sogar mehrere und nur deswegen leben sie jetzt in Armut. Dagegen muss man etwas machen.
Die "schlechten" Armen, das sind die, von denen man glaubt oder denen man zuschreibt, sie wären selbst verantwortlich für ihre Situation oder sie seien faul und wollten nicht arbeiten gehen und so weiter.
Und dann gibt es noch die Armen, die man nicht sieht, etwa die verschämte Armut unter alten Menschen.
Leider ist das so. Die Altersarmut ist ein sozialer Sprengstoff, der jetzt auf unserem Weg in die Zukunft vor uns liegt. Die Altersarmut entspringt schlicht den vielen Rentenreformen, die Anfang des Jahrtausends von der Politik durchgezogen wurden, vor allem der Absenkung des Rentenniveaus. Das alte Rentensystem war im Grunde eine Erfolgsgeschichte. Deswegen haben wir – noch – die niedrigste Altersarmut in der Geschichte unseres Landes, aber sie steigt von Jahr zu Jahr. Doch viele von denjenigen, die in den 1970er und 1980er Jahren unstete Erwerbsbiografien – oft arbeitslos, gering bezahlt – hatten, kommen alle erst noch in den Rentenbezug. Und diese Renten werden definitiv alle unter Hartz-IV liegen.
Wenn die Lage so drängend ist, warum bewegt sich so wenig?
Einmal weil Armut ein Verlierer-Thema ist. Ich mache das an einem Beispiel deutlich: Die Politiker, und das ist gar kein Vorwurf, haben eine sehr genaue Vorstellung, wer sie wählt und wer überhaupt wählen geht. Am Beispiel von Städten können wir zeigen, dass die wahlbeiteiligung in den Stadtteilen, die wir als soziale Brennpunkten bezeichnen und in denen die Armen leben, mittlerweile bei unter 20 Prozent liegt. In den guten Mittelschichtsstadtteilen liegt sie hingegen bei über 60 oder 70 Prozent. So etwas weiß ein Politiker und sagt sich: Warum soll ich mich dafür einsetzen, wenn die Leute noch nicht mal zur Wahl gehen? Aus seiner Sicht ist es völlig rational, seine Anstrengungen auf die Teile unserer Gesellschaft zu fokussieren, deren Wahlbeteiligung überdurchschnittlich hoch ist. Das gleiche Problem haben wir hinsichtlich der Generationen. Denn die Älteren werden nicht nur immer mehr, sie gehen auch überdurchschnittlich häufig zur Wahl, während das bei den Jüngeren genau anders herum läuft. Sie werden immer weniger und gehen nur unterdurchschnittlich oft zur Abstimmung. Zumindest teilweise bestimmt das dann auch politische Entscheidungen derjenigen, die (wieder)gewählt werden wollen.
Das heißt, die Armen kann man als Wählerpotenzial im Grunde abschreiben?
Richtig. Sie werden abgeschrieben, weil sie sich – aus welchen Gründen auch immer – tatsächlich auch nicht so sehr am politischen Willensbildungsprozess beteiligen. Und es gibt ja auch kaum noch Stellvertreter, die wirklich für Arme sprechen. Ein paar Wohlfahrtsverbände versuchen das. Denen wird dann aber sofort unterstellt, sie hätten nur eigene Interessen. Teilweise wird das mit Begriffen wie "Armutsindustrie" effekthascherisch zugespitzt. Die Kirchen sind bei diesem Thema seit Jahren eigentlich nicht mehr zu hören, nur hier und da gibt es engagierte Persönlichkeiten und Gruppen aus ihren Reihen, die immer noch gegen die Windmühlenflügel der Arbeitslosigkeit und Armut anzukämpfen versuchen. Wer vertritt die Armen, wer ist die Stimme der Armen?
Aber steckt nicht Sprengstoff im Thema? Wenn etwa jeder fünfte mit Armut konfrontiert ist, kann das zu spürbaren sozialen Konflikten führen?
