Miniserie „The Sympathizer“ von Park Chan-wook: Immer auf der falschen Seite

Streaming Ein vietnamesischer Doppelagent flieht in die USA: Die Romanadaption „The Sympathizer“ fächert vietnamesische Sichtweisen auf den Vietnamkrieg auf
Ausgabe 17/2024
Hoa Xuande in Park Chan-wooks „The Sympathizer“
Hoa Xuande in Park Chan-wooks „The Sympathizer“

Foto: HBO/Hopper Stone

Heutzutage wirkt ein Epigraph oft entweder hochtrabend oder deplatziert. Aber im Fall des Friedrich-Nietzsche-Zitats, das der vietnamesisch-US-amerikanische Schriftsteller Viet Thanh Nguyen seinem Roman Der Sympathisant (2015) voranstellt, ist das anders. Wer das Buch zu Ende liest, wird im Nachhinein zustimmend mit dem Kopf nicken: „Hüten wir uns, bei dem Wort ‚Tortur‘ gleich düstere Gesichter zu machen: es bleibt gerade in diesem Falle genug dagegen zu rechnen, genug abzuziehn – es bleibt selbst etwas zu lachen.“ Denn tatsächlich geht es in diesem düsteren Spionage-Epos häufig unerwartet amüsant zu. Und das, obwohl es als das ausführliche Geständnis seines namenlosen Protagonisten unter Zwang seitens des vietnamesischen Geheimdiensts angelegt ist.

Das Geständnis setzt ein mit den Ereignissen im April 1975, wenige Wochen vor dem Fall Saigons und dem Ende des desaströsen Vietnamkriegs, der aus Sicht der Vietnamesen ein „amerikanischer Krieg“ ist. Der Erzähler arbeitet für den südvietnamesischen Geheimdienst, ist aber eigentlich als Spion für den Vietcong tätig und bereitet die Flucht nach Amerika vor, wo er seine Dienste fürs nun kommunistische Vietnam fortsetzen soll. Obwohl sein Job als Doppelagent mit Komplizenschaft bei Folter oder gar Mord an seinen Landsleuten verbunden ist, führt der Erzähler mit unerwartetem Witz durch die Tiefpunkte seines Lebens. Trocken, aber nicht leidenschaftslos, sarkastisch, aber niemals zynisch ist der Tonfall von Nguyens Roman, der 2016 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Doch wie überträgt man eine so außergewöhnlich ausbalancierte Tonalität in ein visuelles Medium?

Dieser Frage haben sich der südkoreanische Regisseur Park Chan-wook und sein kanadischer Co-Showrunner Don McKellar bei ihrer Miniserie The Sympathizer in interessant grundsätzlicher Breite gestellt. Gleich in der ersten Folge grenzen sie die besondere Erzählsituation genauer ein: Der Erzähler (Hoa Xuande), in seinem früheren Dasein meist als „Captain“ angesprochen, befindet sich seit einem Jahr in einem „Umerziehungslager“ im nun kommunistisch vereinten Vietnam und wird vom Kommandanten des Lagers angehalten, sein romanhaftes Geständnis wieder und wieder umzuschreiben und weitere Details zu offenbaren. Der Captain tut, wie ihm geheißen, schreibt, während sich seine Erzählung als filmisches Werk entfaltet, das er wie am Schneidetisch mal vor-, mal zurückspult, für Einschübe unterbricht und neu arrangiert.

Der Captain ist ein Doppelagent mit Identitätskrise

Sein Geständnis lässt er in einem zweckentfremdeten Kino in Saigon beginnen, als eine kommunistische Schläfer-Agentin vor seinen Augen gefoltert und verhört wird. An seiner Seite befindet sich sein amerikanischer Mentor, der kaltschnäuzige CIA-Agent Claude (Robert Downey Jr.), der meint, den Captain in- und auswendig zu kennen, hat er ihn doch selbst ausgebildet. In Wahrheit gehört dieses Privileg seinem heimlichen Befehlshaber Man (Duy Nguyen), einem Zahnarzt und verdeckten Vietcong-Mitglied. Die beiden und den ahnungslosen Antikommunisten Bon (Fred Nguyen Khan) verbindet seit ihrer Kindheit eine tiefe Freundschaft, die vom Fall Saigons schließlich auf die Probe gestellt wird.

Der Captain soll sich auf Mans Befehl hin der Flucht ranghoher südvietnamesischer Militärs in die USA anschließen. Er überzeugt daraufhin Bon, mitsamt seiner Frau und einem neugeborenen Kind mit ihm auszuwandern – ein Plan, der aufgrund des massiven Beschusses der bereitgestellten Flieger nicht vollends aufgeht. Am Ende findet sich der Captain mit einem von Schock und Trauer erschütterten Bon im sonnigen Kalifornien wieder und muss gleichermaßen die Befehle seines südvietnamesischen Generals außer Dienst (Toan Le) umsetzen und die verschlüsselten Anweisungen aus Mans Briefen befolgen.

