Das klingt doch fantastisch: In Kitas und Schulen möchte Christian Lindner so investieren, dass Kinder einkommensschwacher Eltern die Benachteiligung, in die sie hineingeboren wurden, aus eigener Kraft überwinden können. Klasse! Wer hat schon was gegen Investitionen für Kita und Schule? Leider handelt es sich bei den Vorschlägen des Bundesfinanzministers nicht um handfeste Investitionspläne, sondern um ein Ablenkungsmanöver von dem größten sozialpolitischen Reformprojekt der Ampelregierung, das eine handfeste Umverteilung von reich zu arm bedeuten würde – wenn sich die Familienministerin Lisa Paus gegen die FDP-Blockade durchsetzen kann.
Die Argumentationslinie, mit der der Bundesfinanzminister aus der Sommerpause zurückkehrt, ist tückisch. Die starke familienpolitische Ausrichtung auf monetäre Leistungen, für die Deutschland bekannt ist, steht weit über FDP-Kreise hinweg als Fehlsubventionierung in der Kritik: Dieses Geld, das den Familien direkt gegeben werde, fehle dann in der Kinderbetreuung und Bildungsangeboten. Der damit einhergehende Zwang zur individuellen Kindesbetreuung stelle nicht nur eine Armutsgefährdung für die Erziehungsberechtigten dar, die nicht zeitgleich einer Vollzeit-Erwerbstätigkeit nachgehen können. Obendrein erwirke die Subventionierung der heimischen Eigenbetreuung die Verstärkung sozialer Ungleichheit – mit der Folge, dass das deutsche Bildungssystem weniger als andere Bildungssysteme in der Lage ist, Ungleichheiten im Familienalltag zu kompensieren.
Klingt logisch, warum ist diese Argumentation also tückisch? Weil sie so logisch daher kommt, aber die unlogische Setzung macht, dass Geld nur entweder in monetäre Leistungen oder in die Kinderbetreuung investiert werden kann. Skandalös an dieser Setzung ist, dass jenseits des stark limitierten Haushaltes des Familienministeriums Geld in Milliardenhöhe in einen Krieg investiert wird und auch für die Entlastung von Unternehmen im Rahmen des Wachstumschancengesetzes die Sparmaßnahmen der FDP nicht zu gelten scheinen. Es geht Herrn Lindner also weniger darum, die Betreuung und Bildung der nachfolgenden Generation auszubauen, als vielmehr darum, die Finanzierung des als „größtes sozialpolitisches Reformprojekt der Ampelregierung“ angekündigten Projekts zu blockieren – die Kindergrundsicherung.
Wem gibt der Staat mehr Geld: Den wohlhabenden oder den ärmeren Eltern?
Und die Diskussion bei der Kindergrundsicherung dreht sich eigentlich um ganz andere grundsätzliche Verteilungsfragen: Sollen die durch Kinder entstehenden Kosten insbesondere von einkommensstarken Eltern im Rahmen eines Familienleistungsausgleichs kompensiert werden oder sollten die Gelder eher genutzt werden, um Kindern ein Leben jenseits von Armut zu ermöglichen? Die Frage lautet also: Für wen gibt der Staat Geld aus, für einkommensschwache oder einkommensstarke Familien? Der Familienleistungsausgleich steht dabei schon lange in der Kritik, weil er soziale Ungleichheit wenig ausgleicht: Wegen der progressiven Einkommensbesteuerung, welche dem Zweck dient, einkommensstarke stärker als einkommensschwache Gruppen durch Steuern zu belasten, erwirken Steuerfreibeträge für familiale Leistungen absurderweise den umgekehrten Effekt: Gerade besonders hohe Einkommensgruppen profitieren von den familialen Freibeträgen. Der Grundsatz der Kompensation, nach dem ein Millionär mit Kind keinen Euro weniger haben darf als ein Millionär ohne Kind, erwirkt eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben und taugt zur Reduzierung von Kinderarmut nicht. Im Gegenteil: Soziale Ungleichheit wird durch die Steuerfreibeträge unterstützt – entlang der Einkommensstärke steigt die staatliche Unterstützung, die Eltern für ihre Kinder erhalten.
Das Problem ist alt bekannt, wird nun aber, da wir mit Lisa Paus eine Finanzexpertin als Familienministerin haben, angegangen. Paus plant nichts weniger als einen Paradigmenwechsel und bezeichnet die Kindergrundsicherung entsprechend als das oben bereits zitierte „wichtigste sozialpolitische Vorhaben dieser Regierung“. Anstatt der bisherigen Umverteilung von unten nach oben erfolgt die Umverteilung mit dem neuen Instrument der Kindergrundsicherung von oben nach unten: Neben einem bedingungslosen Grundbetrag für jedes Kind erhalten Eltern eine einkommensabhängige Leistung nur bis zu einem festgelegten Höchstbetrag. Je höher das elterliche Einkommen ausfällt, desto geringer werden die Zusatzleistungen. Ab einem bestimmten Jahreseinkommen entfallen sie ersatzlos.
Deutsche und nicht-deutsche Familienpolitik
So wird die Blockadehaltung der FDP verständlich: Einkommensstarke Eltern bekommen weniger, einkommensschwache Eltern bekommen mehr, das ist Umverteilung von unten nach oben, und die gefällt einem Christian Lindner nicht. Eine solche Umverteilung liegt nicht im Interesse der FDP und ihrem Klientel. Im argumentativen Kampf um die „richtige“ Umverteilung werden daher nicht nur tückische Argumentationsketten bemüht, sondern die ganze Palette sozialdarwinistischer Begründungen ins Feld gebracht: Es gelte, in die Beschäftigungsfähigkeit der Eltern zu investieren. Mit mehr Geld für bedürftige Eltern würde man hingegen erreichen, dass Arbeitsanreize verloren gehen. Nicht zuletzt zieht der Finanzminister eine argumentative Karte, die die bisher parteiübergreifende Überzeugung durchkreuzt, dass kein Kind von Armut betroffen sein sollte: Da es sich überwiegend um Kinder nicht- „ursprünglich deutscher“ Familien handele, die arm seien, sei die Kinderarmut in diesen Fällen im Prinzip gar nicht das Problem deutscher Familienpolitik – eine These, die die Komplexität von Armutsursachen vereinfacht und verfälscht.
Es ist zu hoffen, dass die Argumente im Kampf gegen die Kindergrundsicherung, ob tückisch oder sozialdarwinistisch, ein erfolgloses Ablenkungsmanöver bleiben – und dass diese Bundesregierung nur liberal kann, oder auch sozial.
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