Lauschen für den Klimawandel

Staat ./. LastGen netzpolitik.org berichtet unter Berufung auf die Süddeutsche Zeitung, daß seit Oktober 2022 im Rahmen des Ermittlungsverfahren gegen die „Letzte Generation“ 13 Telefonanschlüsse abgehört wurden/werden

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Am 13. Juni berichte ich hier über das von der Generalstaatsanwaltschaft München geführte Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der sich gegen den Klimawandel engagierenden „Letzten Generation“ wegen Verdachts auf Bildung einer Kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB; zur Geschichte des § 129 StGB siehe dort und dort) geführte Ermittlungsverfahren. Ziemlich gegen Ende des Artikels wies ich auf „die an die §§ 129 bis 129b StGB geknüpften zusätzlichen Ermittlungskompetenzen“ hin: „So ermöglicht – um nur ein Beispiel zu nennen – § 100a StPO Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen zwar unter anderem bei Verdacht auf Straftaten nach § 129 StGB, aber nicht bei bloßem Verdacht auf Nötigung oder Sachbeschädigung.“

Ich erwähnte in diesem Zusammenhang auch, daß ich die Generalstaatsanwaltschaft München am 26. Mai gefragt hatte:

„Wurden neben den Durchsuchungen weitere Ermittlungsmaßnahmen, die einer gerichtlichen Genehmigung bedürfen, von Ihnen beantragt und im Falle der etwaigen Genehmigung durchgeführt?“

und daß ich auf diese und andere damals gestellte Fragen nur folgende Pauschal-Antwort erhielt:

„Im Übrigen darf ich Sie um Verständnis bitten, dass aufgrund der laufenden Ermittlungen derzeit keine weiteren Auskünfte erteilt werden können.“

Ich stellte dann in meinem Artikel die rhetorischen Fragen: „Ob ich wohl eine dermaßen ausweichende Antwort nach ‚weitere[n] Ermittlungsmaßnahmen, die einer gerichtlichen Genehmigung bedürfen,‘ auch dann erhalten hätte, wenn meine Frage der Sache nach zu verneinen wäre…? Oder können wir in der gegebenen Antwort eine implizite Bejahung sehen?“

Nun scheint Ronen Steinke hinter der paywall der Süddeutsche Zeitung Genaueres herausgefunden haben; jedenfalls berichtet Anna Biselli bei netzpolitik.org unter Berufung auf den verlinkten Artikel: „Die bayerische Polizei hat laut einer Recherche der Süddeutschen Zeitung […] seit Oktober 2022 insgesamt 13 Telefonanschlüsse abgehört, die die Letzte Generation nutzt. Außerdem hätten die Behörden Standortdaten ermitteln sowie E-Mails mitlesen dürfen.“

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e. V. (VDJ), das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung und die Humanistische Union hatte am 15. Juni aus Anlaß des Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ eine Erklärung veröffentlicht, in der es heißt: „Der Paragraph 129 ist grundrechtlich gesehen ein Skandal. […]. Wir fordern die Einstellung aller Verfahren gegen die ‚Letzte Generation‘ und andere Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung und die Abschaffung des §129!“ labournet.de („Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch“) hat sich via Twitter angeschlossen. Auch Die Urbane. Eine Hip-Hop-Partei fordert auf ihrer Webseite: „Dieser Paragraph [§ 129 StGB] […] muss abgeschafft werden.“

In Berlin-Kreuzberg findet heute (Samstag, den 24. Juni) ab 14.00 Uhr auf dem Oranienplatz – aus anderem Anlaß – eine Informationsveranstaltung mit anschließendem Konzert statt – Programm laut https://political-prisoners.net:

„14:00 Uhr Dokumentation über den Paragraphen 129

15:00 Uhr Infobeitrag: ‚Die Geschichte der Paragraphen 129 und die aktuelle Anwendung‘

16:00 Uhr Infobeitrag: ‚Wir müssen für unsere demokratischen Rechte und Freiheiten kämpfen‘

18:00 Uhr Infobeitrag: ‚Hungerstreik gegen den Paragraphen 129!‘

19:00 Uhr Infobeitrag: ‚Legaler Schwindel der Justiz: Digitale Beweismittel‘

20:00 Uhr Konzert: Grup Yorum“

In der Ankündigung heißt es: „Die Paragraphen 129,129a und 129b StGB sind ein Angriff gegen unsere Grundrechte, demokratischen Rechte und Freiheiten. […]. Wir müssen uns gegen diese Gesinnungsparagraphen organisieren und für unsere Grundrechte kämpfen
Seit über 90 Tagen gibt es in diesem Sinne einen unbefristeten Hungerstreik gegen diese antidemokratischen Paragraphen.“

In einem anderen Artikel auf der genannten Webseite finden sich auch weitere Informationen zu dem Hungerstreik, der heute in seinen hundertsten Tag geht. Mit dem Hungerstreik wird unter anderem die Forderung nach „Aufhebung der Untersuchungshaft gegen die 4 Inhaftierten Özgül Emre, Ihsan Cibelik, Serkan Küpeli und Hasan Unutan“, gegen die zur Zeit vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ein Prozeß geführt wird, verbunden. Der Tatvorwurf scheint auf Mitgliedschaft in der türkisch-kommunistischen DHKP-C zu lauten.

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Geschrieben von

DGSch

Detlef Georgia Schulze ist PolitikwissenschaftlerIn und schrieb zuletzt in der jungen Welt vom 27.03.2023 über „Fehler der bürgerrechtlichen bis linksradikalen Reaktionen auf das Verbot von ‚linksun­ten.indymedia‘“. Neben anderen Veröffentlichungen zu rechtstheoretischen und rechtspolitischen Themen gab er/sie 2010 – zusammen mit Sabine Berghahn und Frieder Otto Wolf – das zweibändigen Buch „Rechtsstaat statt Revolution, Verrechtlichung statt Demokratie?“ (Bd. 1: https://d-nb.info/986059048; Bd. 2: https://www.dampfboot-verlag.de/filepool/getfile/dampfboot/?datei=/dateien/download/inh-schulze2-784.pdf) heraus.

Weitere Informationen unter der Adresse: https://web.archive.org/web/20220120071119/https://links-wieder-oben-auf.net/ueber-mich/.

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