Die Geburtsstunde der modernen Versicherung ist der Schiffbruch und die Piraterie. Sie entstand als Antwort auf ein einfaches Problem: Mittelalterliche venezianische und Genueser Kaufleute sandten ihre Schiffe nach Asien, um von dort Gewürze, Perlen und Seide nach Europa zu bringen. Die Eigner wussten, dass von den ausgesandten Schiffen einige nicht zurückkommen würden – weil sie sanken, im Sturm kenterten oder von Piraten gekapert wurden. Also zahlte jeder eine kleine Prämie, woraus der Verlust des unglücklichen Kaufmannes, dessen Galeasse nicht wiederkehrte, ersetzt wurde. Lässt man die Piraten außer Acht, dann musste der Versicherer vor allem eines kalkulieren: das Risiko, dass ein Sturm ihm die Bilanz verhageln würde.
Heute stehen große
große Versicherungen vor demselben Problem: Wie hoch sollen sie die Prämien für Versicherungen gegen Waldbrandschäden ansetzen? Gegen die Kosten von Sturmfluten, Überschwemmungen, Hurrikans und Wirbelstürmen? Drohen die Folgeschäden der Klimakrise unkalkulierbar zu werden? Nach Angaben des größten Rückversicherers der Welt, Munich Re, haben Extremwetterereignisse im ersten Halbjahr 2023 zu Schäden von insgesamt 110 Milliarden Dollar geführt. Davon waren allerdings nur 43 Milliarden Dollar versichert. Die Zahlen liegen deutlich über dem Durchschnitt selbst noch der letzten zehn Jahre. Auch der Rückversicherer Swiss Re belegte eine ähnliche Entwicklung: Das Schadensausmaß wachse jedes Jahr um fünf bis sieben Prozent, vor allem wegen der Zunahme von schweren Unwettern. In den USA habe es in der ersten Jahreshälfte 2023 allein zehn Stürme gegeben, die mehr als eine Milliarde Dollar an Schäden verursacht haben. Ähnliches gilt für Waldbrände, die weltweit zwischen 2018 und 2022 Schäden von fast 70 Milliarden Dollar verursacht haben, und Überschwemmungen wie Sturmfluten oder nach Starkregen.Die Sturmflut Ende Oktober an der Ostsee hat, so sagt es der Bürgermeister von Sassnitz auf Rügen, allein in seiner Gemeinde einen Sachschaden an der Promenade, der Hafenmole und dem Kurplatz „im dreistelligen Millionenbereich“ angerichtet. Die Schäden der Ahrtal-Flut im Juli 2021 beliefen sich auf 34 Milliarden Euro, von denen nur acht Milliarden Euro von einer Versicherung abgedeckt, ergo ersetzt wurden. Wäre man ein Genueser oder venezianischer Schiffsversicherer, entspräche das dem Sinken von einem immer größeren Teil der Flotte: Irgendwann wird man sagen, sorry, aber das Risiko ist zu groß und zu unberechenbar, um es noch abzudecken.Versicherungsreise verdreifachen sich, Immobilien verlieren drastisch an WertGenau das passiert heute schon in den USA: Vor allem in den Bundesstaaten, die am stärksten von Wirbelstürmen (Texas, Florida, Louisiana) und von Waldbränden (Kalifornien) betroffenen sind, bieten mehrere Versicherer keinen Schutz mehr gegen diese Gefahren an. Übrig bleiben kleinere Anbieter – und sich verdreifachende Preise für die noch vorhandenen Versicherungen. Das hängt nicht nur mit dem Klimawandel zusammen, sondern auch mit gestiegenen Baukosten: Die Versicherer decken ja den Wiederaufbau ab, der immer teurer wird. Die Folgen: Es wird zum einen nur mehr für Reiche leistbar, in besonders vom Klimawandel betroffenen Regionen in den USA zu leben, weil sich die Armen die Versicherungsprämien dort nicht mehr leisten können. Zugleich gelten manche Regionen nun als unversicherbar, was für die dort lebenden Menschen bedeutet, dass ihre Häuser drastisch an Wert verlieren. Nun haben Versicherungen Tricks, das Risiko aufzuteilen und sich abzusichern: Sie teilen eine Police auf mehrere Versicherer auf, sie „poolen“ das Risiko, bitten ihre Kunden über Selbstbehalte zur Kasse oder schließen für die von ihnen übernommenen Gefahren eine Rückversicherung ab: also eine Versicherung, bei der die Versicherer ihre Policen selber wieder versichern, wie die eingangs erwähnten Swiss Re oder Munich Re. In den USA haben die Kosten für Rückversicherungen, die gegen Extremwetter Schutz bieten, im vergangenen Jahr um 20 bis 40 Prozent angezogen. Europa hinkt hinterher, aber auch hier sind sie um die zehn Prozent gestiegen.Manche Versicherer ziehen aus dieser Entwicklung den Schluss, dass sie etwas gegen den Klimawandel tun wollen. Axa zum Beispiel beschloss 2015, Kohlefirmen nicht mehr zu versichern. Der CEO teilte mit: „Wir haben keine Wahl. Eine um zwei Grad wärmere Erde ist noch versicherbar. Eine um vier Grad wärmere wird es sicher nicht sein.“ Klang gut, setzte sich aber nie durch.Die meisten Versicherer unterschreiben nach wie vor Policen für fossile Investitionen, solange sie damit Geld verdienen. Typischerweise prognostizieren Versicherungen die Gefahren künftiger Naturkatastrophen auf der Grundlage der Vergangenheit. Derartige Modelle funktionieren aber nicht mehr: In den vergangenen Jahren haben die Schäden aus Überschwemmungen und Stürmen die Erwartungen der Modelle stets übertroffen, was die Versicherung zu einem Verlustgeschäft macht.Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich Versicherer selbst für mehr Präventionsmaßnahmen einsetzen. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) geht in dieser Hinsicht voran und fordert klimaangepasstes Planen und Bauen sowie einen Stopp der Flächenversiegelung. Würde der GDV das bis zum Ende weiterdenken, könnten seine Mitglieder auch echten Klimaschutz fordern, der die Erderwärmung einbremst: Sie wären die ersten Profiteure, wenn die Katastrophe ausbleibt.