Koch oder Gärtner?

Kolumne Heute der Gärtner. Jakob Augstein beantwortet alle Fragen rund um den Garten. Heute: Wie versorge ich mich selbst?

Liebe Gartenfreunde, während draußen kalter Regen jeden Gedanken an den Frühling ertränkt, liegt vor mir auf dem Tisch ein großes Buch – ich hatte ja bereits erwähnt: Im Winter hat der Gärtner vor allem Träume. Und es kann darum sein, dass in Wahrheit der Winter die schönste Zeit des Gärtners ist. Also das Buch.

Es beginnt mit den Worten: „Selbstversorgung ist nicht die Rückkehr zu einer idealisierten Vergangenheit, in der die Menschen nach Nahrung mit primitiven Werkzeugen wühlten und sich gegenseitig wegen Hexerei verbrannten. Sie ist ein Vorstoß zu einer neuen und besseren Lebensweise, einem Leben mit mehr Freude als dem überspezialisierten Kreislauf des Büros oder der Fabrik.“ Ja. Wie wahr!

Ein großartiges, sehr praktisches Buch, in dem einfach alles steht, was man wissen muss, wenn mal die Lichter ausgehen. Über Haus und Hof und Land und Tier, da wusste der Autor John Seymour Bescheid. Er war in den siebziger Jahren sehr berühmt. Und schrieb über alles, was wichtig ist, wenn man Schluss gemacht hat mit der Zivilisation. Die mutigen Glücklichen, die das wagen!

Seymour hat über Feldfrüchte und ihre Folge geschrieben, über die Kräuter und das Gemüse und die Gewächshäuser, über das Vieh, von Kalbung bis Zerlegung, über das Töpfern, Körbeflechten, Ziegelmachen, Häuserbauen. Ein Rausch aus einfachem Leben, eins mit der Natur, lass nichts zurück als Deine Fußspuren, nimm nichts mit als Deine Eindrücke. Von dieser Art: „Nichts wird verschwendet – es gibt keinen Abfall!“ Seymour arbeitete nach dem Studium der Agrarwissenschaften zwei Jahre auf englischen Bauernhöfen und danach zehn Jahre lang in Afrika, wo er eine Schaf- und Rinderfarm leitete, in Kupferminen beschäftigt war und als Tierarzt praktizierte. Er kämpfte auch, das sei noch erwähnt, als Offizier im britischen Regiment The African Rifles in Burma, das damals noch so hieß. Das alles ist also schon eine Weile her.

Seymour kaufte sich nach dem Krieg ein Fischerboot und fuhr damit herum. Er heiratete und zog dann mit seiner Frau endgültig aufs Land. Ein echter Aussteiger avant la lettre, der Ende der Fünfziger als Selbstversorger in Pembrokshire sein Glück fand.

Auf einem Morgen Land glücklich werden. Darum ging es. Was übrigens alles Mögliche heißen kann. Ursprünglich war damit die Fläche gemeint, die man an einem Vormittag mit einem Pflug bearbeiten kann. Und da scheinen die Bauern, je nach Gegend, ganz unterschiedlich abzuschneiden: von schlappen 1.906 Quadratmetern in Homburg über realistische 2.585 Quadratmeter in Schaumburg und stolze 3.600 Quadratmeter in Baden bis zu sagenhaften 10.484 Quadratmetern im Alten Land bei Hamburg – aber das ist bestimmt nur eine Variante von bäuerlich-hanseatischem Seemannsgarn.

„Wenn morgen die übrige Welt in die Luft gehen sollte, könnten wir hier glücklich weiterleben und würden kaum einen Unterschied merken“, soll jedenfalls Seymour gesagt haben. Der Aussteiger-Papst starb im Jahr 2004, ohne dass er das Ende erleben musste, auf das er zuackerte. Das könnte uns anders gehen. Ich habe das Buch eigentlich rausgesucht, als ich gelesen habe, dass Michelle Obama, die Präsidentengattin, im Garten des Weißen Hauses 100 Quadratmeter mit Broccoli, Spinat und Kohl bepflanzt. Eleanor Roosevelt hatte das auch schon mal gemacht. Und damit die Amerikaner angehalten, Verteidigungsgärten anzulegen. Selbstversorgung im Krieg, in harten Zeiten den Gürtel enger schnallen und die Gurken selber ziehen. Bei genügendem Leserinteresse besorgen wir gerne eine Neuauflage des Seymour-Standards: „Leben auf dem Lande. Ein praktisches Handbuch für Realisten und Träumer.“

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