Klimakrise auf den Philippinen: Allein gelassen mit den Taifun-Schäden

Reportage Wegen der Klimakrise häufen sich die Taifune auf den Philippinen. Dabei wird gerne die „Resilienz der Filipinos“ gelobt und übersehen, dass sie die Schäden ohne staatliche Hilfe bewältigen müssen
Ausgabe 17/2024
Ende 2021 fegte Taifun „Odette“ das Haus hinweg, in dem Sanciana Ereno geboren wurde und sieben Kinder großgezogen hat
Ende 2021 fegte Taifun „Odette“ das Haus hinweg, in dem Sanciana Ereno geboren wurde und sieben Kinder großgezogen hat

Foto: Oscar Espinosa

Die Philippinen liegen im Pazifischen Feuerring und sind laut dem Global Climate Risk Index von 2021 eines der Länder, die am stärksten unter Folgen des Klimawandels zu leiden haben. Der gut 7.000 Inseln umfassende Archipel steht an vierter Stelle der am stärksten betroffenen Regionen, denen tropische Wirbelstürme zusetzen, wie sie seit einem Jahrzehnt häufiger und heftiger werden. „Ich lebe immer in Angst vor dem, was passieren könnte, möchte aber nirgendwo anders hin“, sagt Sanciana Ereno aus der Küstenstadt Burgos auf der Insel Siargao. Dort hat sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht, auf diesem Eiland gründete sie eine Familie und wurde vor elf Jahren Witwe.

Die 70-Jährige hatte schon manchen Wirbelsturm vorbeiziehen sehen, bevor am 16. Dezember 2021 der Taifun „Odette“ das Haus hinwegfegte, in dem sie geboren wurde und ihre sieben Kinder großzog. „Wie üblich wurden wir vor dem Taifun in den Gemeindepavillon evakuiert. Wir rannten los, ohne groß etwas mitzunehmen“, erinnert sie sich. „Als wir nach Tagen der Ungewissheit endlich zurückkehren konnten, sahen wir, dass ‚Odette‘ nahezu alles zerstört hatte.“

Sanciana blieb eine Woche im Evakuierungszentrum und zog dann ins Haus der Schwester, die sie aufnahm, während der Wiederaufbau ihrer zerstörten Wohnstätte begann. Das wäre nicht ohne die Hilfe von Sancianas Kindern zu schaffen gewesen, die in Manila leben und ihr Geld schickten, damit sie Holz, Blech, Bambus und Kunststoff erwerben konnte. Sanciana bezieht keine Rente und schlägt sich mit sporadischen Reinigungsarbeiten durch.

Keine staatliche Hilfe gegen Taifun-Schäden

Vom Taifun zerstört wurde Ende 2021 auch das Haus der Familie Baliña auf Siargao. „Als wir uns 2004 hier niederließen, hatten wir nichts, nur einen Tisch, den wir abends in ein Bett verwandelten“, erzählt die 45-jährige Gay Baliña. Ihr Mann Vicente lächelt wehmütig in sich hinein. Beide lebten mit der minderjährigen Tochter buchstäblich über dem Meer, in einer Hüttensiedlung, die auf hölzernen Stelzen stand und Windstärken von bis zu 250 Stundenkilometern, mit denen ein Taifun heranrasen kann, nicht standhielt. Auch die Familie Baliña büßte so durch „Odette“ ihr Zuhause ein. „Wir haben danach vorübergehend in den Überresten eines Zelts gewohnt, bis die Hütte Stück für Stück wiederhergerichtet war“, erzählt Gay. Durch den Verkauf von Fisch und Bananen versuche die Familie, etwas zu verdienen und so das neue Obdach abzuzahlen. „Bevor uns der Taifun alles genommen hat, gab es ein Zimmer, das wir an Feriengäste vermieteten – das war unsere Haupteinnahmequelle. Auch das ging verloren“, erzählt Gay. Finanzielle Hilfe vom Staat sei nicht bei ihnen angekommen. Erhalten hätten sie nach dem Taifun lediglich Lebensmittel. Die Familien auf der Insel seien es gewohnt, die von tropischen Stürmen verursachten Schäden selbst zu beheben.

Schon 2009 habe ein Wirbelsturm verheerende Folgen gehabt. „Wir wissen, dass es immer wieder passieren kann, und können nur hoffen, dass der nächste Taifun nicht so stark wird wie der vorherige. Aber in der Regel ist genau das Gegenteil der Fall.“

Am Nachmittag des 16. Dezember 2021 traf das Auge des Taifuns „Odette“ auch den Ort Liloan auf der Insel Cebu. Vom Viertel Caducan neben dem Hafen – Refugium für etwa 130 Bewohner – blieb kaum etwas übrig. Alle mussten in einer Schule untergebracht werden, für zwei Monate auch die Familie Manlimos. „Es gab Hilfe. Wir bekamen Material, mit dem wir uns wenigstens eine provisorische Behausung bauen konnten, aber es reichte nicht“, sagt Ruffa Manlimos und zeigt auf den Flecken Erde, auf dem sich ihre Eltern vor 35 Jahren niedergelassen haben. „Bis heute müssen wir jedes Mal, wenn es regnet, Plastikplanen befestigen, um uns zu schützen. Wir haben kein Geld für ein Dach und müssen mit dem auskommen, was wir uns so eben leisten können.“

