„Aber Hass löst ja nichts“

Interview Erik Kursetgjerde hat 2011 das Massaker des Rechtsextremen Anders Breivik überlebt. Heute sucht der Sozialdemokrat das Gespräch mit den Menschen am Rand
Ausgabe 29/2018

Wartet man an Land auf die Fähre MS Thorbjørn, schaut man auf ein weißes Häuschen, gelegen auf einer wunderschönen kleinen Insel im Tyrifjord, dem fünftgrößten Binnensee Norwegens. Die Vögel zwitschern, eine Familie spielt mit ihrem Hund am Wasser. Es ist still, idyllisch. Die Überfahrt dauert nur wenige Minuten.

Es ist ein kleines Eiland: Wenn man den schmalen Weg entlangläuft, der einmal rund um die Insel führt, hat man fast immer das alte Kafébygget im Blick. Den Ort, an dem man sich damals versammelte, um zu essen und zu trinken oder um vor schlechtem Wetter zu fliehen. Heute ist es eine Gedenkstätte. Denn hier, auf Utøya, einer Insel, die sich im Besitz der Jugendorganisation der Arbeiterpartei (AUF) befindet, verübte der rechtsextreme Terrorist Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011 ein Massaker. Es forderte 69 Tote und traf vor allem jugendliche Teilnehmer eines sozialdemokratischen Sommercamps.

Auf einer Gedenktafel in der neu gebauten Scheune wird an „den schwärzesten Tag“ in der langen Inselgeschichte erinnert. Zuvor hatte Breivik einen Bombenanschlag auf das Regierungszentrum in der etwa 45 Kilometer entfernten Hauptstadt Oslo verübt, acht Menschen kamen ums Leben. „Die Grausamkeiten suchen ihresgleichen in der norwegischen Geschichte“, hieß es in dem Gerichtsurteil gegen den Täter vom 24. August 2012, das ihm 21 Jahre Haft – die Höchststrafe in Norwegen – mit anschließender Sicherheitsverwahrung einbrachte.

13 Menschen erschoss Breivik allein im Kafébygget. Heute nennt sich das Gebäude Hegnhuset, Schutzhaus. Man hat die alte Cafeteria weitestgehend erhalten, wie sie am 22. Juli hinterlassen wurde. Sogar die Fenster stehen noch offen, hier sprangen manche panisch heraus, in der Hoffnung, sich noch retten zu können. Auf dem Boden stehen Bilder von den Opfern, Rosen sind im Raum verteilt. „Jeg savne deg ist in die kleinen Gedenksteine eingraviert: „Ich vermisse dich.“ Ummantelt ist die Cafeteria nun von einem zweiten Gebäude, in dem Demokratieworkshops stattfinden und Bücher gegen Hass und Rassismus zu finden sind.

Zur Person

Erik Kursetgjerde war 2011 auf dem traditionellen Jugendsommercamp der norwegischen Arbeiterpartei (AUF) und sitzt nun mit 25 Jahren für sie im Stadtrat von Sykkylven sowie auch im Kreistag seiner Region More og Romsdal in Westnorwegen

Die Freude und der Lebensmut sind nach Utøya zurückgekehrt. „Wir holen uns diese Insel zurück“, sagt eine der Teilnehmerinnen des diesjährigen Sommercamps, wie sie seit 2015 wieder stattfinden. Sie wollen das Erinnern mit dem Willen verbinden, nicht aufzugeben.

Im Inneren des Hegnhuset stehen 69 dicke Holzsäulen, je eine Säule für ein Opfer auf Utøya. Außen ist das Haus von 495 schmaleren Säulen umgeben, die die Überlebenden des Tages symbolisieren. Einer dieser Überlebenden ist der 25-jährige Erik Kursetgjerde.

der Freitag: Herr Kursetgjerde, Sie waren 18 Jahre alt, als Sie den Anschlag von Anders Behring Breivik auf Utøya miterleben mussten. Denken Sie heute noch täglich an jenen 22. Juli 2011?

Erik Kursetgjerde: Ich bin jeden Tag dankbar, überlebt zu haben. Was geschehen ist, ist ein Teil von mir geworden und hat meinen Entwicklungsprozess als Mensch beeinflusst. Es ist etwas, das mich von den meisten anderen Menschen unterscheidet. Aber nein, ich denke nicht jeden Tag an dieses Ereignis.

