Sexismus lässt sich nicht umdrehen

Diskriminierung Vorurteile gegenüber bestimmten Personen zu haben, ist eine Sache. Rassismus oder Sexismus eine andere
Ausgabe 31/2018
Manche machen Erfahrungen mit Diskriminierung über Generationen hinweg. Weiße Männer gehören im Allgemeinen nicht dazu
Manche machen Erfahrungen mit Diskriminierung über Generationen hinweg. Weiße Männer gehören im Allgemeinen nicht dazu

Foto: Ipon/Imago

Erinnern Sie sich noch daran, als Johannes keine Wohnung bekommen hat, weil sein Name für türkische Vermieter zu deutsch klingt? Oder als Martin diese Stelle in der Bank nicht bekommen hat, weil alle Chefs dort eine schwarze Hautfarbe haben und seine weiß ist? Oder als Sie betrübt mit Ihrer Ehefrau darüber gesprochen haben, dass Ihre Söhne Jan und Anton es in der Schule schwer haben könnten, weil ihnen ihr „Akademiker*innenhintergrund“ angesehen werden könnte? Erinnern Sie sich noch an all diese Momente? Ich auch nicht. Weil es diese Momente nie gegeben hat.

Anders als meine Mitschüler*innen Admira, Özlem und Ivica genießen Johannes und Martin in Deutschland Privilegien, die sie vor diesen Erfahrungen geschützt haben: Sie sind weiße Deutsche. Sie werden als männlich wahrgenommen. Sie sind heterosexuell. Nicht behindert. Sie haben noch nie in Armut gelebt, ihre Eltern mussten nie fliehen. Es ist also kaum möglich, Menschen wie Johannes aufgrund rassifizierender Zuschreibung, aufgrund seines Aussehens, seines Geschlechtes oder seiner sexuellen Orientierung strukturell oder institutionell zu diskriminieren. Johannes hat nie Diskriminierung erfahren.

Vorurteile gegenüber bestimmten Personen zu haben, ist eine Sache. Rassismus oder Sexismus eine andere. Davon sprechen wir, wenn zur strukturellen Diskriminierung – die eine jahrhundertelange Geschichte hat, wie etwa die des Patriarchats oder des Kolonialismus – Machtungleichheit hinzukommt. Macht hat in Deutschland immer noch die Mehrheitsgesellschaft. Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, war diese weiß, männlich und heterosexuell.

Was heißt das jetzt konkret? Ganz einfach: Johannes, wenn ich dich „Arschloch“ nenne oder unter dem Hashtag #MenAreTrash tweete, hast du keinen Sexismus erlebt. Ich war vielleicht ein bisschen fies zu dir, aber diskriminieren konnte ich dich dadurch nicht. Keine Angst, du bekommst deinen gut bezahlten Job. Denn es gibt gar keinen umgekehrten Sexismus.

Das gleiche gilt für Martin. Wenn dich ein Kanake, ich zum Beispiel, im Internet „Alman“ oder „Kartoffel“ nennt, heißt es nicht, dass du Rassismus erfahren hat. Ich kann verstehen, dass es dir nicht gefällt, beschimpft zu werden. Aber Rassismus ist etwas anderes, lies es unter #MeTwo nach. Rassismus ist, wenn deine Eltern auf der Straße bespuckt werden, weil deine Mutter Kopftuch trägt. Oder deine Kinder im Kindergarten hören, dass sie sich besser waschen müssten bei ihrer „dunklen Haut“. Rassismus ist, wenn in Deutschland seit mehr als 60 Jahren migrantische Menschen leben, und Ihr nicht mal ihre Namen richtig schreiben, geschweige denn aussprechen wollt. Rassismus ist, wenn Menschen jahrelang rassistische Morde an Kanaken nicht beachtet haben, die Opfer verhöhnen und immer noch nicht die Verbrechen einer terroristischen Nazivereinigung namens NSU lückenlos aufarbeiten, aber sich anmaßen, einen Kanaken für eine vermeintliche politische Haltung zu verurteilen.

Wir machen diese Erfahrungen über mehrere Generationen, lieber Martin. Als Frau of Colour mache ich rassistische Erfahrungen. Manchmal sexistische. Manchmal beides zusammen. Wie viele andere in Deutschland bin ich von Mehrfachdiskriminierung betroffen – jeden Tag. Ich habe eine Bitte an euch, Johannes und Martin: Wenn es mal nicht um euch geht, haltet doch einfach euren Mund und hört uns zu. Wir haben eine Lebensrealität, die Ihr vielleicht noch nicht kennt, aber endlich mal kennenlernen müsst.

Ash Kay ist freie Autorin, als intersektionale Feministin unter @problematash auf Twitter unterwegs und stampft gern Kartoffeln

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