linksunten-/RDL-FAQ 10.: Was steht in diesen Normen (Art. 9 II GG sowie §§ 2, 3 VereinsG)?

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a) Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz

Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz lautet:

„Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider­laufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Ge­danken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“

b) § 3 Vereinsgesetz

Verbotsprinzip

Es sei hier, um es nicht allzu kompliziert zu machen, erst einmal nur der erste Satz des Absatzes 1 von § 3 Vereinsgesetz zitiert; dieser lautet:

„Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) be­handelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerver­ständigung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot).“

Das heißt: Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz enthält zwar bereits das abstrakte Verbot von Vereinigungen der fraglichen Art. Aber das stellt keine Art ‚Generalvollmacht‘ für die Exekutive (oder gar für jede beliebige Stelle der Exekutive) dar, gegen (bestimmte) Vereine vorzugehen. Vielmehr bedarf es (spätestens gleichzeitig mit dem Vorgehen) einer Verfügung der zuständigen Behörde (Verbotsbehörde), daß ein Verein X, die Merkmale oder eines der Merkmale des Artikel 9 Absatz 2 Grund­gesetz (läuft den Strafgesetzen zuwider usw.) aufweise. (Dies wird „Verbotsprinzip“ genannt.) Gegen diese Verfügung kann vor Gericht geklagt werden, und es kann einstweiliger Rechtsschutz1 beantragt werden.

Zuständige Behörde

Welche Behörde die jeweils zuständige Behörde ist, legt § 3 Absatz 2 Satz 1 Ver­einsgesetz fest:

„Verbotsbehörde ist 1. die obersten Landesbehörde oder die nach Landesrecht zuständige Behörde für Vereine und Teilvereine, deren erkennbare Organisation und Tätigkeit sich auf das Gebiet eines Landes beschränken; 2. das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat für Vereine und Teil­vereine, deren Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt.“

Einstweiliger Rechtsschutz

Der einstweiliger Rechtsschutz ist in § 3 Absatz 4 Satz 3 Vereinsgesetz geregelt:

„Das Verbot wird mit der Zustellung, spätestens mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger, wirksam und vollziehbar; § 80 der Verwaltungsgerichtsordnung bleibt unberührt.“

Der Verweis auf § 80 Verwaltungsgerichtsordnung bedeutet, daß bei Gericht bean­tragt werden kann, daß die Vollziehbarkeit aufgeschoben wird, bis entweder die Klagefrist – ohne Klageerhebung – abgelaufen oder eine rechtzeitig erhobene Kla­ge scheitert. § 80 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung bestimmen:

„(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Ver­waltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. […], 2. […], 3. in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vor­geschriebenen Fällen, 4. […].“

§ 80 Absatz 5 Satz 1 und 2 lauten:

„Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig.“

Ein solcher Antrag wurde im Falle „linksunten“ aber nicht gestellt.

c) § 3 Vereinsgesetz

§ 3 Absatz 1 Vereinsgesetz lautet:

„Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“

Der vereinsgesetzliche Vereins-Begriff ist also sehr weit („ohne Rücksicht auf die Rechtsform“).

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1 Einstweiliger Rechtsschutz, auch „Eilrechtsschutz“ genannt, ist „ein Instrument des Verfahrensrechts, welches in allen Prozessordnungen vorgesehen ist und dem effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) dient. Es gibt dem Bürger die Möglichkeit, vor Abschluss eines gerichtlichen Hauptverfahrens bzw. ggf. sogar, bevor ein rechtliches Hauptverfah­ren überhaupt anhängig ist, eine vorläufige gerichtliche Entscheidung dahingehend zu beantragen, dass drohende belastende Maßnahmen (z.B. ein belastender Verwaltungsakt (VA)) vorerst nicht vollzogen werden. […]. Das sozi­algerichtliche und verwaltungsgerichtliche Verfahren sehen insbesondere den Antrag auf Anordnung oder Wieder­herstellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen belastende Verwaltungsakte ([…], § 80 Abs. 5 VwGO) sowie den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ([…], § 123 VwGO) vor.“ (Alexy u.a, Das Rechtslexikon, Dietz: Bonn, 2019, 213, 214; Hyperlinks hinzugefügt)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

DGSch

Detlef Georgia Schulze ist PolitikwissenschaftlerIn und schrieb zuletzt in der jungen Welt vom 27.03.2023 über „Fehler der bürgerrechtlichen bis linksradikalen Reaktionen auf das Verbot von ‚linksun­ten.indymedia‘“. Neben anderen Veröffentlichungen zu rechtstheoretischen und rechtspolitischen Themen gab er/sie 2010 – zusammen mit Sabine Berghahn und Frieder Otto Wolf – das zweibändigen Buch „Rechtsstaat statt Revolution, Verrechtlichung statt Demokratie?“ (Bd. 1: https://d-nb.info/986059048; Bd. 2: https://www.dampfboot-verlag.de/filepool/getfile/dampfboot/?datei=/dateien/download/inh-schulze2-784.pdf) heraus.

Weitere Informationen unter der Adresse: https://web.archive.org/web/20220120071119/https://links-wieder-oben-auf.net/ueber-mich/.

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