Wie haben Sie den Tag erlebt?

Das ist schwer zu beschreiben. Natürlich war es eine Situation voller Panik und Hoffnungslosigkeit. Wir wussten nicht, was passiert: Gibt es einen oder mehrere Angreifer? Ist das ein Terroranschlag? Anfangs haben wir uns alle im Kafébygget versammelt, um Nachrichten zu gucken und zu verstehen, was in Oslo gerade passiert war. War das eine Bombe? Im staatlichen Fernsehen sprach jemand von einem Gasleck. Viele waren sehr niedergeschlagen, weil sie aus Oslo kamen und ihre Eltern dort arbeiteten. Monica Bøsei, die Camp-Leiterin und eines der ersten Opfer von Breivik, fing an, uns Hot Dogs zu machen und uns zu besänftigen. Nach einiger Zeit wurden die Leute tatsächlich ruhiger, weil sie merkten, dass das, was in Oslo passiert war, nicht das Ausmaß hatte, wie ursprünglich von uns angenommen worden war. Es verging noch etwas Zeit. Dann glaubten wir, Feuerwerkskörper zu hören.

Feuerwerkskörper?

Ja. Als Breivik am Steg eintraf und anfing zu schießen. Als die Geräusche näher und näher kamen, wurde uns klar: Das sind keine Feuerwerkskörper, das sind kurz hintereinander abgegebene Schüsse. Dann brach totale Panik aus. Wir wussten ja nicht, aus welcher Richtung die Schüsse kamen. Also rannten alle in verschiedene Richtungen. Manche rannten zu ihren Zelten. Ich rannte zum Ufer. Da versuchte ich dann, einige zu beruhigen. Unter anderem ein Mädchen, das in Panik seine Familie anrief und dabei so laut schrie, dass wir Gefahr liefen, vom Angreifer gehört zu werden. Also haben ein Freund und ich sie beruhigt.

Und sie hat sich trösten lassen, das hat funktioniert?

Er kam trotzdem näher, das konnte man hören. Deswegen rannten wir in Richtung Pumpenhaus. Dann wurde es still. Plötzlich stand jemand direkt vor dem Pumpenhaus und sagte, er sei Polizist, wir jetzt in Sicherheit und daher rauskommen sollten. Er war in diesem Moment genau über uns. Ich wusste aber, dass das nicht stimmen konnte, weil die Polizei noch gar nicht auf der Insel angekommen war und Polizisten niemals alleine in solche Situationen gehen. Aber ein paar der Leute einer anderen Gruppe, die sich im Pumpenhaus versteckt hielt, kamen langsam aus ihrem Versteck heraus. Sie haben sich noch gegenseitig angeschrien, das nicht zu tun. „Geh da nicht hin, das ist nicht die Polizei“, riefen sie. Dann hat Breivik das Feuer auf sie eröffnet. Er tötete 14 Menschen im Pumpenhaus, verletzte aber noch mehr. Spätestens jetzt verstanden wir alle, wie ernst die Lage ist.

Wie haben Sie dann reagiert?

Wir sind zur anderen Seite der Insel gerannt. Doch die Steine waren rutschig und scharf, ich habe mich mehrfach geschnitten. Ich war ja barfuß. Also entschied ich mich, lieber zu schwimmen. Und von da an war ich eine ganze Weile im Wasser. Viele waren schnell unterkühlt. Es war halt ein norwegischer Sommer: Es war sehr kalt! Ich bin also bis zur Bucht Bolsjevika und von dort dann bis zur Mitte des Fjords geschwommen. Ich wollte natürlich nicht ertrinken, aber alles war besser, als einem Terroristen die Befriedigung zu geben, mich umzubringen.

Wie wurden Sie dann gerettet?