Es gibt ja immer die Vorstellung, dass die Situation ab einem bestimmten Ausmaß der Verarmung kippt und es zu Unruhen kommt. Aber in Wirklichkeit ist es nicht nur weitaus komplexer, sondern oft auch nicht so, wie erwartet. Nehmen Sie das Ruhrgebiet. Dort haben wir in den letzten Jahren eine gewaltige Verarmungswelle, die man auch messen kann. Es gibt dann immer die Befürchtung, dass wir soziale Unruhen wie in Frankreich oder England erleben werden. Ich glaube aber, wir sollten damit nicht rechnen. Es sieht so aus, als sei die Individualisierung so weit vorangeschritten, dass die Leute sich eher autoaggressiv verhalten. Das heißt, sie reagieren nicht aggressiv gegen die Gesellschaft, gegen den Staat, sondern sie ertränken ihre Situation in Alkohol, sie nehmen Drogen, sie werden krank. Sie leiden im wahrsten Sinne des Wortes an sich selbst und der sozialen Lage, in der sie sich befinden. Wir haben die höchsten Krankheitsquoten und auch Krankheitsausgaben bei arbeitslosen, vor allem langzeitarbeitslosen Menschen. Das heißt, sie schädigen sich im Prinzip selbst. Auch bei ihnen ist die Individualisierung und Personalisierung von Arbeitslosigkeit und Armut angekommen und das führt zu einer Paralyse jeglichen kollektiven Handelns. Das übrigens war aber immer schon kaum ausgeprägt in diesen Gruppen unserer Gesellschaft.
Das heißt: Armut belastet die Gesundheitssysteme überdurchschnittlich stark?
Ja, natürlich. Es fällt uns alles wieder auf die Füße. Wenn Sie bedenken, dass ein Langzeitarbeitsloser vielfach höhere Kosten für die Krankenversicherung verursacht als jemand, der Arbeit hat, dann wäre zum Beispiel ein Lösungsansatz, Beschäftigungsangebote zu organisieren. Wir könnten eine Menge Geld in unseren Gesundheitssystemen sparen, wenn die Leute wieder einer Tätigkeit nachgehen können. Nur leider haben wir es hier mit unterschiedlichen Zuständigkeiten zu tun. Die eine Säule muss finanzieren, die andere wird entlastet. Das ist eine der fundamentalsten Schwachstellen unseres sozialen Sicherungssystems: Wir sind konfrontiert mit einer krassen Asymmetrie zwischen denen, bei denen die Kosten anfallen und den anderen, die daraus Gewinn ziehen können. Nur ein gemeinsames Budget hätte eine Chance, das zu ändern.
Ein Bestreben der Politik scheint nun, die Armutszahlen nach unten zu reduzieren?
Das ist vor allem ein symbolischer Kampf. Das läuft nach dem Motto, was ich nicht sehe und was ich nicht höre, das gibt es auch nicht. Wir sollten die Wirkung eines solchen Ausblendens aus der öffentlichen Debatte nicht unterschätzen. Nehmen Sie nur dieses Beispiel: In den Medien wird immer nur die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen genannt. Da befinden wir uns auf einem Rekordtief von 2,9 Millionen Arbeitslosen. Wenn man den Leuten dann sagt, dass es über sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger und viele andere gibt, die arm sind, sind sie immer überrascht, dass diese Zahl so hoch ist. Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit über die Zahlen. Denn höhere Zahlen würden die Menschen beunruhigen und würden vielleicht den einen oder anderen zu der Frage treiben, ob man in unserer Gesellschaft nicht zum Beispiel mehr umverteilen könnte oder sogar müsste.
Warum ist Umverteilung ein Tabu? Warum gibt es keine höhere Einkommenssteuer für Spitzengehälter, keine Vermögenssteuer, keine wirksamere Erbschaftssteuer? Wer steht dagegen?
Dagegen stehen natürlich viele Interessen, aber nehmen wir mal als Beispiel diejenigen, die tatsächlich die Hauptsteuerzahler sind. Das sind nun mal die mittleren Einkommensgruppen und auch die höheren. Die höheren Einkommensgruppen aber zahlen heute deutlich weniger Steuern als in den 1990er Jahren unter Helmut Kohl. Das ist jedoch nicht in deren Bewusstsein. Wenn Sie mit denen reden, dann tun viele so, als ob der Staat ihnen konfiskatorisch quasi das gesamte Einkommen wegsteuert. Dass sie heute deutlich weniger belastet sind, ist ihnen nicht mehr bewusst. Und die mittleren Einkommensgruppen, also die wirklichen Leistungsträger unserer Gesellschaft, die Facharbeiter, die Handwerker, die Krankenschwestern usw., müssen nicht nur Steuern zahlen, sondern sind anteilig gesehen stark belastet durch die hohen Sozialversicherungsbeiträge, die ihnen abgezogen werden. Hohe Einkommen hingegen werden davon entweder nicht (Selbständige, Beamte) oder oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze nicht mehr zur Finanzierung unserer Sozialsysteme herangezogen. Dann wird verständlich, dass man den Leuten in der Mitte, die finanziell immer mehr unter Druck geraten, allgemeine Steuererhöhungen nicht wirklich schmackhaft machen kann.
