Hart wie Stahl

Porträt Liz und Mary Weick kämpften in Detroit lange Zeit für eine faire Krankenversicherung und dafür, als lesbisches Paar akzeptiert zu werden
Ausgabe 44/2017
„Sie riefen Sätze wie: Lutsch mir den Schwanz!“
„Sie riefen Sätze wie: Lutsch mir den Schwanz!“

Foto: Rachel Woolf für der Freitag

Als Liz und Mary Weick in Las Vegas „Ja“ gesagt haben, war das nur eine Formalität. Die beiden Frauen aus Detroit hatten sich schon lange vor 2014 versprochen, ihr Leben miteinander zu verbringen. „Die Hochzeit war wegen der Krankenversicherung“, sagt die 59-jährige Liz. Die beiden Frauen sitzen an einem Eichentisch in ihrem Haus im Detroiter Vorort Ecorse. Ecorse liegt „downriver“, wie die Detroiter zu sagen pflegen. Hier wohnen die Leute, die häufig als „White Trash“ bezeichnet werden, die Abgehängten des Rust Belt, die früher in den nahe gelegenen Stahl- und Autowerken gearbeitet haben – und dann ihre Jobs verloren.

Vor ihren Einfamilienhäusern parken große Autos. Einkaufsläden, Restaurants oder Infrastruktur existieren in dem Vorort nicht. An Sonntagen sitzen sie hier vor den kleinen Swimmingpools in ihren Gärten hinter dem Haus. Es sind ihre Jobs, die US-Präsident Donald Trump zurückholen wollte. Liz und Mary Weick haben ihm das nicht geglaubt. In ihren Biografien spiegelt sich der Niedergang der Auto- und Stahlindustrie: Liz hat fast 40 Jahre an der Stahlwalze von National Steel in Detroit gestanden. Zwei von ihren acht älteren Geschwistern haben ihre Jobs verloren und Trump geglaubt. Kommen sie zu Besuch, ist Politik tabu.

Liz und Mary Weick tragen denselben Haarschnitt: vorne kurz, hinten lang. An den Wänden ihrer Wohnung wird der gemeinsame Weg zum Vokuhila auf Bildern dokumentiert: Partys in den 1980ern, Delfinschwimmen in Florida, die Atlantikkreuzfahrt, bei der beide vor einem Motiv aus Titanic posieren. Heute sind sie beide in Frührente. Wenn Liz Weick aufgeregt vom gemeinsamen Leben erzählt, hält Mary sich zurück. Sie hat die Beine übereinandergeschlagen und beobachtet ihre Partnerin liebevoll. An manchen Stellen ergänzt Mary Weick die Erinnerungen ihrer Frau und füllt mit tiefer Raucherstimme den Raum.

Wenn Liz Weick davon erzählt, wie sie ihre Pension nach 28 Jahren Arbeit bei National Steel verlor, weil das Unternehmen insolvent wurde, wirkt die sonst so kontrollierte Frau wütend. 28 Jahre lang hat sie gesehen, wie andere im Stahlwerk kaputtgingen, Herzinfarkte bekamen, sich lebensgefährlich verletzten, starben. Sie wusste, sie muss nur noch zwei Jahre durchhalten: „Wenn du die 30 voll hast, bekommst du deine Frührente von der Firma“, erklärt Liz Weick. Kurz vor ihrer Pensionierung meldet das Stahlwerk Insolvenz an und wird 2002 vom staatlichen Konzern US Steel übernommen. Viele Arbeiter müssen gehen. „Die neue Firma stellte sie in zwei Reihen auf. Die eine Reihe durfte bleiben. Die Reihe mit den alten Arbeitern wurde aus dem Gebäude eskortiert. Damit sie keinen aus Frust erschießen konnten!“

