Prime-Serie „Dead Ringers“: This Frankenstein shit

Streaming In Alice Birchs Serienadaption von David Cronenbergs Body-Horror-Klassiker „Dead Ringers“ sind die Zwillinge weiblich, wodurch die Geschichte an neuer Tiefe gewinnt. Unser Autor Michael Pekler findet Gefallen daran
Ausgabe 16/2023
Rachel Weisz in „Dead Ringer“ von Regisseurin Alice Birch
Rachel Weisz in „Dead Ringer“ von Regisseurin Alice Birch

Foto: Niko Tavernise/Prime Video

Alles Neue kann schnell außer Kontrolle geraten, wenn man nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Stets muss man sich ihm anpassen oder es sich passend machen. Außer man beginnt selbst etwas radikal Neues.

Die Zwillinge Elliot und Beverly Mantle (Rachel Weisz) haben so etwas im Sinn. Die Schwestern haben sich als Gynäkologinnen zwar bereits einen Namen gemacht, für ihr neues Projekt brauchen sie jedoch Unterstützung. Und zwar viel Geld. „Radicalism always begins with something small“, meint Beverly zur potenten Investorin Rebecca (beeindruckend unsympathisch: Jennifer Ehle), bei der die Schwestern vorstellig werden. Und damit meint sie nicht die Embryos, die bald darauf im neu geschaffenen Geburtszentrum, einem futuristisch anmutenden Gebäudekomplex mitten in Manhattan, heranwachsen.

Beverly trägt die Haare meist hochgesteckt, ist introvertiert, feinfühlig. Äußerlich von der Zwillingsschwester nicht zu unterscheiden, erkennt man Elliot an ihrer Ungeduld, der aufbrausenden Art und ihrem Zynismus, mit dem sie sich bei ihrer Umgebung unbeliebt, bei Männern für schnellen Sex aber begehrt macht. Was die beiden jedoch am deutlichsten unterscheidet, ist ihre Vorstellung von Liebe: Während sich Beverly in die Schauspielerin Genevieve (Britne Oldford) verliebt und sich mit ihr ein gemeinsames Kind wünscht, liebt Elliot nur ihre Schwester. Und den Erfolg. Es ist eine gefährliche Liebe.

Nuegeborene wie am Fließband aus Bäuchen ziehen

Dass Rachel Weisz in dieser Doppelrolle eine formidable Performance liefert, überrascht weniger als dass sich die Miniserie Dead Ringers (Amazon Prime) nicht auf diesen schauspielerischen Parforceritt verlassen möchte. Als moderne Adaption von David Cronenbergs gleichnamigem Psychodrama von 1988 vertieft die Serie ihre Vorlage nämlich gleich auf mehreren Ebenen.

Zunächst sind es scheinbar nur äußere Umstände, die den Wunsch der Mantle-Zwillinge befeuern. Die an Fließbandarbeit erinnernde Routine, mit der sie zu Beginn im Krankenhaus Neugeborene aus Bäuchen ziehen, mit Komplikationen konfrontiert sind und Mütter nicht mehr retten können, ist eine völlig andere als jene ihrer Namensvetter, die bei Cronenberg in ihrer elitären Privatpraxis selbst entwickeltes OP-Besteck auspacken. Die auffälligste Änderung, nämlich die bereits seinerzeit mit Frauennamen bedachten männlichen Rollen (auch Jeremy Irons war großartig in der Doppelrolle) nun weiblich zu besetzen, mutet unter diesen Voraussetzungen so schlüssig wie unabdingbar an.

Während sich Cronenberg auf die psychische – und letztlich nur durch einen schrecklichen körperlichen Gewaltakt zu trennende – Verbundenheit der Zwillinge konzentrierte (Die Unzertrennlichen lautete auch der deutsche Filmtitel) und dabei sogar unmittelbar auf die siamesischen Zwillingsbrüder Chang und Eng Bunker anspielte, geht die Serie vielschichtiger vor: Beverlys Liebesbeziehung zu einer anderen Frau führt durch Elliots pathologische Eifersucht in den geschwisterlichen Abgrund und ins psychotische Verderben. Doch was hier über Jahrzehnte zusammengewachsen ist, scheint keineswegs unzertrennlich, sondern insgeheim vom Wunsch beseelt, als Einzelne wahrgenommen zu werden.

Eingebetteter Medieninhalt

Die medizinischen und damit ethischen Grenzen sind jedenfalls bald erreicht, während im Hintergrund das Kapital den Umfang und vor allem die Art der Forschung bestimmt. Ab wann ist Leben lebenswert? Und wie wäre es, auch noch im hohen Alter ein Kind gebären zu können? „What Frankenstein shit are you up to?“, möchte der die Zwillinge für seine Reportage begleitende Pulitzer-Autor wissen. Geblieben sind allenfalls die blutroten Kittel, in die auch die weiblichen Mantle-Zwillinge schlüpfen, um zu operieren oder wie Elliot ihre monströse Forschung zu betreiben.

Nicht immer wirkt Dead Ringers stringent erzählt – Sean Durkin (Martha Marcy May Marlene) hat drei der sechs Episoden inszeniert –, mitunter muten die Halluzinationen und Albträume, von denen die Zwillinge zunehmend heimgesucht werden, wie verstörende Illustrationen an. Und doch sind sie zugleich Ausdruck von Urängsten, von systemischer Gewalt und der Furcht vor dem Überschreiten der Grenze zum Monströsen, welches das Menschsein zugleich bestimmt und bedroht.

Dead Ringers Alice Birch USA 2023, 6 Folgen, Amazon Prime

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