Journalistin und Krimi-Autorin Val McDermid: „Ich habe keine Lust auf Nabelschau“
Interview Als streitbare Sozialistin ist sie berüchtigt, außerdem ist sie berühmt als Queen of Crime: Val McDermid. Ein Gespräch darüber, wie es war in den 1980er Jahren unter Männern als Journalistin zu arbeiten, den Brexit – und ihre Wut
Sie hatte in den Siebzigern das erste Mal Geld in der Tasche und viel Spaß: Val McDermid
Foto: Philippe Matsas/Opale.Photo/Laif
Jedes Jahr im September herrscht Ausnahmezustand im schottischen Stirling. Früher war Stirling vor allem dafür bekannt, dass 1543 in der die Stadt überragenden Burg Maria Stuart zur schottischen Königin gekrönt wurde. Doch seit 2012 findet in Stirling das Krimifestival „Bloody Scotland“ statt, und wer einmal dabei war, kommt immer wieder. Weil hier ein paar Dutzend der besten britischen und internationalen Krimiautoren auf engstem Raum zusammenkommen, um über ihre Romane zu sprechen – auf großen und kleinen Bühnen, vor allem aber in den Pubs der Stadt. Im Golden Lion etwa kann man sich kaum umdrehen, ohne eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller anzurempeln. In diesem Jahr konnte man hier unter anderem Mick Herron, Karin Smir
mirnoff, Doug Johnstone oder Denise Mina mit einem Pint Guinness oder einem Gin Tonic in der Hand treffen.Wie fast fünf Jahrhunderte zuvor feiert Stirling auch heute wieder eine Königin: Val McDermid, seit rund drei Jahrzehnten eine der erfolgreichsten Autorinnen Schottlands. Feministin, lesbisch, streitbare Sozialistin. Einen Platz für ein ungestörtes Interview zu finden, ist eine Herausforderung, weil gefühlt jeder Besucher McDermid ihrer Bewunderung versichern oder ein Autogramm abstauben will. Nach einigem Suchen finden wir eine relativ ruhige Ecke, um über ihr bislang ambitioniertestes Projekt zu sprechen: eine Reihe von fünf Kriminalromanen, die im Abstand von zehn Jahren zwischen 1979 und 2019 die Geschichte der Journalistin Allie Burns erzählen. Zwei der Bücher, 1979 und 1989, liegen bislang vor, mit der Arbeit am dritten hat McDermid gerade begonnen.der Freitag: Frau McDermid, in einem Gespräch mit dem „Freitag“ sprach der US-Schriftsteller Dennis Lehane vor Kurzem von einer Goldenen Generation von Krimischriftstellern, zu denen er neben George Pelecanos, Laura Lippman oder Ian Rankin auch Sie zählte. Er machte sich Sorgen, dass es an Nachwuchs mangele. Teilen Sie diese Befürchtung?Val McDermid: Natürlich ist es schwer für eine neue Generation, wenn die Alten wie wir seit Jahrzehnten so dominant sind. Viele haben sich zuletzt drauf verlegt Cosy Crime zu schreiben, weil es eine sichere Bank ist, aber das ist natürlich alles andere als aufregend.Mit Callum McSorley wurde bei „Bloody Scotland“ ein erst 33-jähriger Debütant für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet. Macht Ihnen das Hoffnung?Es gibt großartigen Nachwuchs, und es werden immer noch sehr viele tolle Romane verlegt. Aber vielleicht sind wir in Europa und den USA ein wenig alt geworden, und es ist Zeit für frisches Blut. Gut also, dass inzwischen mehr Krimis aus Afrika und Südamerika übersetzt werden. Vielleicht kommt von dort die nächste interessante Welle.Was hat die Goldene Generation so besonders gemacht?Die Romane waren anders erzählt, neuartig, aber vor allem war da dieses Gefühl für den Ort der Handlung. Nehmen Sie eine Autorin wie Sara Paretsky, deren Geschichten um die Privatdetektivin V. I. Warshawski eigentlich nirgendwo anders als in Chicago spielen können. Dasselbe gilt für Lehane und Boston, Lippman und Baltimore. Unsere Geschichten ergeben sich aus den Umständen, in denen unsere Figuren leben.Die genannten Autor:innen sind auch politischer, als es Autor:innen vor den Achtzigerjahren waren, oder?Für mich gilt das auf jeden Fall. Ich wurde im Laufe der Jahre immer politischer, weil ich immer wütender wurde.Wütend worauf?Schauen Sie doch nur auf die vergangenen Jahre, in denen eine konservative Regierung die Gesellschaft zunehmend zerstört hat. Sei es durch den Brexit, sei es durch die Covid-Zeit, als selbstsüchtige Typen sich die Taschen vollgestopft haben, auf Kosten von Menschen, die im Sterben lagen. In Schottland wollen wir eigentlich anders sein als im restlichen UK. Wir wollen anders mit Geflüchteten umgehen, anders mit Drogensüchtigen, anders mit der Gender-Frage. Für diese Themen stand Nicola Sturgeon, die das