Warum ist die Frage der "Umverteilung" politisch so risikoreich?
Weil man einerseits mit den Widerständen der Betroffenen, denen man etwas wegnehmen muss, konfrontiert wird. Also der Mittelschicht, der oberen Mittelschicht und den Unternehmen zum Beispiel. Aber man ist auch mit einem Medien-Kartell konfrontiert, das sofort schießt. Man gerät dann sofort unter Sozialismusverdacht. Das ist alles negativ besetzt. In der Vergangenheit gab es ja Vorstöße in diese Richtung. Bei Wahlen sind die betreffenden Leute dann auch durchaus abgestraft worden. Ich glaube, Politiker haben verstanden, dass sie mit solchen Forderungen bei entsprechender Stimmungslage ihre politische Existenz infrage stellen können.
Die Themen Armut und Umverteilung werden folglich eher zur Seite gelegt oder sogar ignoriert?
Absolut. Das muss man leider in der Bilanz so sagen, weil die Armut für uns kein Gesicht hat. Und sie hat keine Interessensvertretung. Es gibt keine wirklich starke Lobby für diese Personengruppe, anders als zum Beispiel für Pflegebedürftige oder Behinderte. Die Armen, zudem eine überaus heterogene Personengruppe, sind alleine gelassen. Dann kann man sie eben outsourcen in ihre Sozialräume. Man bekommt sie ja auch zum Teil gar nicht mehr zu Gesicht, weil sie in ihren eigenen Stadtteilen sind und da auch nicht mehr raus kommen. Diese Entwicklung muss man leider konstatieren.
Welche Auswirkung hat diese Entwicklung auf Dauer?
Die Gesellschaft spaltet sich immer mehr. Und interessanterweise gibt es seit einigen Jahren viele neuere Untersuchungen – nicht von irgendwelchen linken Wissenschaftlern, sondern von den Zentren des Neoliberalismus, also Internationaler Währungsfond, OECD, Weltbank –, die immer stärker darauf hinweisen, dass diese Entwicklung aber negative Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und auf die gesellschaftliche Stabilität hat. Diese Studien sagen – und sie belegen das auch mit Daten –, dass in Gesellschaften, in denen über Umverteilung ein geringerer Grad an Ungleichheit hergestellt wird – beispielsweise in Skandinavien –, die wirtschaftlichen Kennzahlen besser sind. Die gesellschaftliche Entwicklung läuft dort insgesamt deutlich harmonischer ab.
Und warum kommt diese Botschaft nicht bei den Politikern hier an ?
Weil viele das schlichtweg nicht zur Kenntnis nehmen wollen, weil es nicht in ihr Weltbild passt. Es hat etwas mit dem Weltbild zu tun, das die Leute im Kopf haben. Und auch ein Teil der Wissenschaft leistet hier gerne Dienste, um zu belegen, dass das alles gar nicht so schlimm sei mit der Armut und der Ungleichheit.
Aber Rot-Grün zum Beispiel könnte doch dagegen angehen.
Ja, aber gerade Rot-Grün oder die Vertreter dieser Richtungen haben doch im letzten Bundestagswahlkampf die Erfahrung machen müssen, was passiert, wenn man für soziale Gerechtigkeit, für mehr Umverteilung, für höhere Besteuerung eintritt. Die Erfahrung ist, dass das von den Wählern nicht honoriert wird. Womit wir wieder beim Problem sind.
Das heißt aus ihrer Sicht, das Thema Reichtum und Umverteilung des Reichtums ist erst mal ad acta gelegt?
Derzeit auf alle Fälle. Und es kann nur entweder durch eine offene ehrliche Diskussion aufgerufen werden oder aber durch den Druck der Verhältnisse. Da muss man natürlich sehen, dass wir jetzt ein Ereignis haben, mit dem die Politik überhaupt nicht rechnen konnte: eine Vervielfachung des Armuts- und Verarmungsproblems durch die vielen Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen und von denen nicht wenige genau in dieser Situation einer schon bestehenden Armuts- und Ungleichheitszunahme im Hartz-IV- Bezug landen werden. Das wird die sozialen Spannungen enorm ansteigen lassen. Leider werden es die sozialen Spannungen zwischen den Armen und den Ärmsten sein. Das muss man schon heute beobachten, etwa auf dem "Markt" für bezahlbaren Wohnraum oder aber bei der Frage, wo denn Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet werden.
Der Kampf ganz unten, zwischen Armen und den Ärmsten wird sich noch verschärfen?