Da waren Boote auf dem Wasser. Aber wir wussten ja nicht, ob diese Boote da waren, um uns zu helfen, oder zu den Angreifern gehörten. Da war uns ja noch nicht klar, dass das die Tat eines Einzelnen ist. Aber ein Boot kam und sammelte mich ein. Einer der internationalen Teilnehmer des Sommercamps, ein Mann aus dem Libanon namens Basil, warf mich mit einem Arm ins Bootsinnere. Und wie Sie sehen können, bin ich nicht gerade ein Leichtgewicht mit meinen 1,90 Metern und mehr als hundert Kilogramm. Er muss voller Adrenalin gewesen sein. Ich war natürlich froh, im Sicheren zu sein. Aber wenn man eine solche Tragödie verlässt und man hinter sich immer noch die Schüsse hören kann, dann fühlt man sich schuldig, seine Freunde, seine Parteikollegen zurückzulassen.

Haben Sie Breivik an diesem Tag eigentlich gesehen? Oder ihn nur gehört?

Ich habe ihn gesehen. Am Pumpenhaus.

Wie wirkte dieser Mann auf Sie?

Man gewinnt nur schwer einen Eindruck von einem Menschen, der gerade auf einen schießt. Wir hatten also nur wenig Gelegenheit, uns besser kennenzulernen.

Natürlich.

Ich mache doch nur Spaß. Aber wissen Sie, in einer solch chaotischen Situation, in der man nicht weiß, wie viele Täter es gibt, ob es die Tat eines Islamisten, eines Links- oder Rechtsradikalen ist, da ist es schwer, sich einen Überblick zu verschaffen. In Norwegen waren Terroranschläge bis dahin ja beinahe undenkbar. Das war der größte Zwischenfall seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Rede über den Terrorismus war zuvor eine rein historische.

Inwiefern?

Man dachte zum Beispiel an die IRA. Vielleicht dachte man sogar an Islamisten. Doch es war ein großer Schock für uns alle, zu erfahren, dass das die Tat eines Mannes aus dem Westen Oslos, aus geordneten Familienverhältnissen war.

Fühlen Sie eigentlich Hass, wenn Sie an Breivik denken? Oder an Fjotolf Hansen, wie er sich ja mittlerweile nennt…

Nennen wir ihn Breivik. Aber nein, Hass löst ja auch nichts. Schaut man sich diesen Mann an, stellt man fest, dass er ein totaler Versager ist. Er spielte sich als jemand auf, der er nicht war und nicht ist. Und die Medien haben ihm auch noch eine Plattform dafür gegeben. Dort konnte er sich als „Tempelritter“ und als Beschützer der „nordischen Rasse“ inszenieren. Im echten Leben war Breivik ein Chaot.

Sie sprachen von Versager ...

Er hatte in seiner Jugend sehr zu kämpfen. Mehrere Psychologen haben dargelegt, dass sich seine Mutter nicht gut genug um ihn gekümmert und wie das System versagt hat, ihm zu helfen. Es gibt, glaube ich, eine Verbindung zwischen wütenden jungen Männern, die in der Gesellschaft marginalisiert sind, und solchen Taten, wie wir sie in Norwegen beobachtet haben. Es gibt keine Entschuldigung dafür, andere Menschen umzubringen. Aber manche Leute leben in einer Parallelwelt, in einer Blase. Und diese Blase platzt erst im Moment des Anschlags.

Sie sind Sozialdemokrat, auch weil Sie solche Leute besser in die Gesellschaft integrieren wollen?

Ich bin kein Utopist. Doch ich glaube immer noch fest an die Sozialdemokratie in Europa und der Welt. Aber wir müssen lernen, wieder mit den Leuten, statt über sie zu sprechen. Das ist uns bisher nicht gut genug gelungen. Es gibt nun einmal Menschen, die Angst um ihren Job, um ihre Kinder, um die Zukunft haben.

Und was machen wir?

Wir nehmen ihre Probleme nicht ernst, sind ihnen gegenüber arrogant und sagen ihnen, dass sie dumm sind. Natürlich nicht genau in diesem Wortlaut. Aber wir reden nie direkt mit ihnen und auch nie auf ihrer Ebene. Dann fühlen sich die Menschen machtlos. Das passiert selbst in einer sonst so erfolgreichen Gesellschaft wie der norwegischen. Breivik hatte ja anscheinend auch das Gefühl, sich künstlich aufwerten zu müssen.

Er hat ein „Manifest“ verfasst.

Ja. Das ist aber vor allem Copy-and-Paste.

Darin taucht immer wieder der Begriff „Kulturmarxismus“ auf. Verstehen Sie eigentlich dieses Wortungetüm?

