Von Biologen, Querdenkern und Nazis

Demokratie Was verbindet Querdenker, Esoteriker und Nazis?

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In meinen Texten zum Buch „Corona Impfstoffe - Rettung oder Risiko“ von Clemens Arvay hatte ich versucht, anhand seiner vielen inhaltlichen Fehler deutlich zu machen, dass er fachlich nicht die Eignung für so ein Buchprojekt hat.

In diesem Text soll es um etwas anderes gehen. Mir geht es um die Frage, warum vielen AutorInnen, die den sogenannten „Coronakritikern“ zugeordnet werden, vorgeworfen wird, sie seien selbst rechtsextrem oder stünden rechtsextremem Gedankengut nahe? Und warum nähern sich einige tatsächlich mit der Zeit vielen rechtsextremen Ideen an, wollen aber nicht rechtsextrem sein? Den Autor Clemens Arvay nehme ich hier als Beispiel, weil er gerade einen Bestseller als Coronakritiker bzw Coronaimpfkritiker veröffentlicht hat und auf seinem YouTube-Kanal und bei Facebook diesbezüglich relevante Äußerungen gemacht hat. Und weil es einen Anlass gab, bei dem er sich explizit gegen Rechtsextremismus ausgesprochen hat.

In seiner Videokritik zum Impfstoffvideo von MaiLab hatte das Vorschaubild, in dem Mai Thi Nguyen-Kim zu sehen war, einen Gelbstich. Ihm wurden sofort Absicht und Rassismus unterstellt*. Arvay hat sich schnell von rassistischen Intentionen und von Rassismus distanziert und sich als Antifaschist bezeichnet oder als jemand, der antifaschistisch eingestellt sei. Ich nehme ihm das ab. Ich sage das an dieser Stelle, um jegliche Missverständnisse zu vermeiden und deutlich zu machen, dass ich Herrn Arvay für einen Demokraten mit Herz und Seele halte. Und genau darum ist es so wichtig, dass wir verstehen, warum Menschen, die nichts mit Rechtsextremen am Hut haben wollen, trotzdem auf eine Art und Weise argumentieren, die genau diesen Kräften in die Karten spielt.

Im Oktober 2019 gab es in Berlin eine Demonstration gegen die geplante “Impfpflicht” gegen Masern. Bereits im Vorfeld war absehbar, dass diese Demonstration von Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum genutzt werden würde, um mit einer breiten Öffentlichkeit in Kontakt zu kommen. Die GWUP warnte bereits im Vorfeld davor, dass die Veranstaltung von Rechten instrumentalisiert werden könnte. Und das wurde sie auch. Auf der Bühne standen diverse Vertreter alternativer Medien und YouTube-Sternchen, die der AfD oder offen rechtsextremen Bewegungen nahe standen. Im Publikum sah es deutlich heterogener aus. Da standen neben ReichsbürgerInnen “ganz normale Leute”, einige von denen könnten auch in einer Sitzblockade gegen eine Nazidemonstration zu finden sein. Geeint wurden sie in ihrer Ablehnung einer Impfpflicht.

Es gab einige Gründe, gegen die geplante Impfpflicht zu sein, sogar durchaus rationale. Doch einige Menschen sahen in dem Gesetz einen so heftigen Eingriff in ihre Grundrechte, dass sie die Demokratie selbst bedroht sahen. Ich teile diese Sicht nicht, kann aber verstehen, dass so eine Sorge jemanden auf die Straße treibt. Doch gleichzeitig muss man in so einem Fall auch dafür sorgen, Demokratiefeinde von einer solchen Veranstaltung fernzuhalten. Andernfalls bewirkt man das Gegenteil von dem, was man sich zum Ziel setzt: Die Demokratie zu schützen. Die beiden Organisatorinnen hatten im Vorfeld, vielleicht bereits Böses ahnend, darauf hingewiesen, dass politische Äußerungen nicht erwünscht seien. Was daraus wurde, lässt sich nachlesen.

Neben Schrang und Liebich warben noch weitere „Influencer“ aus rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Kreisen für die Demonstration. Darunter auch der ehemalige Berliner Grundschullehrer Nikolai Nerling. Nerling ist vor allem unter dem Pseudonym „Der Volkslehrer“ bekannt und verlor seine Anstellung, weil er regelmäßig rechtsextreme und antisemitische Videos veröffentlichte.

Nerling tritt auch auf Neonazi-Demonstrationen als Redner auf und unterstützt die mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Er ist mit seiner Kamera vor Ort. Vor dem Brandenburger Tor interviewt er mehrere Teilnehmer der Demonstration – darunter bekannte Rechtsextreme und „Reichsbürger“ und den Demo-Redner Heiko Schrang [Schrang selbst deklariert bei Youtube seinen Auftritt als „Kampfansage an die Politik“].