Natürlich. Und Sie können das jeden Tag beobachten, wenn Sie heute zu einer der Tafeln gehen. Dort gibt es – wenn man das so sagen darf – die alteingesessenen Armen, die auf einmal beobachten, dass da neue Menschen zu den Verteilungsstellen kommen und dass auf einmal weniger da ist. Tatsächlich bekommen sie auch weniger und die anderen drängeln sich vor. Das sind doch ganz normale Konflikte, die wir uns vorstellen können und bei denen die Leute sich aufregen. Aber man kritisiert dann nicht das System, sondern projiziert seine Aggression auf den, mit dem man im unmittelbaren Konkurrenzkampf zu stehen meint.
Kann man zusammenfassend sagen: an der Armut und Armutsbekämpfung wird sich nichts ändern und am Reichtum und der Bewahrung des Reichtums auch nicht. Ist das ist Ihre Quintessenz?
Als Diagnose, ja. Ich würde mir natürlich etwas anderes wünschen. Und ich hoffe auch, dass man durch Studien, durch wissenschaftliche Arbeit nachweisen kann, dass es auch für die Gesellschaft lohnend wäre, in Armutsbekämpfung zu investieren. Ich sage mal ganz zynisch: Wenn es schon nicht über die Logik und oder die Empathie für alle schlechter gestellten funktioniert, dann muss man über die Kinder gehen. Wir haben in Berlin beispielsweise die Situation, dass fast jedes dritte Kind dort in einem Hartz-IV-Haushalt aufwächst. Wir enthalten diesen jungen Menschen, die ja nun wirklich nichts für ihre Armutslage können, unglaubliche Chancen. Wir sperren sie ein in ein Leben, in dem ihnen viele Anreize, die sie brauchen, überhaupt nicht gegeben werden können. Ich denke, da muss Politik Farbe bekennen. Denn da kann man nicht argumentieren, dass die Kinder in Berlin selbst schuld sind, dass sie in einem Hartz-IV-Haushalt aufwachsen.
Woran liegt es, dass die Politik offenbar mehr Mühe darauf verwendet, die Zahlen der Armutsstatistik nach unten zu korrigieren, als die Armut wirksam zu bekämpfen?
Weil man die Armut so weg definieren kann. Zudem würde alles andere bedeuten, dass man erheblich mehr Mittel investieren müsste, zum Beispiel in wirklich gute Bildungsangebote für die Kinder. Man macht derzeit ein Bildungs- und Teilhabepaket, bei dem die Leute für ihre Kinder zehn Euro pro Monat Zuschuss beantragen müssen. Stattdessen bräuchten wir doch eine ganz andere Förderung. Das kostet aber Geld. Und wir leben in Zeiten, in denen wir quasi eine Ideologie der schwarzen Null haben, in denen der Finanzminister nur daran interessiert ist, keine neuen Schulden zu machen. Wir leben in Zeiten, in denen sich der Staat selbst heruntergewirtschaftet hat. Dabei konnten wir noch nie so billig an Geld kommen, wie heute.
Das heißt, für den Staat und die Politik ist es einfacher, den Begriff der Armut zu verändern, die Zahlen zu reduzieren, als entschieden dagegen anzugehen, zu investieren?
Genau. Es geht darum, den Begriff Armut zu töten. Denn wenn man es – durch welche Tricks auch immer – schafft, die Armut für nicht existent zu erklären, dann muss man vor allem auch nicht über die mögliche Frage einer Umverteilung von oben nach unten reden. Das heißt, man kann das ausblenden. Das ist wie mit den drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Leider ist das zurzeit tatsächlich der Tatbestand. Und Sie werden sehen, bei dem neuen Armuts- und Reichtumsbericht, den die jetzige Bundesregierung vorbereitet, wird es mit ganz vielen Zahlen darum gehen, zu zeigen, dass die Reichen, die immer kritisiert werden, ganz viel für unsere Gesellschaft tun. Dass sie Geld spenden. Wir haben es dieser Tage ja erlebt: Wenn ein Mark Zuckerberg von Facebook sagt, er spendet sein Vermögen, dann wird ein Riesen-Bohei gemacht. Dass aber weltweit laut einer Studie von Oxfam 83 Personen das gleiche Vermögen haben wie die untere Hälfte der Weltbevölkerung (weit über drei Milliarden Menschen), macht hingegen nur allzu deutlich, wie extrem ungleich, wie pervers der Reichtum – und damit spiegelbildlich immer auch die Armut – verteilt ist.
