Die neue Erzählung von der Anpassung an den Klimawandel: Habt euch nicht so!
Untergang Wer redet noch von Katastrophe? Anpassung ist der neue Trend in der Klima-Erzählung. Ein Trend, der viele Schulmeister hat – und nichts anderes ist als eine Neuauflage des faschisierten Pseudo-Darwinismus
Ein, nun ja, lästiges Detail: Nicht allen stehen dieselben Mittel für die große Anpassung zur Verfügung
Foto: Peter Menzel/Agentur Focus
Das, was unter den Stichworten „Klimawandel“, „Erderwärmung“ oder einfach „Katastrophe“ seit geraumer Zeit ein Hintergrundrauschen aller Diskurse und Debatten war, ist längst vom Stadium eines Szenarios in das der direkten Evidenz übergegangen. Waldbrände, Überschwemmungen, Stürme, Dürren, Artensterben, Gletschersterben, Ernteausfälle finden statt. Das nächste absehbare Stadium ist die Verwandlung von „irgendwie“ zusammenhängenden Einzelkatastrophen in einen katastrophischen Zustand.
Das Unangenehme der katastrophischen Evidenz liegt in ihrer Unberechenbarkeit. Es gibt Menschen, Ideen und Kulturen, denen eine sichere Apokalypse immer noch lieber ist als ein Zustand der chaotischen Offenheit. Eb
enheit. Ebenso aber gibt es auch Menschen, Ideen und Kulturen, die gerade aus der Unberechenbarkeit das Apokalyptische verbannen. Da wir nicht genau wissen, was geschieht, können wir ebenso gut auch nichts tun. Schlimmer gesagt: weiter das tun, was wir schon immer getan haben.In den Gesellschaften des nicht mehr so goldenen Westens haben sich fünf Fraktionen herausgebildet:1. Die Leugner: Dort finden sich die üblichen Verschwörungsfantasten, aber ebenso auch solche, die ihrer biografischen Beharrung eine wissenschaftliche Maske verleihen (Klimaveränderungen auf einem Planeten hat es schon immer gegeben), und schließlich schlichte Ignoranten.2. Das genaue Gegenteil, die Klimaaktivisten: Sie setzen einen Teil ihrer Lebensmöglichkeiten aufs Spiel, widmen ihre Fantasie und Kraft dem gelegentlich schon verzweifelten Versuch, ihre Mitmenschen im Allgemeinen, die Politik im Besonderen dazu zu bringen, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um wenigstens einen Teil der sich abzeichnenden Katastrophe zu vermeiden.3. Die Solutionisten: Sie setzen darauf, dass die Technik, die vielleicht am Ursprung der Katastrophe gestanden hat, auch dazu eingesetzt werden kann, um sie bannen.4. Die Moralisten: Sie empfinden die Klimakrise vor allem als Prüfstein für richtiges oder falsches Verhalten. In gewisser Weise ergötzen sie sich an den Katastrophen, da sie Bestätigungen ihrer Haltung und also ihrer Überlegenheit sind.5. Mainstream, große Mehrheit also: die Relativisten, in der Mythologie des Alltags die Vertreter des Sowohl-als-auch. Man setzt auf gutmütige und marktwirtschaftliche Veränderungen, gleich weit entfernt von den „Klimaleugnern“ wie von den „Klimaradikalen“. Auch diese Fraktion ist unterschiedlich in ihrer Argumentation und Fantasie, das reicht von der Hoffnung auf einen grünen Kapitalismus bis zum Doppelbild der Apokalypse: Zu viel Klimaschutz wird zu globalen Bürgerkriegen führen. Man muss etwas tun, aber nicht übertreiben, man muss „alle mitnehmen“, soziale Verwerfungen vermeiden, und überhaupt soll nichts übertrieben werden.Was bedeutet nun angesichts all dessen Regieren? Die einfachste Möglichkeit besteht darin, sich mit einer oder vielleicht zwei zueinander offenen Fraktionen zu verbünden, wie es in erster Linie Autokraten und Populisten tun, die sich gern und erfolgreich der Fraktion der Leugner bedienen. In einer noch funktionierenden Demokratie dagegen heißt Regieren, die auseinanderstrebenden Fraktionen irgendwie auszubalancieren. Was daraus entsteht, wird zunächst als Chaos empfunden, wofür es kein treffenderes Bild als eine „Ampel-Koalition“ gibt – das heißt, ein regierungsförmiges Signalsystem, in dem die Lichter für Weiterfahren, Anhalten und Obachtgeben gleichzeitig aufleuchten.Was also wäre zu tun? Einen Konsens zu schaffen, ist innerhalb dieses auf Wettbewerb basierenden Systems weder in den Mikro-Organisationen der Gesellschaft noch im globalen Geflecht möglich: Wer etwas für den Klimaschutz tut, schwächt sich selbst und hilft dem Konkurrenten. Neun steigen aufs Fahrrad um und der Zehnte fährt sie mit seinem Zweit-SUV über den Haufen. Ein Land spart beim CO₂-Ausstoß so viel, dass sich das Nachbarland gern etwas mehr davon gönnen kann.Die Ausgangsposition für jeden Diskurs zur Klimaveränderung ist leicht beschrieben: 1. Die Katastrophe wäre nur abzuwenden, wenn wir radikale Maßnahmen ergreifen würden. 