Stefanie Sargnagel: „Wir sind keine urguten Menschen“
Interview Von wegen gespaltene Gesellschaft: Stefanie Sargnagels Buch „Iowa“ kommt bei unterschiedlichen Leuten gut an. Dabei geht es um zwei Feministinnen auf Reisen. Woran liegt das? Wir haben nachgefragt – bei ihr und Christiane Rösinger
Die österreichische Autorin Stefanie Sargnagel war an ein kleines College im Mittleren Westen der USA eingeladen und hat über diesen Aufenthalt mit Iowa (Rowohlt) ein brüllend witziges Buch geschrieben. Dessen Hauptfigur: Sargnagels gute Freundin, die Berliner Musikerin und Szene-Ikone Christiane Rösinger. Diese meldet sich im Buch immer wieder durch so kritische wie lustige Fußnoten zu Wort. Sonja Eismann hat die beiden in ihrem gemeinsamen Frühlingsurlaub in Marokko erreicht. Ehrensache, dass unter Feministinnen geduzt wird.
der Freitag: Selten habe ich für ein Buch so begeistertes Feedback von den verschiedensten Leuten gehört: ob GenZ-Feministin oder alter weißer Mann, alle waren hingerissen vom Humor – was ist das Geheimnis dieses Reis
umor – was ist das Geheimnis dieses Reiseberichts zweier unterschiedlicher Freundinnen?Stefanie Sargnagel: Das frage ich mich selbst! Ich wollte ursprünglich nicht einmal Lesungen organisieren, weil ich Angst vor einer totalen Blamage hatte. Aber ich glaube, dass das Generationenthema ganz gut funktioniert – und Christiane als Figur natürlich. Dass wir links und feministisch sind, aber kein Geheimnis daraus machen, dass wir keine urguten Menschen sind. Weil wir ja in einer Zeit leben, in der alle ein bisschen vorsichtig sind und Angst haben, etwas Falsches zu sagen – wenn man da zeigt, dass man nicht perfekt ist und sich auch mal widerspricht, obwohl man eine ähnliche Weltsicht hat, wirkt das erleichternd. Es gibt ja auch nicht so oft lustige Bücher.Ihr habt eine neue Form des solidarischen, feministischen Schreibens geschaffen: Es wird nicht hierarchisch über eine Person geschrieben, sondern die beschriebene Person – Christiane – kann sich selbst mit Fußnoten kritisch in den Text einschreiben. Wie kamt ihr darauf?Sargnagel: Die Grundidee war, gemeinsam etwas zu schreiben, und Christiane hatte die Idee mit den Fußnoten.Christiane Rösinger: Die andere Möglichkeit wäre ein Vor- oder Nachwort gewesen. Ich hätte ja am liebsten jeden Satz umformuliert, daher ist es für mich wichtig, dass ich im Text selbst direkt dazwischenfeuern kann. So ein Nachwort liest ja auch nicht jeder.Das Spannende an dieser Form ist auch, dass die Verlässlichkeit der Erzählposition damit immer wieder in Zweifel gezogen wird.Sargnagel: Es ist interessant zu sehen, wie die Wahrnehmungen auseinandergehen.Rösinger: Habe ich zum Beispiel jemals behauptet, dass ich jünger aussehe? Niemals! Das fand ich so lustig, dass es im Text immer wieder vorkommt, dass ich daraus einen wiederholten Ageism-Vorwurf gemacht habe. Oder dass Steffi denkt, ich würde mir einen kleinen schwarzen Hund wünschen, dabei möchte ich einen großen.Außer euch beiden treten noch weitere real existierende Figuren auf, die nicht immer nur gut wegkommen. Habt ihr das vor der Veröffentlichung abgesprochen?Sargnagel: Ja, ich könnte nicht damit leben, wenn das ohne Einverständnis passiert. Die Leute haben ja auch immer Angst, dass Autorinnen aus ihrem Umfeld etwas von ihnen verwerten könnten, da möchte ich nicht die sein, mit der man deswegen ein schlechtes Verhältnis hat ... Ich habe zum Beispiel der Professorin, die mich nach Iowa eingeladen hatte und eine größere Rolle im Buch spielt, das Manuskript geschickt und war positiv überrascht, dass sie gesagt hat: „Du, das ist ein Roman, das ist mir ganz egal, wie ich da vorkomme, ich freue mich, ein Teil davon zu sein.