Wird es der Politik gelingen, über ihre Armuts- und Reichtumsberichte den von ihnen analysierten Trend , nämlich den Begriff Armut zu töten?
Es kann ihr gelingen. Das tut mir weh, aber es kann ihr gelingen, wenn sie zum Beispiel genügend Wissenschaftler in diesen Prozess einbindet, ihnen Forschungsaufträge und Geld gibt und ihre Stellen finanziert. Dann vertreten die Wissenschaftler, ob nun bewusst oder eher unbewusst den Sachzwängen gehorchend, auch immer stärker den Ansatz, Armut weg zu definieren, zu relativieren und klein zu rechnen. Dann kann es der Politik gelingen, weil es derzeit – auch in Kirchen, in Gewerkschaften und in Wohlfahrtsverbänden – nur noch wenige gibt, die versuchen, den Armen in unserem Land eine Stimme zu geben.
Das heißt, Armut bleibt ein Verlierer-Thema?
Armut ist leider absolut ein Verlierer-Thema. Und Sie müssen schon sehr motiviert sein, sehr viel Empathie haben und die Gesichter und Lebensgeschichten dieser Leute sehen, um sich dafür überhaupt zu engagieren. Insofern leider ja, auch wenn ich mir eine andere Botschaft wünschen möchte.
Leif trifft ...: Sendung am 16.3.2016 um 20.15 Uhr "Das arme Deutschland - kein Wohlstand für Alle" von Thomas Leif und Harold Woetzel
Kommentare 17
Armut heutigertage soll sein wie die Pest.
Genauso wirkt sie.
Was hatte man damals mit Pestkranken alles angestellt - reden wir nicht von Analogien, sondern davon - auf welchem Boden die Pest, damals wie heute, ihre nicht nur gesellschaftlichen Wirkungen erst zu entfalten vermochte.
Guten Abend Herr Leif! Was für ein Interview-ich danke Ihnen.Wäre es nicht möglich,daß Herr Sell,sofern er das möchte,im Bundestag sprechen könnte? Das wäre so ein ,,frommer''Wunsch von mir.Ich lebe hier in der Uckermark,da wissen Sie welche Arbeitslosenquote hier herrscht und Kinderarmut dann auch.
Armut, so relativ dieser Begriff in Stellung zu Kapital und anderen Werten des Vergleichs liegt, ist (heutzutage) zu nicht geringen Teilen eine Folge der Sozial-Bürokratie, und der passiven Teilhabe anderer staatlicher Einrichtungen an diesen neu entstehenden Formen des Behörden-Terrors. Sie wird heute hergestellt, wie in früheren Zeiten durch die reine Exploitation. D. h., sie ist Produkt herrschender Zwänge, und nicht Ergebnis subjektiver Entscheidungsprozesse im Leben der Individuen, die mal zu ihren Gunsten, mal zu ihrem Nachteil ausfallen können. Vor diesem Hintergrund ist eine partei-politische Umlegung dieses Themas nicht mehr angemessen. Am besten, man versteht Armut gewandelt als Chance, sich anderer Eigentumsverpflichtungen zu entziehen, um die «auto-aggressive» Strategie der Bildung aufzugreifen, die zumindest für einen geistigen Widerstand gegen die politische / bürokratische Verschleierung genutzt werden könnte. Welche Wert-Bedürfnisse im Volk noch auftreten (werden), dürfte eh in den Sternen stehen, Seitenblick auf religiöse, ethische Werte, die auch unabhängig von Kapital, Eigentum und Besitz interessant werden könnten, und andere Bedürfnisse / Bündnisse der Menschen transportieren, als über die allgemeine oder statistische Einkommensverteilung nahegelegt wird. Es ist immer auch eine Frage, womit man sich identifiziert, und was diese Identifikation bedeutet, bedeuten kann, wozu sie genutzt wird, genutzt werden kann. Fragt sich auch, wozu Reichtum genutzt werden kann. Jedenfalls nicht nur zum Sich damit Identifizieren. Pflicht zum Investment wäre ein schönes Analogon zur sozialen Armut.
indes: das Pestvirus wird aus Verantwortung für die Natur weiter bevorratet.
das freut doch nun wirklich
btw
monsanto verdient sich dumm und dämlich an der Malaria, so rein inverstorisch betrachtet
und weil wir schon dabei sind: Diphterie ist auch wieder en vogue
ist das nicht fein?
und dass monsanto wie dupont das alte spiel der ig-farben munter weiterspielen - weil das so praktisch war und, wie es aussieht, geblieben ist - weil, man muss ja nicht alles wisssen, heutzutage gegeben von der who - aber was rege ich mich auf
mit dow cemical im boot, wie geneigte Leser von Wirtschaftsseiten vmtl ahnen, wird das alles noch viel viel stiller
ja ist das nicht schön?
natürlich heißt dieser drecksladen dow chemical und nicht dow cemical.
immer weil sie schweigen werden wir weiter keine ahnung hnaben welchen dreck diese unternehmen sich für die menschen ausgedacht haben sollten
indes könnte man sehen, dass sich seit den Nazis ziemlich wenig geändert haben dürfte - weil sie sich inzwischen AfD nennen und uns Demokratie beibringen möchten.
rechte linke also
?