Zwölf Stunden an der Walze

Liz Weick bleibt. Doch sie darf nicht wie geplant in zwei Jahren in Frührente gehen. Stattdessen fallen ihre Rentenansprüche an die staatliche Pension Benefit Guaranty Corporation (PBGC). Das Problem: Die PBGC kann nur dann Renten auszahlen, wenn gleichzeitig genug in die Pensionskasse eingezahlt wird. Das ist Liz zu unsicher. Um eine bessere Rente zu erhalten, hält sie weitere 13 Jahre durch. „Was willst du schon machen!“, sagt sie. Dann ist Ende. Ihr Körper ist müde geworden von den Schichten im Stahlwerk. 39 Jahre, so kann man es auf einer Plakette an ihrer Wohnzimmerwand lesen, hat Liz Weick im Stahlwerk gearbeitet. Mittlerweile wurde ihr Job fast vollständig automatisiert. Zwölf Stunden am Tag stand sie an der Walze, sieben Tage die Woche, für 5,25 Dollar die Stunde, fünf Wochen Urlaub im Jahr und eine Krankenversicherung. Wenn sie die Schicht wechselte, von früh zu Mittel, von Mittel zu spät, wurden es 16 Stunden. „Swing Shift“ heißt das Modell.

Liz zieht die Augenbrauen hoch. „Die monotone Arbeit macht dich für vieles gleichgültig“, sagt die 59-Jährige. Sie verbringt heute viel Zeit im Garten. In ihrem Beet hinter dem Haus wachsen Zucchini, im Sommer backt sie Kuchen für die Nachbarn. In der Küche steht ein großer Korb Tomaten, auf dem Herd kocht ein Eintopf. „Ich habe ein gutes Leben“, sagt Liz Weick, während sie im Topf rührt, „solange ich jetzt nicht krank werde.“ Krebs kriegen, davor hat Liz Weick wirklich Angst. „Meine Versicherung zahlt alles bis zu 5.000 Euro. Wenn eine Behandlung mehr kostet? Tja.“ Sie habe noch Glück gehabt, das verdanke sie der Gewerkschaft. Die United Steelworkers haben dafür gesorgt, dass die Versicherungskosten nach der Pensionierung nicht in die Höhe schießen. „Die Krankenkasse in diesem Land kann machen, was sie will.“ Michigans größter Versicherer Blue Cross hatte ihren Beitrag von 220 Dollar um 75 Dollar erhöhen wollen, nachdem sie mit der Arbeit aufgehört hatte. Um Medicare, die staatlich finanzierte Krankenversicherung für Menschen über 65, zu bekommen, war Liz Weick zu jung. So verhandelte United Steelworkers mit einem anderen Anbieter. Weick wechselte zu Aetna, zu schlechteren Konditionen, aber dem alten Preis – nicht inbegriffen Behandlungen von Augen- und Zahnkrankheiten. Arztbesuche kosten Liz Weick 25 Dollar – sie bekommt 1.100 Dollar Pension im Monat.

Gesundheit ist Privatsache

In den USA ist das System der Krankenversicherung kompliziert: Es gibt Programme für Senioren oder Menschen mit Behinderung (Medicare), Menschen unterhalb der Armutsgrenze (Medicaid), für Kinder, deren Eltern zu viel verdienen, um Medicaid zu erhalten (CHIP), Veteranen und Ureinwohner.

Die Versicherungen unterliegen keinen staatlichen Restriktionen. Je nach Versicherungsplan variieren Selbstbeteiligungsraten und werden unterschiedliche Kosten und Behandlungen abgedeckt. Nicht jeder Arzt akzeptiert automatische jede Versicherung. Häufig müssen die Patienten die Arztbesuche auch selbst zahlen. Um die Kosten niedrig zu halten, haben viele Patienten einen Selbstbehalt von mehreren tausend Euro. Amerikaner, die nicht über ihren Arbeitgeber versichert werden, aber wegen ihres Einkommens oder Alters nicht Medicaid oder Medicare beziehen können, müssen sich entweder privat versichern oder die von Barack Obama eingeführte Strafe zahlen. So hat der von Obama eingeführte Affordable Care Act dafür gesorgt, dass sich mehr Menschen versichert haben. Durch die von Obama eingeführten staatlichen Zahlungen und mithilfe von Steuerermäßigungen können sich nun auch Geringverdiener eine Versicherung leisten.