“ Ich habe aber schon oft erlebt, dass Leute, auch wenn sie nicht immer ideal gezeichnet sind, eher geehrt reagieren.Rösinger: Ich nicht!Sargnagel: Ja, du bist ja auch eine Künstlerinnenpersönlichkeit, die für sich steht und selbst Aufmerksamkeit einfordert! Steffi, du bist jetzt 38, Christiane 63, und du beschreibst im Buch rührend, wie du schon immer ein Fan von Christiane warst und dass du bei deinem ersten Besuch bei ihr sogar ihr Wohnungsklingelschild fotografiert hast. Was ist das Tolle an ihr?Sargnagel: Ich kannte ihre Band Lassie Singers vom Jugendradiosender FM4 und habe mich als Teenager jedes Mal gefreut, wenn ein Lied von ihr gespielt wurde. Mich hat die Musik total angesprochen, weil sie so humorvoll, aber gleichzeitig auch lethargisch und melancholisch ist. Ich kannte und kenne keine so originale Frauen wie sie: Keine, die so rotzig und trotzig und anarchisch sind und so einen frechen Humor haben, weder im Privaten noch aus den Medien. Ich selbst hatte ja immer so einen Jugendbonus, als „kleine Punkfrau, die sich nichts scheißt“, und ich habe mich dann irgendwann schon gefragt, ob ich das ewig so weiter durchziehen kann oder doch „eine richtige Intellektuelle“ werden muss. Dann habe ich an Christiane gedacht und gewusst, nein, das geht sich auch aus, wenn man älter ist, mit diesem rotzig-trotzigen Charme.Christiane, du warst in der Situation, dass nicht nur eine Freundin, sondern auch eine bekannte Autorin über dich geschrieben hat. Wie schmeichelhaft oder schwierig fühlt sich das an?Rösinger: Mir sagen Leute, das ist so toll, Steffi schreibt so gut über dich, sie hat dir ein Denkmal gesetzt! Aber auf eine gewisse Art berührt es einen auch ungut …Sargnagel: Cringe, oder?Rösinger: Ich habe sie gebeten, ein paar extreme Indiskretionen rauszulassen, und dann habe ich auch oft gedacht, das habe ich doch ganz anders formuliert, das wurde extrem vereinfacht! Aber das ist ein Roman, und du kannst nicht jeden Satz, der dich zitiert, einfach umschreiben. Lobhudeleien kann ich sowieso nicht ernst nehmen, aber vielleicht ist das auch eine Form von diesem Impostor-Syndrom. Auf den Lesungen machen wir es so, dass sich Steffi, wenn ich von den Schattenseiten dieses ach so coolen Punk-Lebens erzähle, von Einsamkeit, Altersarmut, Prekarität und so weiter, einfach die Ohren zuhält, weil sie gar nicht wissen will, dass es eben nicht so glamourös ist, wie man denkt.Sargnagel: Ich mag an Christiane, dass sie immer ziemlich anti ist. Egal, was man sagt, sie sagt immer erst mal das Gegenteil.Rösinger: Nee, stimmt nicht! Ich bin auch schnell begeistert!Sargnagel: Stimmt, aber beim Diskutieren nimmst du schon immer sehr gerne eine Gegenposition ein.Rösinger: Weil sich so viele junge Leute immer so schnell einigen können, alle sind links, alle sind feministisch, alle finden alles ganz schlimm …Ist der Generationenkonflikt zwischen euch nur inszeniert oder echt?Rösinger: In der einen Szene im Diner, als der Kellner automatisch davon ausgegangen ist, dass ich Steffis Mutter bin und ich mich darüber geärgert habe, hat Steffi wirklich gedacht, ich wäre verrückt geworden. Aber bei einem Mann hätte man das nie so interpretiert, da hätte man vermutet, das sei seine Partnerin. Ich finde es komisch, dass alle so auf diesen Altersunterschied eingehen. Als Andreas Spechtl von der Band Ja, Panik angefangen hat, mit mir Musik zu machen, war er auch erst 23 und ich Ende 40.Sargnagel: Ich kenne es nicht