Ich bin nicht Euer Superstar – In Memoriam an Klaus Kinski

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Es muss in den 1980ern gewesen sein. Meine Großmutter saß zusammengesunken mit halboffenem Mund in ihrem Fernsehsessel und grunzte friedlich vor sich hin. Im Fernsehen lief die NDR-Talkshow mit Alida Gundlach. Die Talk-Dame hatte sich für diesen Abend einen eher extrovertierten Gast eingeladen: Klaus Kinski.Wäre meine Großmutter aufgewacht, so hätte sie wohl blitzschnell auf die „Musikanten-Scheune“ umgeschaltet. So aber wurde ich Zeugin von raumfüllenden Monologen aus einem Karpfenmund gespickt mit schlechten Anglizismen über Scheißfilme, Scheißproduzenten und Scheißdrehbücher. Gegenfragen walzte Herr Kinski mit einem knappen „Nu, lass mich doch mal ausreden, Du Arschloch!“ platt. Wären seine grandiosen Ausbrüche an diesem Abend analysiert worden, käme unterm Strich eine Botschaft heraus: „Die Welt besteht ausschließlich aus Bekloppten, aber ich bin epochal!“An diesem Abend wurde ich ein Fan der NDR-Talkshow. Nur konnten die nachfolgenden Gäste Herrn Kinski nicht das Wasser reichen. Bis auf Nina Hagen vielleicht.

An das Fernseherlebnis meiner Kindheit wurde ich letztens erinnert. Seit langem wollte ich mir schon den Werner Herzog Film „Mein liebster Feind“, ein Film über Klaus Kinski, anschauen. Und nun brüllte Kinski durchs Wohnzimmer. Mit liebenswürdiger Gelassenheit hingegen gibt Herzog Geschichten über seine und Kinskis Jugend zum Besten, die vom Tonfall her wie lustige Anekdötchen aus der Studentenzeit klingen. Ganz so war es aber nicht. Der WG-Alltag mit Kinski war rau. Der sehr emotionale Mitbewohnermit Hang zu Tobsuchtsanfällen schloss sich schon einmal 48 Stunden im Badezimmer ein, um Toilette, Waschbecken und sonstiges Inventar so zu zertrümmern, dass es nur noch schaufelweise entsorgt werden konnte. Die Polizei rückte nach 46 Stunden an, um auch gleich wieder abzuschwirren. Herr Kinski hatte sie im Griff. Anstatteine geschlossene Tür mithilfe der Türklinke zu öffnen, verschaffte sich Herr Kinski lieber mit einem eindrucksvollem Karate-Kick Eintritt. Kalkweiß und mit Schaum vorm Mund schreit er die Haushälterin an: „Klara Du Sau!“Der Grund war gerechtfertigt. Klara hat die Hemdkrägen nicht nach seinen Vorstellungen gebügelt.Der Faden zwischen Genie und Wahnsinn zieht sich durch den gesamten Film, und hat sich wohl auch durch sein komplettes Leben gezogen. Nicht ohne Grund boten die Peruanischen Asháninka-Ureinwohner Herzog während der Dreharbeiten zum Film „Fitzcarraldo“ an, den permanent tobenden Kinski umzubringen.

Dennoch. Auch wenn sich eine Zusammenarbeit mit Herrn Kinski wahrscheinlich nie als harmonisch entpuppt hätte, wäre er doch bestimmt eine Bereicherung in der heutigen TV-Landschaft.Bei bekannten Sonntag- und Donnerstag-Abend –Gesprächsrunden hätte er sicherlich eine prächtige Figur zwischen den Predigern des Neo-Liberalismus gemacht, um dann gegen Ende der Sendung das durchdesignte Mobiliar zu zertrümmern. Auch wäre er ein guter Gastredner im Bundestag geworden. Seine Reden wären gespickt mit „Gesocks“, „Gesindel“, „Halts Maul“, eine klare eindeutige Sprache, die das Volk versteht.

Schade.In der NDR-Talkshow am 30.07.2010 waren übrigens Daniel Küblböck und Kristina Bach zu Gast. Talkshow goes „Musikanten-Scheune“. Das hätte meiner Oma gefallen.

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