Ein wirklich guter und ehrlicher Artikel. Jedoch bin ich weniger optimistisch als der Autor und gehe davon aus, dass die angesprochene Entwicklung in absehbarer Zeit zu schweren Verwerfungen in der Gesellschaft führen wird. Wir sehen die ersten Anzeichen schon jetzt. Eine AfD fällt nicht einfach vom Himmel und auch PEGIDA & Co. spiegeln nur die tiefsitzende Angst in der Bevölkerung wider, die sich auf die Schwächsten projiziert. Das Konzept ist historisch nicht neu und wird in die Katastrophe führen. Ich prophezeie das für die nächsten 20 oder 30 Jahre, wenn das Sozialsystem kollabiert und Millionen von Menschen in die Altersarmut rutschen. Um das absehen zu können, muss man eder Politiker sein, noch studiert haben.
Wenn die Politik nicht umgehend gegensteuert und sich von ihrer Selbstgefälligkeit verabschiedet, fährt sie den Laden mit Vollgas an die Wand und ein Phänomen wie die AfD wird lächerlich zu dem sein, was dann gewählt werden wird. Am Ende werden wieder Züge oder sogar Köpfe rollen.
Vielen lieben Dank für dAs Interview. Bitte bleiben Sie dran lieber Herr Leif.
ps. Kennen Sie die internationale integrale Bewegung? Bitte nehmen Sie sich einen kurzen Moment Zeit und schauen Sie hier herein. Mit besten Grüßen
www.integralesforum.de
www.integralworld.com
Ein Einwurf zur Passage: Warum soll ich mich dafür einsetzen, wenn die Leute noch nicht mal zur Wahl gehen? Aus seiner Sicht ist es völlig rational, seine Anstrengungen auf die Teile unserer Gesellschaft zu fokussieren, deren Wahlbeteiligung überdurchschnittlich hoch ist.
Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der dieses Jahr neu rauskommen soll, habe ich mal rumgeklickt - siehe http://www.armuts-und-reichtumsbericht.de/DE/Indikatoren/Reichtum/Mitwirkung-in-politischen-Parteien/mitwirkung-in-politischen-parteien.html
Vergleiche: Mitwirkung nach Einkommen -> die mittleren Einkommen engagieren sich mehr in Parteien (ab 2010)
Mitwirkung nach Bildung: die höher gebildeten engagieren sich weiterhin mehr
Ich kombiniere: Bildung ist nicht mehr so relevant für Einkommen, sind die gleichen Leute, verdienen jetzt nur weniger... (sind nun vielleicht in anderen Parteien)
und/oder: das partei-politische Engagement hat insgesamt nachgelassen, in Gutverdienerkreisen mehr. Weil?
Bei den mittleren Einkommen hat sich Frust angesammelt, das politische Engagement nimmt zu, Protestwahlstimmen auch.