2. Das ist unmöglich, weil es a) „wir“ gar nicht gibt und b) die Folgen womöglich unberechenbarer wären als der Anlass. Die bestehende Ordnung der Welt zu retten ist wichtiger, als die Welt selbst zu retten, das leuchtet doch ein, oder?Was „wir“ (also ein Durcheinander von Wirs und Ichs und Interessen, Zwängen und Fantasien) brauchen, ist somit keine Lösung des Problems, sondern eine neue Erzählung, und das Zauberwort darin heißt: „Anpassung“. Interessant, wer sich in der Produktion dieser neuen Erzählung bisher so trifft: Springer-Chef Mathias Döpfner, ein Fernsehmoderator, bajuwarische Ministerpräsidenten und zwei Ökonomen im passenden Organ namens Der Spiegel. In den Aussagen all dieser Menschen wird der Begriff „Anpassung“ als magisches Mem verwendet und immer wieder in Gespräche und in Sätze geschmuggelt, unabhängig, ob das einen logischen Sinn ergibt oder nicht. Anpassung soll zum semantischen Zentrum der neuen Erzählung werden, deren Grundelemente rasch erklärt sind: Weder die radikale Leugnung noch der radikale Aktivismus sind mehrheitsfähig. Angesichts der Evidenz der Veränderung und der Unfähigkeit etwas gegen sie zu tun, bleibt nur als Ausweg: mit der Katastrophe agieren. Aus der Resignation heraus soll eine neue Perspektive gefunden werden, in der sich alle Fraktionen der Mitte treffen können.Söder lädt zum PraktikumAlle Vertreter der Anpassung-Erzählung (halten wir die Beobachtung, dass es sich, was die öffentliche Aufmerksamkeit anbelangt, ausschließlich um Männer handelt, für einen anderen Diskurs zurück) benutzen die Schulmeister-Rolle: Markus Söder lädt die Politiker anderer Regionen zum „Praktikum“ in Bayern ein, die Anpassungsökonomen Reiner Eichenberger und David Stadelmann erklären im Spiegel gleich in der Überschrift ihres Gastbeitrags: „So könnte Deutschland zum Klimavorbild werden“, und Markus Lanz inszenierte sich schon vergangenes Jahr im Herbst in seiner Sendung gleich als einer, der die Rotzlöffelinnen von der Letzten Generation mal gehörig abkanzelt: „Sie müssten Zutrauen haben zur Fähigkeit zur Anpassung“, herrscht er eine junge Vertreterin des Öko-Aktivismus an, und noch mehr verlangt er Zutrauen ins System, Zutrauen gar zu den Älteren. Seine Körpersprache indes zeigt: Die Anpassung, die er im Sinne hat, die hat nichts mit Zutrauen zu tun. Die verlangt Unterwerfung.So soll offensichtlich eine neue Dreieinigkeit des Konsenses entstehen: Anpassung als Generallinie – schließlich haben sich Menschen schon immer an veränderte Bedingungen angepasst (na ja, jedenfalls ein Teil), begleitet von regionalen und möglichst „netten“ Gesten (Bäume pflanzen, Bäche säubern statt Klebe-Aktionen, Grillwürste aus Soja, Designerhäuschen mit klimaneutralen Baustoffen) und retromanischem Progressismus: Zurück zur Atomenergie, und irgendwas mit Wasserstoff wird dann schon kommen. Flankiert wird sie von der militanten Ausgrenzung aller, die es wirklich ernst mit dem Klimaschutz meinen: Das Gebot der Anpassung funktioniert nicht ohne das Feindbild des Ökoterroristen.Auf die Erzählung der großen Krise folgt nun also die Erzählung der großen Anpassung, die, wenn man ihr auf den Grund geht, nichts anderes ist als eine Neuauflage des faschisierten Pseudo-Darwinismus. Anpassen an die fundamental veränderten Umweltbedingungen kann sich nämlich nur, wer die Mittel dazu hat. So hieß es etwa vonseiten der Anpassungsökonomen im Spiegel: „Zwar sind die Schäden durch Hitze, Wind, Sturmfluten, Meeresspiegelanstieg in absoluten Zahlen riesig (…). Doch relativ zur Wirtschaftsleistung betragen sie global betrachtet gemäß den allermeisten Studien ohne besonders scharfe Klimapolitik im Jahr 2100 nur etwa zwei bis sechs Prozent.“ Nachdem uns erklärt wurde, dass wir uns nicht so haben sollen, wegen menschlichem Leid und Verlust an Flora, Fauna und Lebenswelt, wenn es doch der Wirtschaft gar nicht mal so schlecht geht, wird die Idee der Anpassung nach dem alten techno-solutionistischen Prinzip propagiert: „Da die verwendeten Modellierungen zumeist die bisherigen Auswirkungen von eher kurzfristigen und lokalen Klima- und Wetterveränderungen erfassen und dann auf Klimaszenarien extrapolieren, unterschätzen sie zudem tendenziell die Anpassung von Mensch und Technik an den langfristigen und globalen Klimawandel.“Die große Erzählung von der Anpassung hat eine Kehrseite. Was ist mit denen, die sich nicht anpassen wollen, vor allem mit denen, die sich nicht anpassen können (vor allem, weil die Kultur der Anpassungsschulmeister ihnen dafür die Mittel geraubt hat)? Wissen wir doch von unserem Lieblingsfach, Wirtschaftskunde: Wer sich nicht anpasst, geht unter.