Im Herz der Finsternis

Krimi Jonathan Robijn schleicht durch die Schatten der belgischen Kolonialhistorie in Zaire
Ausgabe 15/2019
Jonathan Robijn geht einem der vielen Verbrechen auf den Grund, das Belgiens Kolonialherrschaft an den Familien im Kongo beging
Jonathan Robijn geht einem der vielen Verbrechen auf den Grund, das Belgiens Kolonialherrschaft an den Familien im Kongo beging

Foto: H. Goldstein/Central Press/Getty Images

Im Foyer von Brüssels notorischem Afrika-Museum stehen noch immer die überlebensgroßen Statuen, mit denen Belgien einst sein kolonialistisches Selbstbild in Bronze goss. Missionare breiten da in gütiger Geste ihre Mäntel über nackte Kinder und „Belgien bringt dem Kongo Zivilisation“, lautet dazu eine Inschrift, eine andere: „Belgien bringt dem Kongo Wohlstand.“ Sie erinnern nachdrücklich daran, dass nicht nur die Verbrechen einer Kolonialmacht monströs sein können, sondern auch ihre Selbstgerechtigkeit. Der belgische Autor Jonathan Robijn könnte die Statuen vor Augen gehabt haben für seinen schmalen, verhaltenen Roman. Kongo Blues ist das genaue Gegenteil zu ihrer Monumentalität, er erzählt von einem Mann, der seiner selbst beraubt wurde, seiner Geschichte, seiner Familie, seiner Liebe.

Morgan schlägt sich als Pianist durch sein einsames Leben in Brüssel. Es sind die achtziger Jahre, das Leben ist noch nicht durchökonomisiert, und weil die Leute nicht nur mit sich selbst oder mit Medien beschäftigt sind, engagiert ihn hin und wieder ein Café als Klavierspieler. Einmal morgens begegnet Morgan der jungen Simona. Halb erfroren liegt sie vor Smolders Fahrradwerkstatt im Schnee, mit einem dicken Bündel Geldscheinen in der Manteltasche. Morgan nimmt sie auf in seine winzige Wohnung.

Simona ist wie er im Kongo aufgewachsen, allerdings privilegiert. „Das Binnenland von Zaire, wo sie als Kind gelebt hatte, war eine Gegend, in der die Diamanten an den Bäumen wuchsen und Gold und Kupfer aus dem Wasserhahn kamen.“ Ihr Vater war ein belgischer Ingenieur, der im Kongo zu Reichtum kam. Morgan weiß nicht einmal, wer seine leiblichen Eltern waren und wie er nach Belgien kam. Er wurde als Kind von einer flämischen Familie adoptiert. Es waren gute Leute, versichert er, der Vater war beim Militär, die Mutter brachte ihm das Klavierspielen bei. Mit siebzehn gaben sie ihn den Behörden zurück. Morgan hat sich abgewöhnt zurückzublicken, es wäre viel zu schmerzhaft.

Unbekümmert, aber wohlmeinend „kolonialisiert“ Simona sein Leben. Sie quartiert sich bei ihm ein, lädt ihn in teure Restaurants ein, fährt mit ihm an den Strand nach Ostende und ruft Erinnerungen an den Kongo wach. An den Klang afrikanischer Nächte. An Flüsse, die man nur über die Rücken treibender Nilpferde überqueren kann. An die Gier: „Blut, Menschen, Elefanten, nichts war sicher, wenn es nur Geld brachte.“

Simona ist eine rätselhafte Frau. Ihre Zuneigung scheint aufrichtig. Aber was will sie in Brüssel? Woher hat sie das viele Geld? Und wer ist Walter, der Morgan in seinem Café spielen lässt? Tag für Tag hofft Simona auf einen Termin im Außenministerium, sie wartet auf einen Mann, den der Zug aus Lüttich nicht bringt. Eines Tages verschwindet sie und lässt Morgan allein vor den Abgründen zurück, die sie aufgerissen hat.

Mission und Verbrechen

Der 1970 in Gent geborene Robijn ist ein zurückgenommener Erzähler. Er hat Soziologie studiert, bei Ärzte ohne Grenzen gearbeitet und ein Faible für Jazz. Sein Roman geht einem der vielen Verbrechen auf den Grund, das Belgiens Kolonialherrschaft an den Familien im Kongo beging und bei dem die Missionarinnen der Soeurs Blanches d’Afrique bereitwillig assistierten. Dass der Verlag den Roman als Kriminalroman etikettiert, führt dennoch ein wenig in die Irre. Kongo Blues erzählt von der Suche nach historischer Wahrheit in einem Land, in dem sich die Herren lange mit ihren Reisen in den Kongo brüsteten: „Das Erste, was sie mich gefragt haben, war: ‚Die Unabhängigkeit, patron, wann ist die denn wieder vorbei?‘ “ Denn auch wenn Robijn vieles im Ungefähren lässt und seine Figuren schattenhaft bleiben, erzeugt er in seinem Roman nicht höchste Spannung, sondern Empathie. Die leisen Töne, die er dabei anschlägt, machen Kongo Blues zu einem musikalischen Roman. Sie hallen länger nach als alles Getöse.

Info

Kongo Blues Jonathan Robijn Jan-Frederik Bandel (Übers.), Edition Nautilus 2019, 176 S., 16,90 €

Thekla Dannenberg schreibt die Kolumne „Mord und Ratschlag“ auf perlentaucher.de

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