Die Themen Mittelschicht, kalte Steuerprogression, Rentenniveau, Erbschaftsteuer, Versicherungsbeiträge, Sozialstaat, Schere zwischen Arm und Reich etc müssten einmal im größeren Zusammenhang diskutiert werden. Dass die Ungleichheit bzw. soziale Spaltung seit Jahren zunimmt, dürfte wohl unstrittig sein. Eine der Konsequenzen: die Mittelschicht (entspricht 26% der Nettoeinkommen) trägt rd. 54% zu den Beiträgen der Sozialversicherung bei, die Reichen (entspricht 11% der Nettoeinkommen) nur rd. 6%. Und jetzt will die Union einmal mehr die Lasten der Flüchtlingspolitik durch die Verlängerung des Soli bzw. durch eine Benzinabgabe vorwiegend den Steuerzahlern und damit der Mittelschicht aufbürden! Last, but not least findet durch die aktuelle EZB-Politik (Fluten der Finanz-Märkte mit frischem Geld, negative Zinsen) in Verbindung mit Schäubles "Schwarzer Null-Politik" die größte Umverteilung bei Sparern und Rentnern seit der Währungsreform von 1948 statt, was zu einer weiteren Verarmung von Sparern und Rentnern führen wird.Die Grundfrage ist: wohin steuert unsere Gesellschaft in der Frage einer gerechten und angemessenen Einkommens- und Vermögensverteilung? Wer hat wann beschlossen, dass wir heute in Bezug auf diese Verteilung da stehen, wo wir stehen? Wer legt fest, wo wir morgen stehen wollen? Mit welchen Maßnahmen? Um diese Grundfragen drückt sich unsere Politik herum und beschließt bzw. unterlässt Maßnahmen, die letztlich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnen, obwohl das kein Politiker so benennt und zugibt.Es gäbe eine Maßnahme, die auch das Problem der demographischen Entwicklung (Alterung, Bevölkerungsrückgang, immer mehr Rentnern wie auch Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung stehen immer weniger Beitragszahlern gegenüber) berücksichtigt: auch große Einkommen und Vermögen (also auch die Produktionsfaktoren Kapital und Boden) beitragspflichtig machen. Dazu gehört auch die paritätische Beitragsübernahme der Arbeitgeber für Renten/Kranken/Arbeitslosen/Pflegeversicherung.
Bis das passiert, mein Tip:http://youtu.be/mQvThNJkKb
Ein Lichtblick: das Bundesverfassungsgericht hat bei der Erbschaftsteuer mal wieder eine verfassungskonforme Wegweisung gegeben (Eigentum verpflichtet). Auch wenn die Politik erwartungsgemäß dem nicht folgen wird (wie z.B. das von der CSU angekündigte Veto zu Schäubles Vorschlag belegt). Und dass die Familienunternehmer aus allen Rohren schießen, war wohl nicht anders zu erwarten. Zu anderer Gelegenheit singen sie ebenso inbrünstig das hohe Lied des Leistungsprinzips. Nur: Erben ist keine Leistung! Eine Erbschaft ist ein "unverdientes" Vermögen!
Und in der bayerischen Verfassung ist verankert: „Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.“ (Art. 123 Abs. 3) Ob das der wirkliche Grund für das angekündigte CSU-Veto ist?
Und was hört man von der SPD? Schweigen im Walde.Scheint die Politik weiterhin zu ignorieren! Statt dessen wirbt Kauder um Verständnis für Deutschlands Reiche!
Mein Tip:
http://youtu.be/0zSclA_zqK4
http://youtu.be/-5X2P5J6MiA
http://youtu.be/QqoSPmtOYc8Was sagt der Bundestag?http://youtu.be/QGOx8I0COYg
Rock-Blogger und Blog-Rocker Sigismund Rüstig posted auf multimediale Weise Meinungen und Kommentare zu aktuellen Reiz-Themen in Form von Texten und Liedern.
Dieses drei Interviews, mit Sell, dem Arzt auch für Papier- und Kärtchenlose, Trabert und Schneider, dem pietistischen Kirchenmann beim paritätischen Wohlfahrtsverband, sowie die Dokumentation mit dem Kollegen Harold Woetzel für das SWR- Programm, gehören mit zum Besten, was zur Zeit journalistisch zum Thema produziert wurde. Vielen Dank, Thomas Leif, vielen Dank der dF- Redaktion.
Mit Professor Stefan Sell hatten Sie einen, seit Jahren kompetent dazu schreibenden und lehrenden Wissenschaftler als Gesprächspartner.
Es trifft zu, dass Bundes- und Landespolitiker, die die Politik zusammen mit ihren Beratern zum Karriere- Beruf ausentwickelt haben, sich für Armut nicht mehr sonderlich interessieren. Sie kommen mit den betroffenen Personen höchstens noch bei Alibi- Besuchen in sozialen Einrichtungen in Kontakt und sind nicht mehr bereit, sich fundiertes Wissen dazu anzueignen, geschweige denn, sich längerfristig Erfahrungen im Alltag auszusetzen.
Die große Glocke über den meist makellos sanierten und ausgestatteten Parlamenten, die ausladenden Gänge und Flure, die adretten Büros, sie zeugen von äußerster Gelassenheit, dass nichts wirklich dahin vordringt, was nicht von oben (Top down- Politics, power politics, statt bottom up) und durch Lobbyisten vorgefiltert ist.
Z.B., wie alte Leute in Alten- und Pflegeheimen, mit ihnen oft die Sozialämter, mit der zweiten und dritten Miete, den Investitionskostenumlagen für sehr kleine und unkomfortable Wohn- und Pflegezimmer- Einheiten, über den Tisch gezogen werden.
