Kamala Harris verkörpert Hoffnung

Vizepräsidentin Die gewählte Vizepräsidentin zeigt, dass heute mehr geht, als man gestern dachte
Ausgabe 46/2020
Kamala Harris ist nicht bloß die erste Frau, sondern auch die erste Frau of Color in diesem Amt
Kamala Harris ist nicht bloß die erste Frau, sondern auch die erste Frau of Color in diesem Amt

Foto: Win McNamee/Getty Images

„Ich werde die erste, aber nicht die letzte Frau in diesem Amt sein“. Mit diesen Worten feierte eine strahlende Kamala Harris am Samstagabend ihre Wahl zur Vizepräsidentin der USA. „Jedes kleine Mädchen, das heute zuschaut, kann sehen, dass dies ein Land der Möglichkeiten ist.“ Das erwachsene Publikum konnte bei der Siegesfeier der Demokraten aber auch keinen Moment übersehen, dass das vielgelobte „Land der Möglichkeiten“ im 21. Jahrhundert anders aussieht als Trumps „Great America“. Und dass es anders, vielfältiger und vielfarbiger, aussehen muss, wenn es sein Versprechen an die Zukunft einhalten will.

Kamala Harris ist nicht bloß die erste Frau, sondern auch die erste Frau of Color in diesem Amt. Als Tochter eines afro-jamaikanischen Vater und einer indisch-tamilischen Mutter erinnert sie daran, dass die USA ein Einwandererland sind. Auch ihr Privatleben ist so komplex wie die heutige Wirklichkeit: Ihr Ehemann Doug Emhoff ist weiß und jüdisch und wird der erste Vize-Gentleman der US-Geschichte sein. Kamala Harris hat ihn – ganz untypisch für eine US-amerikanische Frau – erst mit 49 Jahren geheiratet und ist damit Teil einer Patchworkfamilie mit zwei Kindern geworden. Für die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner ist das ein gut nachvollziehbarer Lebenslauf.

Eine kleine rechtsextreme Minderheit bezweifelte allerdings, wie schon bei Barack Obama, dass eine Schwarze wie Kamala Harris überhaupt wählbar ist. Eine Frau mit einer alleinerziehenden Hindu als Mutter. Eine Frau, die in ihrem Twitterprofil aus Respekt vor Transgenderpersonen ihr eigenes Personalpronomen „sie/ihr“ anführt.

Kleiderwahl mit Bedeutung

Die erste gewählte Frau im Weißen Haus versteht sich als Teil eines langen Kampfes gegen Rassismus und Sexismus. Nach ihrer Wahl bedankte sie sich besonders herzlich bei den Schwarzen Wählerinnen. Sie seien „das Rückgrat der Demokratie“. Harris, die die Vorliebe vieler US-Politikerinnen für symbolische Kostümierung teilt, ehrte mit ihrem weißen Hosenanzug die Frauenrechtlerinnen, die in den USA vor genau hundert Jahren das Frauenstimmrecht erkämpften. Und sogar die weiß schimmernde Seidenbluse mit Halsschleife war mehr als eine modische Kleiderwahl: Die sogenannte Pussy-Bluse ersetzte Hemd und Krawatte für die Berufsfrauen, die in den 1960er-Jahren massenhaft auf den US-amerikanischen Arbeitsmarkt strömten.

Auf der Siegesfeier am vergangenen Samstag verströmte die frisch gewählte Vize vor allem Dankbarkeit und Versöhnlichkeit. Doch die ehemalige Staatsanwältin und Justizministerin des großen Bundesstaates Kalifornien hat auch eine härtere Seite. Ihre Kampfeslust zeigte Senatorin Harris zur Freude der Linken während des Absetzungsverfahrens gegen Donald Trump im US-Kongress. Ihre vorherige dreizehnjährige Karriere als angriffslustige Juristin ist für die Demokratin hingegen eher eine politische Altlast.

Zwar zeigte sie sich in dieser Zeit aufgeschlossen für Reformen, etwa bezüglich Umwelt-, Arbeits- und Konsumentenrecht, doch Kamala Harris war auch eine äußerst ehrgeizige Staatsanwältin, stolz darauf, die Verurteilungsrate von Straffälligen hochzutreiben, ohne Rücksicht etwa auf den systemischen Rassismus des Rechtssystems.

Diesbezüglich hat sich indes etwas geändert. Erst als Präsidentschaftskandidatin und dann als Vize von Joe Biden ist Kamala Harris konsequent mit Black Lives Matter marschiert. Gegen Rassismus werde es nie eine Impfung geben, sagt sie im Corona-Jahr 2020. In dieser Sache müssten die Menschen selber die harte, die notwendige und gute Arbeit leisten. „Wir werden mutig handeln“, versprach die frisch nominierte Vize am Parteitag der Demokraten im August. Nach ihrem Wahlsieg zitierte sie den kürzlich verstorbenen Bürgerrechtler John Lewis: Demokratie sei kein Zustand, sondern eine Tätigkeit. Eine Tätigkeit, die Opfer verlange, aber auch Freude bringe.

Die Wahl von Kamala Harris zur mächtigsten Frau der USA beweist, dass heute mehr möglich ist, als gestern noch denkbar war. Das ist nach vier Jahren Panikmache doch schon etwas.

Lotta Suter ist Mitbegründerin der Schweizer Wochenzeitung WOZ . Sie arbeitet seit 1997 als Korrespondentin in den USA

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