Die Preise für private Versicherungen variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat. Im kommenden Jahr könnten sie nach aktuellen Prognosen um bis zu 49 Prozent steigen, wenn Donald Trump, wie angekündigt, die staatlichen Zahlungen an die Krankenkassen einstellt.

Als sie 18 ist, fängt Liz Weick im Stahlwerk an. Ihre Familie ist arm. Ihr Vater arbeitet in einem Autowerk, ihre Mutter ist Hausfrau. Als Jüngste von neun Geschwistern muss auch sie Geld nach Hause bringen. „Damals gab es nur Stahl und Autos.“ Fünf Brüder entscheiden sich für die Autoindustrie, Liz’ Schwester wird Hausfrau, ihr Bruder Richard studiert und wird Lehrer. Liz Weick wählt Stahl, als eine von wenigen Frauen. „Es war ein Männerjob. In den 1970er Jahren mussten sie plötzlich Frauen einstellen, wegen der gleichen Rechte. Das hat niemandem gefallen“, sagt Weick und grinst. Sie hat sich nicht kleinmachen lassen, ist stolz darauf, eine „Pionierin“ zu sein, wie ihr Bruder Richard sie nennt. Der ist gerade zu Besuch gekommen, setzt sich mit an den Tisch. Mary Weick bringt ihm Kaffee. Richard ist auch homosexuell und hat sich vor seiner Schwester geoutet.

Hochzeit im Partnerlook

Liz Weick war 23 Jahre alt, als sie Mary traf. Beide spielten Softball, redeten nächtelang, gingen aus, verliebten sich. Die Eltern waren dagegen. Liz Weick war nicht die erste Homosexuelle in ihrer Familie, aber die letzte, die sich outete. Der Widerstand ihrer Mutter war milder. „Sie versuchte nur mal, mein neues Auto zu zertrümmern“, erzählt Mary Weick. „Bei Neil war das anders“, sagt Richard, der Bruder, sofort. Als Liz’ Mutter den Bruder Neil Jahre zuvor mit einem Mann erwischte, befahl sie ihren Söhnen, in einen Topf zu urinieren. Neil musste den Urin trinken. Später hat er eine Frau geheiratet und mit ihr ein Kind bekommen. Dann nahm er sich das Leben. Liz Weick schweigt, sie kennt die Szene nur aus Erzählungen. Dann schiebt sie sich in ihrem Stuhl zurück. „Das waren die 1980er!“ So als versuche sie die Handlung ihrer Mutter zu erklären. Viele Jahre später, nach dem Selbstmord, haben Liz und Mary Weick seiner Tochter, einer alleinerziehenden Mutter, ein Haus gekauft, es steht schräg gegenüber von ihrem eigenen.

Mit der Zeit akzeptierten die Familien ihre Beziehung. Mary Weick arbeitete als Gärtnerin für die Wayne-State-Universität. Sie wurden zusammen älter, Liz Weick kaufte das Haus in Ecorse, Mary zog zu ihr. 1997 versprachen sie sich einander. Im Wohnzimmer. Sie zündeten eine Kerze an, tauschten Ringe, redeten mit Gott, ließen ihre Hände in Gips gießen. „Was willst du schon machen?“, sagt Mary Weick jetzt und streicht über ihre Gipshand, die sie auf den Tisch gestellt hat. „Was anderes gab es damals nicht.“