Der Gesetzgeber hat in diesem Dienstleistungsbereich ganz undurchsichtige Firmenschachtelungen, Ausgliederungen und Anmietungen bei Dachgesellschaften oder Töchtern der Träger erlaubt, die die Kosten zusätzlich und unkontrollierbar in die Höhe treiben. Dieser Anteil ist zudem nicht durch Auflagen nach den Pflegegesetzen gedeckelt, sondern soll das Geschäft da ermöglichen, wo einst einmal Daseinsvorsorge der Öffentlichkeit das Motto war und die Kommune Grundstücke und Immoblien trug. Gleiches gilt für die Riester- Rente, für die Privatisierung der Gesundheit und für die neuen Arbeitsformen, die tatsächlich neue Jobs entstehen ließ, nun aber sogar Arbeitende ärmer machte.
Die staatlichen Überwacher der Heime und ihrer Träger auf Landesebene, sind nicht nur personell schlecht ausgestattet, sondern es fehlt ihnen an Kompetenz und vor allem an rechtlichen Möglichkeiten, sich Einblicke zu verschaffen. Selbst weiterhin öffentliche oder öffentlich- rechtliche Träger/Betriebe, dürfen heute ihre Budgets über Geschäftsführungen verwalten, deren Stellung privaten Managern in privaten Unternehmen sehr nahe kommt.
Das Altenpflegeheim oder -Wohnheim, wurde so zu einem renditeorientierten Immobilien- und Liegenschaften- Investment, an das die Pflege angeklebt wurde.
In vielen Heimen sind die Umlagen so hoch, dass der jeweilige Träger nach 7-10 Jahren das Heim komplett, ohne Finanzierung, aus der verlangten Umlage neu errichten könnten, wären sie Non- Profit.
Die Ursache liegt genau da, wo sie Sell sieht. - Mit sozialen Themen lässt sich kaum eine Wahl gewinnen und kein Unterstützerkreis im jeweiligen Wahlbezirk aufbauen.
Vor allem die Stimmen der stillen und stummen Armen bleiben ungehört. Diese Menschen gehen auch nicht mehr zur Wahl, und sie wählen, noch nicht einmal aus Protest, also auch nicht AfD.
Hinzu kommt das weitgehende Desinteresse der Spitzenbeamten in den Ministerien und obersten Bundesbehörden, die sich viel lieber mit ihresgleichen und den Ebenenkollegen, sowie international austauschen und sich mit EU- Beamten messen.
Die andere Seite der Medaille hingegen, über die nur noch ungefähr und unpräzise berichtet werden kann, weil es ihr gesellschaftlich und politisch erlaubt wird, sich völlig zu verbergen, die der Reichen und Investoren, ihrer Berater und willigen Dienstleister, hat hingegen rund um die Uhr und mit jeglichem Anliegen Zugang zur Politik.
Leider begreifen zu wenige Bürgerliche, dass Entsolidarisierung und Dahinwursteln in der Sozialpolitik, die Aufkündigung der Sozialstaatsgedankens, die Privatisierung der Daseinsvorsorge und Fürsorge, am Ende eine Gesellschaft erschafft, in der regelrecht Hass entsteht, von oben, wie von ganz unten.
Die Suche nach einfachen und radikalen Lösungen, die Befriedigung der aufgestauten Emotionen, sorgt dann für die passende Stimmung, in der eine neue Rechte wieder Chancen hat, die den Armen und vor allem aber den Angst- Wut- Bürgern, Ersatzbefriedigungen anbietet: Verquaste Deutschtümelei und die strikte Ablehnung der Migranten.
Die können für die 25 Jahre Sozialabbau und Umbau der Industriegesellschaft, die aus der sozialen Marktwirtschaft Bundesrepublik eine marktkonforme Demokratie entstehen ließ, gar nichts, und sie kosten auch nur einen minimalen Betrag der öffentlichen Gelder, die sich Reiche für ihre Projekte ohne viel Federlesen regelmäßig beim Staat oder bei der EU abholen.
Sei es, dass sie Abschreibungen nutzen, sei es, dass sie Subventionen legal und betrügerisch abschöpfen, sei es, dass sie alle Regeln der Steuervermeidung und der Steuerhinterziehung nutzen und sich dabei auf die tatkräftige Unterstützung eines voll ausdifferenzierten Finanz- und Wirtschaftsdienstleistermarktes verlassen können.
Nur weiter so und mehr solcher Beiträge im dF.
Beste Grüße
Christoph Leusch