Rücktritt von Deniz Yücel: Ausgerechnet jetzt ist der deutsche PEN außer Betrieb

Meinung Der PEN unterstützt Autorinnen und Autoren weltweit im Kampf für die freie Rede. Nur nicht der deutsche PEN
Ausgabe 20/2022

Am 9. April 2022 schrieb ich dem damals amtierenden Präsidenten von PEN Deutschland die folgende E-Mail:

Lieber Deniz Yücel,

außer ständige Gegenrede zu führen und voller Bewunderung für Ihre Haltung outspoken zu sein und meiner Unterstützung für Sie darin, weiß ich nicht, was machen – außer auszutreten, wenn Sie gehen oder in dieser Art gegängelt werden zu gehen.

Wenn ich etwas anderes tun kann, für das mir selbst gerade jegliche Fantasie fehlt, so inspirieren Sie mich bitte.

Mit vielen, freundlichen Grüßen,

Nora Gomringer

Dieser E-Mail vorausgegangen waren Mitteilungen in den Medien, in denen fünf seiner Vorgänger im Präsidentenamt Yücels Rücktritt forderten, weil er sich für eine Flugverbotszone über der Ukraine und ein direktes Eingreifen der Nato ausgesprochen hatte und dies – nach Meinung der fünf – nicht im Namen des PEN hätte tun dürfen. Der PEN stehe für Frieden, Yücel für Krieg, mindestens aber für Unfriede im Verein, was ihnen noch schwerer zu wiegen schien. So wurde medial aufgebaut, was schon länger wie eine Wunschmelodie klang: den als unbequem beschriebenen Präsidenten aus dem Amt zu entfernen. In ellenlangen E-Mails, die ich unaufgefordert privat als Reaktion auf meinen Zuspruch für Yücel zugesandt bekam, wurden mir peinlichste Interna wie als Rechtfertigung zur Lektüre „aufgegeben“, um zu prüfen, ob das Leute seien – Yücel und Unterstützer seiner Positionen im Präsidium –, die ich ebenfalls „unterstützen wolle“.

Deniz Yücel zum PEN: „Dünkelhafte Bratwursthaftigkeit und Kolonialherrengehabe“

Ich verstand und verstehe zunehmend, dass Yücels klare Haltung zur Unterstützung der Ukraine der nach außen kommunizierbare Tropfen im nun überlaufenden Fass war und die Querelen eine „Befreiung“ vom „lästigen Lauten“ – so meine Analyse – überdecken sollten. Mit viel Bauchweh und Anspannung ging ich dieser Tage gedanklich mit nach Gotha in die Jahresversammlung des PEN – physisch war ich die meiste Zeit in der Bahn, unterwegs zu Auftritten in München, Frankfurt und Zürich – und las mir Kommentare von anwesenden Kolleginnen und Kollegen bei Facebook durch, die etwas von einem Apokalypse-Tagebuch hatten. Und dann: Bestätigung Yücels im Amt durch knappe Mehrheit. Und dann: Yücels Rücktritt. Übrigens hatte er dem PEN bereits am 12. April im Zeit-Interview „dünkelhafte Bratwursthaftigkeit und Kolonialherrengehabe“ als Grund für seinen Verdruss genannt. Dies hier für alle, die sich ernstlich wegen der „Bratwurstbude“ beömmeln im Pennäler-Ton von 70er-Jahre-Schlaghosen-Filmen oder reagieren wie beleidigte andere Würste. Wenn was mies läuft, muss man es so benennen dürfen.

Vielen war Yücel Persona non grata. Wer ihn heute als „krawallig“ darstellt und als Formkritiker seiner Versäumnisse auftritt, ist rasch beim Hinterrücks-Denunzieren und Vermeiden inhaltlicher Auseinandersetzung. Das Vorgehen ähnelt dem Umgang mit dem ukrainischen Botschafter. Seit man die Kommentare von Andrij Melnyks Kritikern mitlesen kann, fühlt man sich in beiden Debatten an das Abstrafen undankbarer Jungs erinnert. Gerade heute, da Diktaturen auf dem Vormarsch sind, ist der Schutz der freien Rede und der Kunst wichtiger denn je. Der Mut zahlreicher Autorinnen und Autoren ist im Kampf für diese Werte beispiellos. Der PEN unterstützt sie in diesem Kampf. Nur nicht der deutsche PEN, der ist gerade außer Betrieb.

Nora Gomringer ist Lyrikerin und Direktorin des Künstlerhauses des Freistaats Bayern, dem Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg. Sie war PEN Mitglied von 2016 bis 2022

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