Wieso fragen Sie?

Es handelt sich ja hier um einen Begriff der Neuen Rechten, der behauptet, philosophische Strömungen wie die der Frankfurter Schule seien Teil einer Bewegung, die die westliche Kultur zerstören will. Er wendet sich gegen Weltoffenheit und Multikulturalismus, Geschlechtergerechtigkeit und politische Korrektheit. Einfach gesagt: gegen das Erbe der 68er. Dabei ging es sowohl den Horkheimers und Adornos als auch den revolutionären Studierenden doch immer nur darum, die westliche Zivilisation zu befreien. Von Zerstörung war nie die Rede. Aber auf diese rechte Provokation sollte man sich wohl besser nicht einlassen?

Ich glaube, Sie überschätzen die intellektuellen Fähigkeiten dieses Mannes. Breivik war beeinflusst von islamfeindlicher Literatur wie den Blogs von Fjordman oder den Gates of Vienna. Und die Arbeiterpartei machte er politisch für die „Invasion der Muslime“ verantwortlich. Und uns als junge Sozialdemokraten ganz speziell für eine Invasion in der Zukunft. Deswegen hat er die sozialdemokratische Jugend umgebracht, denn die ist ja die Zukunft einer Partei.

Waren Sie bei den Gerichtsverhandlungen gegen Breivik dabei?

Ja, mehrfach. Und es war einfacher, ihn zu verstehen, als ich zuvor angenommen hatte. Seine Handbewegungen offenbarten Nervosität. Er sah sich selbst als Commander, er zählte seine Titel und Taten in diesen fiktiven Organisationen auf, schmückte sich regelrecht mit ihnen. In meinen Augen war er komplett fertig. Und er wurde schwächer und schwächer, je mehr ich ihn interpretierte. Und was mir damals auch auffiel, war, dass er ständig demonstrativ seine Manschettenknöpfe anfasste. Er wollte damit wohl zeigen, dass er etwas Besonderes ist: „Ich bin ein Tempelritter“ oder so ähnlich. Es war das typische Verhalten eines nervösen Egomanen, oder?

Schon möglich. Gerade erst ist Breivik vor dem Europäischen Gerichtshof mit der Klage gegen seine Haftbedingungen gescheitert. Er war zuvor in Norwegen durch alle Instanzen gegangen. In Deutschland und in vielen anderen Ländern wird die Meinung vertreten, dass der Umgang Norwegens mit diesem Massenmörder ein Ausdruck der Stärke des norwegischen Rechtsstaates ist. Sehen Sie das genauso?

Ja. Es gibt eine niederländische Dokumentation, die norwegische Gefängnisse mit niederländischen vergleicht. Die Macher des Films waren ziemlich erstaunt darüber, wie fair wir mit ihm umgehen. Wir würden aber doch das ganze System gefährden, wenn wir im Falle Breivik eine Ausnahme vom Rechtsstaat machen würden. Wir dürfen dieser Versuchung des kollektiven Hasses nicht verfallen.

Wird er das Gefängnis in diesem Leben noch einmal verlassen?

Wahrscheinlich nicht. Er hat angekündigt, dass er sich verstellen wird, um den Eindruck zu erwecken, er habe sich verändert – und dann wieder solche Taten begehen würde. In Norwegen sitzen auch andere Schwerstkriminelle schon seit mehr als 21 Jahren im Gefängnis.

Wie hat sich Ihr Leben seit dem Anschlag verändert?

Ich habe gelernt, die Dinge mehr wertzuschätzen und das, was mir eigentlich wirklich wichtig ist. Das Leben ist verwundbar. Viele haben das ihrige verloren, weil sie an etwas geglaubt haben, eine Sache vorantreiben wollten. Das Mindeste, was ich tun kann, ist, zu versuchen, in meinem Umfeld etwas zu verändern, was auch in ihrem Sinne gewesen wäre. Ich bin noch im Jahr des Anschlags in den Stadtrat meiner Heimatstadt Sykkylven gewählt worden und bin da jetzt in meiner zweiten Amtszeit. Ich bin seit 2015 auch im Kreistag meiner Region More og Romsdal im Westen Norwegens vertreten.

Sie studieren Politikwissenschaft an der Universität Oslo...