1997 versprachen Liz (links) und Mary sich einander. Im Wohnzimmer

Foto: Rachel Woolf für der Freitag

Gleichgeschlechtliche Ehen waren in Michigan verboten. So ist der 27. September 1997 ihr eigentlicher Hochzeitstag. Der andere ist „amtlich“, das hat mit Mary Weicks Rücken zu tun. Nach jahrelanger Gartenarbeit musste sie in Frührente gehen. Einmal wurde ihr Rücken operiert, danach wollte die Krankenversicherung keine weitere OP zahlen. Es sei ihre eigene Schuld, dass ihr Rücken schmerze. Tagelang kam sie nur mühsam aus dem Bett. Verkrampfte Muskeln, sagte der Arzt, den Mary Weicks Krankenversicherung Blue Care Network bezahlt, er verschrieb ihr Schmerzmittel. Sie ging zu einem anderen und fand heraus: Die Bandscheiben sind hinüber, ihr Rücken beginnt zu versteifen und muss operiert werden. Mary Weicks neuer Arzt riet zu einer Klage. Der Prozess dauerte zwei Jahre, in denen fühlte sie sich beobachtet. „Große Versicherer organisieren Privatdetektive, die überprüfen, ob du auch ja nichts hebst. Dann kriegst du gar nichts.“ Nach zwei Jahren erzielte ihr Anwalt einen Vergleich. Blue Care Network kam für die OP auf. Seitdem galt sie nicht mehr als arbeitsunfähig. Ihr Beitrag sollte von 150 auf 770 Dollar im Monat erhöht werden.

„Da hat es gereicht!“, sagt Liz Weick. „Wir hatten unser Testament gemeinsam gemacht, wir besaßen das Haus gemeinsam. Jetzt wollten wir auch das regeln.“ Ohne die Ehe konnte keine von beiden die Pension der anderen erhalten, noch in den Versicherungsschutz aufgenommen werden. Auch im November 2014 war die gleichgeschlechtliche Ehe in Michigan noch verboten, im Juni 2015 wurde sie mit der Entscheidung des Supreme Court legal in allen Bundesstaaten. Es blieb: Las Vegas. Sie flogen mit ihren Geschwistern nach Nevada und heirateten in der ersten Kirche, die in den USA jemals gleichgeschlechtliche Paare getraut hat. „Möchtest du unseren Film sehen?“, fragt Liz Weick, springt auf und zieht das Video aus dem DVD-Schrank heraus. Bei der Trauung trugen sie Partnerlook: schwarze Hose, weißes T-Shirt, ein Jackett mit einer roten Blume im Knopfloch – und: Vokuhila. Seitdem teilen sie nicht nur das Haus, sondern auch die Krankenversicherung, 523 Dollar im Monat. Liz Weick verschwindet in die Küche, packt frische Zucchini für ihren Bruder in eine Tüte. Danach verabschieden sie sich.

Vor ihren Kollegen versuchte Liz Weick zu verbergen, dass sie Frauen liebt. Auf dem Parkplatz des Stahlwerks wurde eine Arbeiterin schwer verprügelt, weil sie sich als Transgender geoutet hatte: „Sie kam nie wieder zur Arbeit“, erzählt Liz Weick und tätschelt einen der drei Hunde, die um ihre Beine streichen. „Als die Männer merkten, dass ich lesbisch war, war es vorbei.“ Sie warteten abends vor den Gay-Kneipen, um den Frauen nachzustellen und sie zu beleidigen. Nachdem sie Liz Weick entdeckt hatten, riefen sie ihr auf der Arbeit Sätze zu wie „Lutsch mir den Schwanz“. Liz Weick hat sie ignoriert. „Sie wollten uns überzeugen, dass wir mit ihnen schlafen sollten.“ Immer wieder habe sie den Männern erklärt, dass sie einfach nicht will. Sie habe aber auch Angst gehabt: „Wir verließen die Bar niemals allein.“ Die Frauen gingen in Gruppen, um sich gegenseitig zu schützen. Außer den Beleidigungen ist Liz Weick nie etwas geschehen. Sie sind Demokraten, aber das Recht, eine Waffe zu tragen, ist den Frauen wichtig. Auch wenn sie die beiden Waffen in ihrem Haus noch nie benutzen mussten. „Aber sie geben uns ein sicheres Gefühl“. Mary und Liz Weick sind zum Vorbild für viele andere gleichgeschlechtliche Paare im Stahlwerk geworden. „Keiner wusste damals, dass sie hier deine Ehe anerkennen müssen. Dass du die gleichen Rechte hast wie andere Ehepaare.“ Liz Weick lehnt sich nach vorn und legt die Hände flach auf den Tisch. „Da haben wir sie überrascht.“

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