Auch viele Menschen, die heute gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße gehen, sehen die Einschnitte in ihre Grundrechte als zu weitgehend an und die Demokratie in Gefahr. Und trotzdem haben wieder rechte Demokratiefeinde es geschafft, die Bewegung maßgeblich für sich zu nutzen. So sah man die Regenbogenflagge auf derselben Demo wie das SchwarzWeißRote Banner des Kaiserreiches (allerdings nicht immer). Beide sind normalerweise von mindestens einer Reihe PolizistInnen getrennt. Wenn der Gegner nur groß genug ist, sind alle Verbündeten recht.

Und dieser Gegner ist nicht unser langweiliger Rechtsstaat, in dem Abgeordnete des Bundestages eine Pandemie, die viele ihrer Mitbürger in den wirtschaftlichen Ruin treibt, nutzen, um noch ein paar Kröten nebenbei zu machen. Dieser Gegner ist ein dunkler Albtraum dieses Rechtsstaates. Ein Albtraum, in dem vom Regierungsmitglied, über die Abgeordneten bis hin zu einfachen MitarbeiterInnen von Behörden, alle in dunkle Machenschaften verstrickt oder so inkompentent sind, dass sie diese nicht erkennen.

In dem Albtraum, den diese Menschen erleben, versuchen gewählte VolksvertreterInnen nicht, so gut sie können (und manchmal können sie es wirklich nicht gut) die Bevölkerung durch eine Jahrhundertpandemie zu navigieren. In diesem Albtraum ist die Pandemie nur Vorwand, um dunkle Motive zu verfolgen. Die Details unterscheiden sich je nach Verschwörungserzählung. Gemeinsam ist ihnen mangelndes Vertrauen in Institutionen, deren Aufgabe es ist, uns zu schützen. Offenes Misstrauen gegenüber den Intentionen der Menschen, die dort Verantwortung tragen, sowie den “Schlafschafen”, die jenen Menschen Vertrauen.

Damit meine ich keinen naiven Glauben, bei dem keine Kritik geübt wird oder die Arbeit und ihre Ergebnisse nicht hinterfragt werden. Ich meine das Vertrauen darin, dass die Menschen, die sich entschieden haben, eine Aufgabe zu übernehmen, diese in der Regel nach bestem Wissen und Gewissen durchführen. Unperfekte Menschen in unperfekten Institutionen.

Menschen wie Arvay scheinen davon auszugehen, dass die Entscheidungen zu den neuen Impfstoffen entweder von IdiotInnen oder Bösewichten getroffen wurden. Sein Buch liest sich nicht wie eine Kritik anhand nachweisbarer Fehler. Sein Buch liest sich auch nicht wie eine unterschiedliche Bewertung von bekannten Fakten. Sein Buch liest sich wie ein Manifest gegen eine inkompetente oder bösartige Elite, die etwas Schlechtes für uns alle will oder der zumindest egal ist, was mit uns passiert.

Mein Problem ist nicht, dass Arvay kritisiert. Mein Problem ist, dass Arvay seine Kritik mit alternativen Fakten begründet. Er bildet weder den aktuellen Wissensstand korrekt ab, noch den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zum Zeitpunkt, als das Buch veröffentlicht wurde. Er zeigt uns die Diskussionsbeiträge, die seine Behauptungen stützen, den Rest lässt er weg.

Ich gehe davon aus, dass er das mit der Überzeugung macht, genau das eben nicht zu tun. Und das macht es so schlimm und gefährlich. Wenn er davon ausgehen würde, dass die Menschen, die die Entscheidungen treffen, das mit guten Gründen und nach bestem Gewissen machen, würde er zuallererst davon ausgehen, etwas selbst nicht verstanden zu haben. Er würde als ersten Schritt versuchen, die Entscheidungen dieser Menschen zu verstehen. Wenn er diese Entscheidungen verstanden hat, kann er sie kritisieren, ablehnen und anhand unterschiedlicher Fakten (die bestimmte Kriterien erfüllen müssen) oder einer anderen Bewertung deren Ablehnung zu begründen. Oder er sieht sie eben nicht anders.

Doch er hat ein grundsätzliches Misstrauen in demokratische Institutionen und sein Buch ist ein auf Papier gedruckter Beleg dafür. Dieses Misstrauen nutzen rechte Akteure für sich. Sie schüren es, weil sie unser demokratisches Experiment beenden wollen. Sie stützen sich auf Menschen wie Arvay, dem eine solche Denkrichtung selbst sicherlich fernliegt. Und da liegt das Problem: Es bleibt abzuwarten, ob Arvay sich dauerhaft gegen die Einvernahme rechter Akteure wehren kann oder ob seine Form eines eher destruktiven Misstrauens auf den infektiologischen Bereich beschränkt bleibt. Wir können live verfolgen, ob er weitere alternative Fakten in sein Weltbild einbaut.

*Nur am Rande vermerkt, könnte es sich lohnen die Verwurzelung eigener rassistischer Vorurteile zu hinterfragen, wenn man sofort die Verbindung zwischen einem Menschen mit asiatisch aussehendem Äußeren und gelber Farbe herstellt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

diaphanoskopie

"...im Gegenlicht der Wirklichkeit." - Ich hab' mal jeden Scheiß geglaubt. - @diaphanoskopie

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