Auf einmal ist das Geschrei groß. Seit Tagen gibt sich die Öffentlichkeit empört über das, was dank Luxemburg-Leaks ans Licht kam. Das reichste Land der EU lebt gut von den Steuern, die ausländische Unternehmen sparen, sobald sie sich dort niederlassen. Wie auf den Bahamas oder den berühmten Caiman-Inseln genügt zumeist ein Briefkasten als symbolischer Firmensitz. Produziert, gehandelt, gearbeitet wird anderswo.
Steuern von weniger als einem Prozent auf Milliardengewinne – Luxemburg macht’s möglich. Und zwar deshalb, weil andere Länder ganz ähnliche Steuersparmöglichkeiten für Vermögensbesitzer, Investoren und Konzerne anbieten. Steuerwettbewerb heißt das im neoliberalen Jargon. Eigentlich sollte der Steuersenkungswettlauf, der in den 70er Jahren zwischen den westlichen Ländern in Gang kam, Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand fördern, obendrein das böse Monster Staat bändigen. Geschehen ist wenig.
Der brave Normalbürger ahnt, dass er einer Ungerechtigkeit zum Opfer fällt, die in allen Steuerstaaten des real existierenden Kapitalismus systemimmanent ist: Vermögens- und Kapitalbesitzer, Privatpersonen wie Unternehmen haben seit jeher die Freiheit, die Höhe ihrer Steuerschuld kreativ (mit) zu gestalten. Otto Lohnsteuerzahler hat diese Freiheit nicht. Um so mehr tönt ihm nun entgegen, alles habe seine Ordnung, die schönen Steuersparmodelle seien völlig legal.
Genau das ist der Skandal, nicht etwa die Wettbewerbs-vor- oder -nachteile für berufsmäßige Steuervermeider, um die sich die EU-Kommission jetzt offiziell sorgt. Legal – und das seit Jahr und Tag – ist etwas, das in keinem halbwegs geordneten Gemeinwesen legitim sein kann: Dass sich die zahlungsfähigsten Steuerbürger ihrer Steuerpflicht am wirkungsvollsten entziehen können – mit tätiger Beihilfe des Staates. Wer sich über die EU-Finanzkrise Sorgen macht, sollte zur Abwechslung einmal auf den Steuerwettbewerb und dessen ruinöse Folgen schauen. Wenn seit Jahr und Tag wichtige Teile der Steuerbasis systematisch ausgehöhlt werden, dann sausen in jeder größeren Krise die Staatsschulden in die Höhe. Das gilt, solange EU-Regierungen glauben, sie könnten die nationale Ökonomie auf Kosten der Nachbarn per Steuerwettbewerb in Fahrt bringen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.