Leben vieler Schotten besser gemacht hat.Die schottische Regierungschefin ist im Februar zurückgetreten, nachdem sie es nicht geschafft hatte, ein zweites schottisches Unabhängigkeitsreferendum auf den Weg zu bringen. War das der Grund?Der Grund war, dass ein paar alte Männer ihre Köpfe zusammengesteckt haben, um sie zu Fall zu bringen. Nicolas Verbrechen war es, eine Frau zu sein.Man spürt Ihre Wut, dennoch spielt Ihre neue Romanreihe nicht im Heute, sondern in der Vergangenheit. Wieso?Zum einen natürlich, weil man die Gegenwart sehr gut durch die Linse der Vergangenheit betrachten kann und sich in diese Geschichten viele Anspielungen einbauen lassen auf das, was heute vor sich geht. In 1979 geht es um den sogenannten Winter der Unzufriedenheit, die Streiks, die Arbeitslosigkeit, die Medien, die nicht mehr berichteten, sondern selbst eine politische Agenda hatten. Vieles von dem, was damals los war, ähnelt dem, was heute passiert.Und zum anderen?Das hat mit Corona zu tun. Die Situation war ja völlig unklar 2020, und ich hatte keine Idee, wie ich damit als Schriftstellerin umgehen kann. Also wendete ich mich der Vergangenheit zu. Außerdem drängte mich mein Verlag schon länger, eine Autobiografie zu schreiben, und ich habe einfach keine Lust, Jahre mit Nabelschau zu verbringen. Ich habe viele Geschichten zu erzählen, die spannender sind als meine eigene.Sie haben damals wie Ihre Heldin Allie Burns selbst als Journalistin gearbeitet.Ja, und ich will mit dieser Romanreihe reflektieren, wie sich Schottland und Europa verändert haben seit damals. Es ist mir wichtig, die Vergangenheit am Leben zu halten. In 1989 etwa geht es um die Aids-Krise, und Leser:innen sind auf mich zugekommen und haben mir erzählt, sie hätten vergessen, wie schlimm es damals war. In einem anderen meiner Romane, Der lange Atem der Vergangenheit, ging es um die Balkankriege, und auch hier hatten viele diese Zeit schon fast vergessen oder wussten ohnehin wenig drüber. Als Romanautor:innen haben wir einen Vorteil gegenüber Sachbuchautor:innen – die meisten Leser:innen würden ein Sachbuch zum Thema Balkankrieg nicht lesen, aber einen Krimi mit dem Balkankrieg als Background schon. Dieser Bezug zur politischen Realität ist auch etwas, das sich erst mit meiner Generation von Krimiautor:innen entwickelt hat. Wir haben versucht, dem Kriminalroman Bedeutung zu geben.Wie Sie ist auch Allie lesbisch, gibt es sonst viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen?Die meisten Anekdoten aus den Romanen stammen aus meiner Zeit als Journalistin in Glasgow und später Manchester. Ich hatte Freundinnen, die ähnlich wie Allie Zeit brauchten, um die eigene Stimme zu finden. Da war ich anders. Ich hatte viel Spaß in den Siebzigern. Ich war jung, frei und Single und hatte zum ersten Mal im Leben Geld in der Tasche.Dennoch sind viele Ihrer Erfahrungen in Ihre Romane eingeflossen. Wie war es damals, als junge Frau in der Männerdomäne Journalismus zu arbeiten?Es gab beim Daily Record nur drei Reporterinnen, und wir sollten nicht zur selben Zeit im Büro arbeiten, weil man dachte, dann würden wir nur rumsitzen und klatschen. Frauen haben meist nur die soften Geschichten schreiben dürfen – ich musste zunächst über verdammt viele süße Babys berichten. Und natürlich gab es diesen beiläufigen Sexismus, zum Beispiel, dass man am Fotokopierer angetatscht wurde. Wobei das aufhörte, nachdem ich den Typen in die Eier gehauen habe. Sie müssen übrigens nicht glauben, dass es zwischen den Frauen uneingeschränkte Solidarität gab. Wer Erfolg hatte, verhielt sich wie Margaret Thatcher: Ich habe es ohne Hilfe bis hierhin geschafft, warum sollte ich jemandem helfen?Auffällig ist, dass es in „1979“ und „1989“ wenig Gewalt gibt, der einzige Mord in „1979“ etwa geschieht erst im letzten Drittel des Romans. War das eine bewusste Entscheidung?Ja, aber ich habe aus 1979 gelernt, dass die Leute den Mord früher wollen. Deshalb findet der Mord in 1989 zwar auch wieder später statt, wird aber angekündigt. Vielleicht sind die Leser:innen zu sehr konditioniert. Sie achten nicht darauf, wie viel Arbeit wir investieren, um so gut wie möglich zu schreiben. Sie wollen ein Geheimnis und eine Lösung. Aber wenn du sie auf die erste Leiche warten lässt, hast du vielleicht eine Chance, dass sie bemerken, was du wirklich kannst.
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