Eine gute und eine schlechte Nachricht. Zuerst die gute: „Klimaneutral“ werden zu wollen, ist das neue coole Ding für Staaten, Regionen und Unternehmen. Es ist ein bisschen so, wie am #Blackouttuesday eine schwarze Kachel auf Instagram gegen Rassismus zu posten oder sich bei der Ice Bucket Challenge einen Eimer Wasser über den Kopf zu schütten, um damit auf die Nervenkrankheit ALS aufmerksam zu machen. Wer nicht dabei ist, hat echt den Schuss nicht gehört. Jetzt also: null Emissionen.
Seit Dezember 2020 ist der Anteil der Länder, die dieses Ziel gesetzlich verankert haben oder in einem gewichtigen politischen Dokument versprechen, von sieben auf 75 Prozent gestiegen. Das ist das Ergebnis einer Analyse von Forschenden des Net Zero Tracker, einer Kollaboration von Nichtregierungs- und Forschungsinstitutionen aus England, Deutschland und den USA. Vor wenigen Tagen veröffentlichten sie ihren dritten Bericht, in dem sie die Klimaneutralitätsversprechen analysierten. Die nationalen Versprechen repräsentieren nun 88 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen (im Vergleich zu 61 Prozent im Jahr 2020) oder 89 Prozent der Weltbevölkerung (im Vergleich zu 52 Prozent 2020). „Dies zeigt, dass die Regierungen Maßnahmen in Richtung Netto-null-Emissionen als langfristig entscheidend ansehen“, kommentierte das die malawische Expertin Malango Mughogho – und man kann den Zweckoptimismus schon deutlich raushören.
Auch die Wirtschaft ist auf den Netto-null-Zug aufgesprungen: 929 Unternehmen der Forbes-Liste wollen nun klimaneutral werden. 2020 waren es noch weniger als halb so viele. Und jetzt schnallen Sie sich an: Selbst die Mehrheit der fossilen Energieunternehmen ist dabei, wenn es heißt: „Klima ist wie Bier: Warm = Scheiße!“ 75 der 114 größten Kohle-, Öl- und Gasunternehmen wollen dem CO₂ Adieu sagen, das sie selbst verursachen. „Von fossilen Energieunternehmen zu erwarten, klimaneutral zu werden, mag so wirken, als würde man von Truthähnen verlangen, für Weihnachten zu stimmen“, räumte Steve Smith ein, einer der Beteiligten am Net Zero Tracker.
Stimmt, das kann niemand wollen, was uns zur schlechten Nachricht bringt: All diese Versprechen sind leer – oder „Schall und Rauch“, wie die Fantastischen Vier sagen würden. Sie reimten darauf: „Bevor wir fallen, fall’n wir lieber auf!“ Die Länder, Regionen, Städte und Unternehmen scheinen sich damit angefreundet zu haben, dass wir fallen, alle zusammen, und im freien Fall werden wir noch Klimaplakate hochhalten: „Keine Kohle für die Kohle!“
Die Forschenden des Net Zero Tracker verglichen die Versprechen mit den Anforderungen der Kampagne „Race to Zero“, mit der die Vereinten Nationen Klimaneutralität fördern wollen. Diese Kampagne hat eine Startlinie, also absolute Mindestanforderungen. Eine davon ist sehr simpel: Man muss einen Plan haben, wie man das erreichen will. Fast niemand erfüllt die Kriterien dieser Startlinie. So haben etwa die fossilen Energieunternehmen gar nicht vor, aus den fossilen Energien auszusteigen. Aber man kann eben einfach so tun. Na gut, das kann ich auch!
Machen Sie sich keine Sorgen, ich plane, in naher Zukunft die Weltherrschaft an mich zu reißen, und dann werde ich alle Ölbohrungen einstellen und alle Kohlebagger stoppen, ich werde bunte Windräder aufstellen und Wellenkraftwerke bauen lassen, die Tierfabriken schließen und Naturschutzgebiete eröffnen. Es wird toll werden! Ich freue mich darauf, Sie in meinem Königreich begrüßen zu dürfen.
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