In der Hütte leben neun Menschen: Ruffa und ihre Tochter Princess, die durch den Taifun traumatisiert wurde und mehrere Tage lang nicht sprechen konnte, Ruffas 59-jährige Mutter Marielou, die mit 55 Jahren einen Schlaganfall erlitten hat, drei von Ruffas Geschwistern und drei weitere Kinder. Sie hoffen, die Hütte besser befestigen zu können, bevor die nächste Taifun-Saison beginnt. „Auch wenn ich nicht weiß, wie ich es schaffen soll, etwas dafür zurückzulegen. Ich bin im Moment die Einzige in der Familie, die arbeitet: Ich mache Maniküre in der Nachbarschaft. Meine Mutter ist seit dem Schlaganfall behindert. Unterstützung gibt es nicht“, erzählt Ruffa Manlimos, während sie ihre Mutter massiert.

Fehlender Hochwasserschutz der Philippinen

Taifune haben zuletzt auch der Kleinstadt Albuquerque auf der Insel Bohol zugesetzt und das 100 Jahre alte Haus getroffen, in dem Demetriadez Loretero mit ihren drei jüngsten Kindern lebt. „Die Eltern meines Mannes wohnten schon hier“, meint die 74-jährige Witwe. Obwohl ihre drei Kinder als Fischer und Fischmarktverkäufer arbeiten, reicht das Einkommen gerade einmal für die täglichen Lebensmittel. „Wie wir etwas sparen sollen, wissen wir nicht. Wir erhielten keine Hilfe wegen der Sturmschäden. Es wurde angenommen, dass uns der Teil der Familie unterstützt, der in Kanada lebt, aber so war es nicht.“

Immer wieder werden die Küstenregionen von extremen Wetterbedingungen heimgesucht. Im Oktober 2020 ließ Taifun „Quinta“ nichts von dem Haus übrig, in dem die 24-jährige Evora Ortilano mit ihrem Mann und dessen Familie am Strand von Barangay Lazareto auf der Insel Mindoro lebte. Bis heute halten sie bei Verwandten im gleichen Viertel aus. Eine Zeitlang war Evora als Haushaltshilfe in Manila, um Geld zu verdienen, und ihr 28-jähriger Mann Francis nahm alle Gelegenheitsjobs an, die sich ergaben. Aber eine feste Arbeit hatte er nie. „Meine Schwiegermutter musste in die Vereinigten Arabischen Emirate gehen, um zu arbeiten. Sie schickt uns jeden Monat Geld für das tägliche Leben“, erklärt Evora, die sich darum kümmert, dass die Familie in ihrer Not nicht auseinanderfällt. Wenn eine neue Taifun-Saison beginne, binde sie das Dach mit Stricken fest und hoffe, dass ihr jetziges Provisorium von einem Totalschaden verschont bleibt.

In den zurückliegenden Jahren kamen auf den Philippinen bei Wirbelstürmen mehrere tausend Menschen ums Leben. Nach einem Inferno dieser Art wurde häufig die „Resilienz der Filipinos“ beschworen. Doch blieb dabei häufig ausgeklammert, dass die besonders Gefährdeten die Taifun-Schäden in der Regel ohne Hilfe von außen bewältigen müssen. Wer die mutmaßliche „Widerstandsfähigkeit“ idealisiert, bürdet die Lasten wie selbstverständlich Menschen auf, die kaum fähig sind, sie zu tragen. Sie sind nach einem Taifun oft lokalen Administrationen ausgeliefert, die ihnen gleichgültig begegnen. Diese Behörden werden höchst selten für die mangelnde Bereitschaft zur Rechenschaft gezogen, dem Wohl der ihnen anvertrauten Bevölkerung Vorrang einzuräumen.

Eine Kritikerin des Mythos von der „philippinischen Resilienz“ ist Senatorin Grace Poe. Sie beobachtete besorgt, wie sich jüngst ein Untersuchungsausschuss des Senats in Manila mit der Überflutung der Insel Luzon befasste, zu der es während der Corona-Pandemie durch zwei Taifune kam. Die Häufigkeit, mit der das Land mittlerweile Wirbelstürmen ausgesetzt sei, werde vorrangig auf den Klimawandel zurückgeführt, so Poe. „Aber für den Tod von Menschen und den Verlust von Eigentum sind auch schlecht geplante Bauten verantwortlich, die den Hochwasserschutz vernachlässigen, und die Entwaldung ländlicher Regionen. Statt eine ‚Resilienz der Filipinos‘ zu verklären, sollte die Regierung eingreifen und Menschen aus Gefahrenzonen holen. Wir sind tatsächlich widerstandsfähig, aber es gibt Katastrophen, die sich vermeiden lassen.“

Laura Fornell ist freiberufliche Autorin und mit dem Fotojournalisten Oscar Espinosa am Amalgama-Projekt beteiligt

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