Kapitalismus als Religion? Konsum oder zu Hause bleiben – das sind Corona-bedingt momentan die einzigen Optionen für die Freizeitgestaltung. Die erneute temporäre Schließung der Kultur- und Freizeitorte hat nicht nur Unverständnis und Protest ausgelöst, sondern auch einen Grabenkampf zwischen denen, die sich als Produzent:innen „wertvoller Hochkultur“ verstehen, und den Anbieter:innen der kommerziellen und „vergnüglichen Unterhaltung“. Ich halte es für absolut kontraproduktiv und sogar gefährlich, dass wir uns in einer Abgrenzungsdebatte verlieren, anstatt solidarisch zu sein: mit allen in der Branche, deren Jobs und gesamte Existenz von der Schließung betroffen und nicht erst jetzt in Gefahr sind.
Als staatlich subventionierte Kulturinstitutionen sehe ich uns nicht nur in der Verantwortung, der Politik unmissverständlich klarzumachen, wie unverzichtbar kulturelle Einrichtungen in einer demokratischen Gesellschaft sind, sondern auch, wie wichtig kulturelle Vielfalt ist. Die entsteht, weil es neben den Stadt- und Staatstheatern, den Opern- und Konzerthäusern mit ihren immer noch viel zu homogenen festen Ensembles und starren Strukturen unzählige freie Künstler:innen gibt, die mit flexiblen kollektiven Arbeitsweisen nicht nur neue Formate entwickeln, sondern auch neue Publika in die Häuser holen. Ihren Lebensunterhalt können die Freien in der Kulturszene auch in Nicht-Krisenzeiten selten nur mit Kunstproduktion bestreiten.
Die Krise lässt die Ungleichheit in unserer Gesellschaft noch deutlicher hervortreten. Sie zeigt sich auch in der Kulturbranche. Nicht nur in der unterschiedlichen Finanzierung, sondern auch darin, wer auf den Bühnen, in den Zuschauer:innensälen und in den Entscheider:innen-Positionen repräsentiert ist und Zugang dazu hat. Anstatt nur darüber zu klagen, dass unsere Bedeutung von politischen Entscheidungsträger:innen momentan verkannt wird, sollten wir vielmehr darauf aufmerksam machen, dass es Förderkonzepte braucht, die nachhaltig auch für diejenigen Bestand haben, die gerade jetzt durch alle Raster fallen.
Wir müssen diese Zäsur dazu nutzen, darüber nachzudenken, wie die Theater und Kulturinstitutionen künftig aussehen sollen, denn eins ist klar, die Welt nach Corona wird eine andere sein. Wenn die Türen wieder aufgehen, können wir nicht einfach weitermachen wie bisher, sondern müssen unsere Rolle als soziale Orte in einer sich verändernden Realität kritisch hinterfragen und auch für diejenigen zugänglicher werden, die ihre Freizeit bisher nicht im Theater verbrachten. Wir dürfen keine Angst davor haben, Publikum zu verlieren, sondern sollten uns vielmehr aufmachen, neue Publika zu finden, weiter an Themen zu arbeiten, die durch die Pandemie noch sichtbarer geworden sind: Klimawandel, Rassismus, Ausgrenzung, Geschlechtergerechtigkeit. Wir müssen neue Formate entwickeln. Unsere Ressourcen und Potenziale nutzen, auch wenn zur Eindämmung der Pandemie die Theatersäle geschlossen bleiben müssen: zum Beispiel indem wir rausgehen in den öffentlichen Raum, in Schulen, in Altersheime, Krankenhäuser oder Betriebe und Möglichkeiten suchen, Kreativität sichtbar zu machen. Wir brauchen jetzt keine elitär geführte Debatte, sondern tragfähige Konzepte für die Zukunft.
Kommentare 6
So manche "Kultur" zerfliesst momentan im Selbstmitleid und mancherort (Herbert Grönemeyer) sogar um puren Egoismus.
So fordert Herr "Mensch" Grönemeyer eine Reichenbesteuerung bzw. Abgabe ausschliesslich (so habe ich zumindest verstanden) für die Kunst.
Dabei wurde die Frage nie geklärt (was eigentlich auch sehr gut ist ...) "Was ist Kunst ?". Für mich ist Kunst die Vereinigung zwischen Kunst und Kultur. Genau darum empfinde ich vieles aus der heutigen "Kunstzeit" (insbesondere in der Musik) schrecklich. Der Clan-Rap (angefangen bei Apache so und so ...) ist keine Kultur-Kunst, sondern nur das Ausleben einer Diktatur in ihrer besonderen Form.
Wir reden von Demokratie und Freiheit - und lassen die Zerstörung der Kunst- und Kulturwerte zu.
Genau darum sollte sich wieder was ändern.
Kunst ist nicht Mainstream. Kultur sowieso nicht. Vielleicht wäre es darum wieder mal Zeit im Stile von Beuys Dampf abzulassen.
ES IST EIN SEHR GUTER ARTIKEL VON AMELIE DEUFLHARD. ES IST EIN WEGWEISER.
Wann sollen denn die Türen wieder aufgehen?
Seh ich nicht.
Man wird wohl mit der gegwärtigen Pandemie und zukünftigen Vermeidungsstrategeien leben lernen müssen.
Mit Kunst im Sinne der Möglichkeit sich frei zu entfalten hat und wird das alles nichts mehr zu tun haben.
Vielleicht ein müder Abklatsch von und für Träumer und Plastikmeschen.
Der Wohlstand hat die Menschen satt und träge gemacht. Das macht sich auch in Kunst und Kultur bemerkbar, die gar nicht mehr in der Lage zu sein scheint, ohne Geld kreativ zu sein. Themen wie Klimawandel, Rassismuss, Geschlechtergerechtigkeit und Ausgrenzung sind 'trendy' und haben sich schon vor der Pandemie erschöpft. Es folgt dem Trend wer angepasst sein möchte. Ausserdem sind es m.E. Ablenkungsmanöver vom eigentlich Wichtigen der Zeit: die Armut gegen den Reichtum. Hierin finden sich mal davon abgesehen alle oben genannten Themen. PS. Der öffentliche Raum, von dem im Artikel die Rede ist, ist auch geschlossen. Einzig die Strasse steht noch offen. PPS. In Frankfurt auf der Zeil steht seit einigerzeit immer ein adrett gekleideter junger Mann mit seinem Xylophon und bereichert die Menschen mit schönen Klängen. Der schwarze Hut vor ihm ist stets gefüllt mit silbrigen Münzen und sogar dem ein oder anderen Schein.
Ja wenn dann mal die Pandemie vorbei ist, dann haben die Menschen kein Geld mehr für Kultur. Die Hoffnung stirbt schon jetzt.
".... ohne Geld kreativ zu sein."
Unsinn, ohne Geld können Sie noch nicht mal arm sein.
Sondern? PS. Ich sehe es als unsinnig an, Fördergelder von denen zu verlangen, die einem unter fadenscheinigen Begründungen erneut den Saft abdrehen und bin der Meinung, dass es an der Zeit ist, einen unabhängigen Weg zu finden. Das ist naturgemäß anstrengend und unbequem, aber meines Erachtens notwendig, wenn dieser Bereich (Kunst/Kultur) im demokratischen Sinne ernsthaft fortbestehen möchte. Denn wer weiß schon, was die Zukunft bringt in einer Gesellschaft, die die Gesundheit über alles stellt und den Tod ausklammert. Eine Gesellschaft, die das Leben beendet, um nicht zu sterben.