Pardauz! Wie man Mensch wird durch Kunst in Vaduz

Kunsttagebuch Laura Ewert hat in Vaduz Paco Knöllers Ausstellung „Unter mir der Himmel“ besucht. Im Zentrum steht die Menschwerdung – kein kleines Thema – das von Kurator Wieczorek in seiner Komplexität und Fragilität gleichzeitig ausgeleuchtet wird
Ausgabe 33/2023
Skulpturen von Alberto Giacometti, Hans Arp und Max Beckmann stehen neben den Arbeiten Paco Knöllers
Skulpturen von Alberto Giacometti, Hans Arp und Max Beckmann stehen neben den Arbeiten Paco Knöllers

Foto: Hilti Art Foundation/ Kunstmuseum Liechtenstein

Davon überzeugt, dass es aufregendere Städte für Kunst geben muss, sind wir nach Vaduz gefahren. Das lohnt sich schon deswegen, weil man es natürlich so Möchtegern-gebildet französisch aussprechen möchte, und dann sagt die Stimme im Bus so ganz cool: „Vaddutz“. So wie „perdautz“. Aber was heißt das schon?

Jedenfalls tragen in Vaduz die meisten Männer Anzug, aber nicht solche, die man in Mailand oder Rom sieht, eigentlich wirken sie eher so, als sei Vaduz ein einziges großes Zeugen-Jehovas-Männertreffen, und ich weiß, das ist jetzt wirklich nicht sehr nett, aber was soll ich denn sagen, es ist eben so. Die Frauen sind blass, die Männer tragen Funktionsanzüge und sehen so aus, als sei das Leben aus ihnen rausgeflossen. Na ja, das ist nun vielleicht etwas übertrieben, aber es ist eine ganz gute Überleitung zu der wunderbaren Ausstellung, um die es hier gehen soll und die von Menschwerdung handelt. Paco Knöller. Unter mir der Himmel in der Hilti Art Foundation. Hilti, das sind diese Werkzeuge, die für Improvement stehen, Sie wissen schon.

Der Kurator Uwe Wieczorek jedenfalls hat diese, seine letzte Ausstellung zusammengestellt, in dem Bau, der 2015 an das Kunstmuseum Liechtenstein angebaut worden ist, und zeigt Arbeiten von Knöller, und er kombiniert sie mit Skulpturen von Alberto Giacometti, Hans Arp, Max Beckmann, Alexander Calder oder Pablo Picasso. Große Männer aus der großen Sammlung der Familie Hilti.

Denken ist Teil der Menschwerdung

Aber nun zur Menschwerdung. Wenn Kurator Wieczorek durch die drei Stockwerke führt, wird schnell deutlich, was der Künstler aus Berlin, der ihm zum Freund geworden ist, für ihn bedeutet. Er erklärt ganz bedächtig, wie Knöller arbeitet. Auf Holz oft, auf dem er rechteckige Teile lackiert, dann mit Ölkreide übermalt, Striche reinkratzt mit dem Messer oder mit einzelnen Stiften. Wo sich Farbschichten verbinden. So entstehen fragile, dynamische, aber dennoch feste Striche. Linien, die eine besondere Hinwendung kennzeichnet. Die andeuten, festlegen und eine erstaunliche Emotionalität entwickeln. Wir sehen Messer, Vulkane, wir sehen kauernde Menschen, große Gefäße, Gräber vielleicht. Verharrende Menschen. Sehen wir sie? Fühlen wir sie? Ungewiss. Wir sehen Schilfrohre, so sagt das zumindest der Kurator, die ein Gedicht der Malerin Agnes Martin zitieren, in dem es darum geht, dass der Mensch fragil ist wie ein Schilfrohr, aber im Gegensatz zur Sumpfpflanze denken kann.

Das Denken als Teil der Menschwerdung also. Vermutlich auch Grund für seine Fragilität. Das Archaische, das Mutmaßliche, das Ungewisse ist es, das sich durch diese Ausstellung zieht. Wie sich der dünne Giacometti da in der Ecke bereithält, wie sich die Picasso-Abbildung seiner Geliebten noch unter den Daumen des Künstlers zu formen scheint. Wie die Werke miteinander sprechen und wie sich überall dazwischen Geist entwickelt.

Paco Knöller macht Kunst seit den 80ern, er studierte unter anderem beim ollen Beuys und verzieht sich regelmäßig – so erzählt der Kurator – auf einen Steg am See in der Mark Brandenburg und malt von dort den sich im Wasser spiegelnden Himmel. Unter uns der Himmel.

Und was macht der Mensch denn nun dazwischen? Er wird durch Kunst, durch die Begeisterung für sie. Durch das Gespräch mit ihr. Das sieht man hier in Liechtenstein.

Um 17 Uhr leert sich das Land, das – so hört man – so viele Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter hat wie Staatsangehörige, die dürfen nur zum Arbeiten kommen. Es bleiben die Anzüge. Die weiter Menschen werden. Aber was heißt das schon.

Paco Knöller. Unter mir der Himmel Hilti Art Foundation, Vaduz, Liechtenstein, bis 15. Oktober 2023

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