Familienministerin Lisa Paus wirkt in der persönlichen Begegnung unaufgeregt und bodenständig. Sie spricht ruhig und scheut keine Auseinandersetzung: Im Wirecard-Untersuchungsausschuss äußerte sie beispielsweise scharfe Kritik an Kanzler Olaf Scholz (SPD). Jetzt blockiert die Grüne den Entwurf zum Wachstumschancengesetz des FDP-geführten Finanzministeriums. Unterstützung bekommt sie von ihrer Parteikollegin, Umweltministerin Steffi Lemke. Paus’ Leitungsvorbehalt führt dazu, dass Christian Lindners (FDP) Entwurf erst bei der Kabinettsklausur in Meseberg Ende August zur Beschlussfassung kommt.
Volkswirtin und Finanzexpertin
Die FDP wirft ihr vor, sachfremd zu begründen, indem sie die Kindergrundsicherung anführe, um deren angemessene Fina
indem sie die Kindergrundsicherung anführe, um deren angemessene Finanzierung das Familienministerium seit Monaten ringt. Paus selbst äußerte sich dazu nicht, rechnen kann sie aber. Die studierte Volkswirtin saß als Obfrau der Grünen im Finanzausschuss des Bundestags. Seit 2013 ist sie Sprecherin für Steuerpolitik. Als Tochter eines international tätigen Familienunternehmers aus Niedersachsen kennt sie die Perspektiven mittelständischer Unternehmen. Lindner und Paus müssten sich ihren Expertisen nach eigentlich gut verstehen. Aber wäre zu definieren, was der FDP-Chef alles nicht ist, käme dabei ziemlich genau Lisa Paus heraus. Wofür steht die Familienministerin?Paus ist seit 1995 Mitglied der Grünen, seit 2009 Mitglied des Bundestages. Sie brennt nach eigener Aussage für soziale Gerechtigkeit, verleiht als Familienministerin den Equal Pay Award an Unternehmen, fordert seit Jahren die Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer und engagiert sich gegen Kinderarmut. Sie gehört zu den 42 Prozent weiblicher Mitglieder der Grünen. Die FDP ist mit 20 Prozent Frauen auf dem vorletzten Platz, Tendenz sinkend. Die Vermögenssteuer hatte die schwarzgelbe Koalition 1997 ausgesetzt.Im Juli hatte die Familienministerin angekündigt, das Elterngeld für Eltern mit Einkommen über 150.000 Euro zu streichen, als Reaktion auf die vom Finanzministerium gekürzten Mittel für den Haushalt 2024. Die Liberalen waren nicht amüsiert und argumentierten, das Elterngeld für Reiche zu streichen würde die Gleichberechtigung von Mann und Frau in die 1950er Jahre zurückwerfen. Doch das Elterngeld hat nur einen geringen Einfluss auf Väter in Elternzeit (nur 2,6 Prozent). Lisa Paus hielt unter den gegebenen Umständen die Streichung bei Reichen für sozial gerechter.Lisa Paus ist alleinerziehend, nachdem ihr Mann 2013 starb. Eines ihrer Ziele als Ministerin ist bessere Unterstützung für Alleinerziehende. FDP-Justizminister Marco Buschmann legte vergangene Woche einen Reformvorschlag für das Unterhaltsrecht vor. Er zielt darauf ab, unterhaltspflichtige Elternteile, die maßgeblich Zeit für die Kinderbetreuung aufbringen, im Gegenzug zu entlasten. Klingt sinnvoll, aber Väter verdienen in der Regel mehr als Mütter. Nach Buschmanns Plan sollen Väter, die sich engagieren, weniger zahlen, obwohl sie mehr verdienen. So werden besser verdienende Väter entlastet und weniger verdienende Mütter belastet. Im Ergebnis kommt weniger Geld beim Kind an. Schon heute ist jedes zweite Kind getrennt lebender Eltern armutsbetroffen.Rassismus und Klassismus vom FinanzministerDas größte Projekt der Grünen ist die Kindergrundsicherung. Mit ihr will Paus den Zugang zu Leistungen vereinfachen und die Beträge für Kinder in Armut erhöhen. Gebraucht werden dafür zwölf Milliarden Euro. Lindner will nur zwei Milliarden geben. Ein neues Gutachten der Diakonie Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet vor: Es sind sogar 20 Milliarden Euro nötig. DIW-Präsident Marcel Fratzscher sagt: „Es wäre ein Fehler, die Ausgaben für die Kindergrundsicherung auf zwei Milliarden Euro zu drücken, wie es derzeit im Bundeshaushalt vorgesehen ist.“Lindner setzte kürzlich noch einen drauf. Er zweifelte, ob Geld wirklich dabei helfe, Armut zu beheben. Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sagt: Ja! Der Finanzminister ergänzt, Kinderarmut sei ein Problem der seit 2015 zugewanderten Menschen, nicht der „ursprünglich Deutschen“, deshalb will er lieber die Integration der Eltern verbessern. SPD und Linke werten seine Aussage als rassistisch und klassistisch. Für solche Fälle gibt es die Stelle der Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung. Sie ist in Lisa Paus’ Ministerium angesiedelt.An Paus und Lindner wird ersichtlich, was auch gesamtgesellschaftlich schwierig ist: das konstruktive Aushandeln eines Sowohl-als-auch statt eines Entweder-oder. Über Jahre waren die Positionen der Parteien nicht voneinander zu unterscheiden. Die Ampel zeigt sich jetzt erfrischend kontrovers. Weil die Streitigkeiten mit viel Tamtam öffentlich problematisiert werden, statt als wichtige demokratische Aushandlungsprozesse kommuniziert zu werden, wirken sie kleinkariert. An dieser Aufgabe scheitern derzeit sowohl Lindner als auch Paus.