Die daraus entstehende Identitätskrise ist dem bilingualen Captain nicht fremd: Eingestreute Rückblenden offenbaren, dass er als illegitimer Sohn einer Vietnamesin und eines französischen Geistlichen in seiner Heimat zeitlebens als „Bastard“ beschimpft wurde. Und selbst der amerikanische Schmelztiegel scheint diese östlich-westliche Dualität nicht auslöschen zu können: Der südvietnamesischen Diaspora gilt er trotz seines recht hohen Rangs weiterhin als „Halbblut“, und bei seiner Anstellung beim flamboyanten Asienstudien-Professor Hammer (wieder: Robert Downey Jr.) ist es seine erste Aufgabe, seine orientalen und okzidentalen Wesenseigenschaften aufzulisten.

„The Sympathizer“ dreht den Cross-Race-Effect um

Da hilft es auch nichts, dass seine neue Liebschaft, die kapitalismuskritische Sofia (charmant-abgeklärt und wunderbar: Sandra Oh) aus ihm einen über solche Zuschreibungen erhabenen Amerikaner machen will. Er klammert sich stattdessen allein an die tröstenden Worte seiner verstorbenen Mutter, wonach er nicht die Hälfte von irgendetwas, sondern das Doppelte von allem ist.

Park und McKellar umkreisen dieses identitäre Drama als elegant bebilderten Spionage-Krimi, der mit seinen abrupten Zoom-ins, dem musikalischen Zeitkolorit und gedämpfter Farbigkeit zugleich eine Hommage ans Kino der 1970er ist. Richtig nahe kommen sie dem komplexen Charakter des Captains, wie man ihn im Roman erlebt, dennoch nie. Etwas verstellt den Weg – und zwar gleich in vierfacher Ausführung: Robert Downey Jr. ist nämlich nicht nur als CIA-Claude und als Orientalistik-Professor Hammer zu sehen, sondern auch als zähnefletschender Kongressabgeordneter Ned Godwin sowie als fahriger Regisseur Nikos Damianos. Man kann diesen von Robert Downey Jr. vortrefflich genutzten Kunstgriff als verspielte Umkehr des sonst häufig Asiat*innen treffenden Cross-Race-Effects (das Phänomen des verminderten Identifizierungsvermögens bei Gesichtern, die nicht der eigenen Ethnie angehören) betrachten oder als Symbol für das Quartett amerikanischer Einflussnahme (Politik, Geheimdienst, Kultur, Bildung). Es bleibt dennoch ein schaler Geschmack zurück, wenn eine für ein größeres Publikum adaptierte Erzählung, die die grausamen Auswüchse des Vietnamkriegs mal nicht in ausschließlich amerikanischer Perspektive zeigt, dennoch einen weißen amerikanischen Schauspieler als massenwirksames Zugpferd in den Vordergrund rücken muss.

Davon unberührt findet The Sympathizer als Miniserie dennoch zu eigener Stärke – insbesondere dann, wenn es um die Wirkmacht des Kinos geht und man sich damit dem fulminanten Herzstück der Vorlage widmet. Der Captain nämlich ergattert einen Job als vietnamesischer Berater beim Dreh eines amerikanischen Kriegsfilms über Vietnam. Dessen Regisseur Nikos ist – anders als in der Vorlage – kein offen rassistischer Antikommunist, sondern begreift sein Werk als durchaus US-kritischen Antikriegsfilm; angespielt wird auf Francis Ford Coppola und die Dreharbeiten zu Apocalypse Now. Zur Verwunderung des Captains hat Claude von der CIA die Filmarbeit genau im Bick, lässt Nikos und „subversive“ Künstlertypen wie ihn aber machen, solange man sie in den „nebulösen Grenzen des Humanismus fernab anwendbarer politischer Ideologie“ halten könne.

Damit liefern Park und McKellar einen bissigen Kommentar zum (Selbst-)Betrug des sich als subversiv begreifenden „New Hollywood“, bevor sie sich beim Finale dann der ebenso betrügerisch-illusorischen Erzählweise des Captains zuwenden. Hier kommt dann Park Chan-wooks ausdrucksvoll-furioser Stil zur Geltung, wie man ihn etwa aus Oldboy kennt: Der großartige Score von Komponist Cho Young-wuk lässt seinen Grundton von spannungsgeladener Krimi-Untermalung in eine Trauer und Schuld ausdrückende, bewegende Melodie münden, während der Plot allerlei Volten schlägt und verborgene Wahrheiten offenbart. Diese lenken den Blick schließlich sehr wirkungsvoll auf den Captain, die wiederholten Details seiner Erzählung und die Folgen seiner Dualität – nicht mit der gleichen Tiefenschärfe wie die literarische Vorlage, aber mit einer eigenen Brillanz.

Eingebetteter Medieninhalt

The Sympathizer Park Chan-wook, Don McKellar. USA 2024, 7 Folgen, Sky/Wow

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