Die späte Rache des Poppertums

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Ich hatte die letzten Jahre meiner Schulzeit fast vergessen. In dieser Zeit fiel die Mauer, und es gab jede Menge Bananen für die Revolutionäre.Wir wurden von einem birnenförmigen Mann aus der Pfalz regiert,der sich in den Kopf gesetzt hatte, die beiden deutschen Staaten binnen 11 Monaten aufBiegen und Brechen „wiederzu vereinigen“. Hierfür wurde erübrigens im November 2009 von der BUNTEn miteinem „Bambi“ ausgezeichnet.Immerhin. Neben jeder Menge Obst kommen jedoch auch andere Erinnerungen an diese Zeit hoch. Seit Anfang der 1980er wurden deutsche Schulklassen in zwei Lager geteilt: Popper und Andere. Popper schienen konservative Werte ganz toll zu finden und waren trotzdem unpolitisch. Oft aus gutem Elternhaus wussten sie schon mit 16, dass Rechtsanwalt werden die absolute Berufung war. Also die Berufung war, mit der man die meiste Kohle verdienen konnte, um sich viele neue schicke Status Symbole zu kaufen. Dummerweise haben sie nicht gemerkt, dass sie schon in ihrer zarten Jugend spießiger waren als die Hausfrau aus der 50iger Jahre-Persil-Werbung. Kurz: Gegen die Popper aus meiner Klasse waren meine Großeltern –selbst Häuslebauer und Adenauer-Wähler- echte Punks, weil sie eben nicht mit Burberry, Burlington und Lacoste den Konsum zelebrierten.

WiePhönix aus der Asche oder Urmel aus dem Eis werden mir genau diese Gestalten kaum 20 Jahre später von „Mutti“ wieder vor die Nase gesetzt. Und das Schlimme daran: Heute blinzeln sie nicht nur arrogant unter ihrer Poppertolle hervor und tragen ein niedliches Krokodil auf ihrem Polohemd zur Schau. Diesmalsind sie in die Regierung gewählt worden, haben somit irgendwie etwas zu sagen und predigen Neoliberalismus.Die Poppertollen sind heute mit Gel aus dem Gesicht gestrichen. DezentePerlohrringe und randlose Brillen werden gleich zusammen mit dem FDP-Parteibuch an die Neubeitritte verschickt. Und wenn es um Wählerfang geht, dann streift man –dies wäre in der Schulzeit ein absolutes no go gewesen- auch mal ein fabrikneues ACDC Shirtüber, um auch den letzten Schmalspur-Wähler aus Hintertupfingen zu erreichen. Nach dem Motto: Wer ACDC mag, kann kein schlechter Mensch sein. Wahrscheinlich hat unsere frisch erkorene Bundesfamilienministerin auch schon ein „Guns ‚n‘ Roses“ T-Shirt für den Wahlkampf 2013 in ihrer ökologisch abgebeizten Bauerntruhe aus dem frühen 19. Jahrhundert gebunkert. Ich habe als Kind auch nicht für Pferde geschwärmt, aber dann muss man doch nicht gleich die für eine 14-JährigewidersinnigsteAlternative wählen! Warum gab es wohl in der BRAVO keinen Starschnitt von Helmut Kohl? „Kruzifix, this is my generation!“ Ach nein, für Außen-PopperGuido lieber aufDeutsch: “Das ist meine Generation!“

Die Zeitungen fragen:Ist unsere Regierung zu jung? Gegenfrage: Liegt das Problem wirklich am Alter? Spiegeln unsere Politiker denn überhaupt noch ansatzweise die Bevölkerung wider?Besteht unsere Bevölkerung tatsächlich ausschließlich aus korrekt verheirateten Wirtschaftserben, Karrieristen und Schmalspur-Promotionen? Oder produziert sich diese Spezies mittlerweile selbst?Ich sehe keine alleinerziehenden Mütter, Hartz IV Empfänger oder einfach nur Menschen, denen tatsächlich schon einmal da draußen in der freien Wirtschaft der Allerwerteste auf Grundeis gegangen ist, ohne weich auf 6-stellige Abfindungsbeträge zu fallen. Aber solche Vertreter sind bestimmt viel zu unbequem für das aalglatte Unternehmen Bundesregierung.Vielleicht sollte man es einfach mal mit einer randlosen Brille und Perlohrringen versuchen?

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