so, dass man mit Leuten befreundet ist, die 25 Jahre älter oder jünger sind, ich habe zum Beispiel keine 20-jährigen Freunde.Rösinger: Die 20-Jährigen hat niemand! Die sind total schwierig zu erreichen.Sargnagel: Klar, es ist etwas überspitzt mit dem Alterskonflikt, aber ich lege mir im Buch auch selbst Wörter in den Mund, die ich nie sagen würde, zum Beispiel „Self-Care“. Aber du sagst schon immer Sachen wie „Ihr Millennials“.Ihr seid beide im Buch extrem ehrlich und eben keine perfekten Feministinnen. Hat das Überwindung gekostet? An einer Stelle merkt Christiane, dass Steffi eine Körperwaage nach Iowa mitgenommen hat …Rösinger: Für mich ist nichts zu peinlich. Bei der Waage hatte allerdings ich das Gefühl, dass Steffi verrückt geworden ist …Sargnagel: Mich nervt es, dass ich mit feministischen Freundinnen über Sport rede und alle behaupten, dass sie gar nicht abnehmen wollen und nur aus gesundheitlichen Gründen Fitness machen. Oder eine Freundin hat ihre Ernährung umgestellt und sagt, sie habe Verdauungsprobleme. Ich finde es auch nicht cool, wenn die Leute die ganze Zeit über das Abnehmen reden, aber es ist schon lustig, dass alle ein bisschen lügen. Ich war eher beim Thema Kinderwunsch gehemmt. Weil das gerne als etwas leicht Verzweifeltes hingestellt wird, sich ein Kind zu wünschen, ohne den passenden Mann dafür zu haben. Da habe ich mich etwas überwinden müssen und es am Ende genau deswegen reingeschrieben.Das Amerika, in dem ihr unterwegs wart, ist völlig stereotyp: Weizenfelder, riesige Essensportionen, Rednecks, Waffen und Ödnis. Wart ihr davon überrascht, wie sehr das Klischee Wirklichkeit war?Sargnagel: Ich hatte meinem Verlag vorab zugesagt, dass ich über den Aufenthalt an dem kleinen Liberal Arts College mitten in Iowa ein Buch schreibe, und war dann doch etwas verzweifelt. Denn man hat ja den Anspruch, etwas zu entdecken, was es nicht gibt, oder den Leuten etwas zu erzählen, was sie überrascht, aber es gab nichts zu entdecken. Ich war eher davon überrascht, dass es alles wahr ist.Rösinger: Aber dass es so dermaßen fad ist, das habe ich mir nicht vorgestellt. Ich habe Verwandte in Pennsylvania, aber sogar dort wird mehr geboten. Ich für mich habe dieses Fade dann total überhöht und zelebriert, was lustig war, aber zwischendurch war ich auch echt verzweifelt. Meine Theorie ist, dass Steffi, die aus der Wiener Vorstadt stammt, das Landleben noch interessant exotisch finden kann, aber ich selbst komme ja so richtig vom Land, aus einem Schwarzwälder Dorf namens Hügelsheim, und wurde daher von dieser Leere und diesem „Es ist nix los, was machen wir bloß?“ noch viel mehr „getriggert“, um es im Sprech der GenZ zu sagen.Über was würdet ihr euch am ehesten verstreiten?Rösinger: Aktuell: Ladegerät!Sargnagel: Politische Diskussionen.Rösinger: Manchmal hat Steffi einfach Lust, richtig zu streiten, sie hat Spaß am Argument. Das nervt mich manchmal, weil es so ist, als wäre ich nicht mehr ich, sondern eine imaginierte Gegnerin, der sie alles an den Kopf wirft. Aber weil ich ja älter bin und weiser, lasse ich sie ausreden.Sargnagel: Mir geht es manchmal um Grundsatzdiskussionen, das ist für mich gar nicht persönlich gemeint. Aber generell ist Christiane auf Reisen sehr unkompliziert,was total angenehm und nicht selbstverständlich ist.Ist das auch bei Steffi so, Christiane?Rösinger: Wenn es W-Lan gibt … Aber Steffi hat hier in Marokko ein neues Hobby gefunden und ist ab jetzt eine ganz entspannte Surferin. Ihr neues Motto ist …Sargnagel: … hang loose!
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