Ja, Politik ist zu einem wichtigen Antrieb in meinem Leben geworden.

Aber gab es nicht auch einen Teil in Ihnen, der für immer der Politik den Rücken kehren wollte?

Was mich am meisten stört, ist, dass ich heute noch Todesdrohungen bekomme. Noch vor einem Monat, als ich versuchte, eine Schule in meinem Bezirk zu retten, schrieb mir jemand: „Hättest du dir mal eine Kugel auf Utøya eingefangen.“

Woran liegt das?

Womöglich daran, dass ich ein „Kulturmarxist“ bin. Aber Spaß beiseite: Das ist natürlich ein echtes Problem. Wegen solcher Drohungen haben manche Menschen Angst, sich politisch zu engagieren.

Wie gehen Sie damit um?

Heute ignoriere ich es meistens. Damals habe ich die Leute noch angerufen, die mir hässliche Texte oder Briefe geschrieben haben. Das Erstaunliche war, dass sich die meisten dann bei mir entschuldigt haben. Das heißt aber nicht, dass diese Menschen nicht gefährlich sind. Im Gegenteil: Sie verschieben die Grenze des Sagbaren nach rechts. Breivik hat seine Tat ja auch nicht im luftleeren Raum begangen. Er war in Foren aktiv, in denen solche Dinge postuliert wurden. Man könnte sagen, diese Leute gießen die Kugeln, mit denen die Breiviks dieser Welt schießen.

Bei der Berlinale hatte im Februar „Utøya 22. Juli“, der Spielfilm des norwegischen Regisseurs Erik Poppe, Premiere. Kennen Sie den Film?

Ja.

Einer der Überlebenden, Kent Rune Pedersen, hat geschrieben, man solle sich lieber mit der Ideologie Breiviks beschäftigen, statt Filme zu drehen, die das Massaker rekonstruieren. Also: Wie verbreitet ist heute seine Ideologie?

Wir sollten ihn nicht künstlich aufwerten und klüger machen. Die Wahrheit ist: Er hat keine echte, belastbare Ideologie. Das ist mehr Rosinenpickerei aus verschiedensten, sehr rechten Weltanschauungen, die er auch immer wieder ändert. Aber der Extremismus nimmt natürlich zu in Europa. Menschen verlieren ihren Job, weil dieser nach Asien ausgelagert oder digitalisiert wird. Wir müssen auf die riesigen Veränderungen in der Weltgesellschaft vorbereitet sein und uns um die Leute kümmern, die davon betroffen sind. Ansonsten werden wir mehr frustrierte Menschen erleben, die bereit sind, Terrorattacken auszuführen.

Was könnten andere Menschen aus Ihrer Geschichte lernen?

Was für eine Frage! Aber ich lasse mich mal darauf ein: Ich glaube, wir müssen verhindern, dass Einzelne zum Rest der Gesellschaft eine so große Distanz aufbauen, dass sie die anderen nicht mehr als Mitmenschen betrachten. Wer das nicht tut, ist bereit zu morden. Radikalisierung muss also erschwert werden. Dafür braucht es einen Dialog zwischen Psychologen, Gemeinden, Regionen und dem Staat. Aber auch die Zivilgesellschaft kann einen Unterschied machen: Selbst in Zeiten, in denen rechtsradikale Tendenzen wieder zunehmen, müssen wir uns daran erinnern, dass das unsere Mitmenschen sind. Und wie begegnen wir denen am besten? Indem wir gegen sie demonstrieren und mobilisieren? Oder sollten wir nicht lieber einen Kaffee mit ihnen trinken gehen – mit ihnen reden?

Eine ähnliche Debatte wird auch in Deutschland geführt.

Ja, denn wo die Fronten zwischen rechts und links verhärten, wird Radikalisierung wahrscheinlicher. Menschen müssen ihre Meinung vertreten dürfen, aber damit steigt natürlich auch die Verantwortung der Gesellschaft. Meinungen, so lächerlich sie auch sein mögen, dürfen nicht unerwidert stehenbleiben. Ein Standpunkt, wie ihn Anders Behring Breivik vertrat, blieb unbeantwortet, verlacht. Wir haben gesehen, was dann passierte. Wir müssen die Debatte ernst nehmen.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

Dorian Baganz

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