Marke Leben

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

„Du bist mir ja vielleicht eine Marke“, sagte meine Großmutter öfters, wenn ich irgendetwas nicht ganz so schlimmes ausgefressen hatte. Sie wusste damals nicht, wie recht sie hatte.

Marken schlichen sich ins Leben eines durchschnittlichen westdeutschen Teenagers ganz leise und unbemerkt Anfang der 1980er ein und haben sich bis heute mit aller Konsequenz festgebissen, wenn nicht gar auf alle erdenklichen Lebensbereiche ausgebreitet.

Der Stein allen Anstoßes in meinem Leben war ein ziemlich gewöhnlicher Baby-blauer Baumwollpulli. Ein Sweatshirt, wie es neuerdings richtig hieß. Die richtig wichtige und unverzichtbare Applikation konnte man auf der Rückseite bewundern: MarcO’Polo . Mein Problem: Ich hatte weder das Sweatshirt noch die dazugehörige Applikation. Meine noch junge Identität musste ohne diese Marke zurechtkommen. Meine Eltern waren in diesem Punkt erbarmungslos. Ich bekam zwar ein einfältiges Baby-blaues Sweatshirt, jedoch mit dem politisch inkorrekten Aufdruck „Jean Pascale“.Zum unterziehen reichte es, um in die Marken-Kaste in meiner Klasse aufzusteigen, reichte es nicht. Daran hinderten mich sowieso meine weißen Basketball-Turnstiefel, die fatalerweise nurzwei anstelle von drei Streifen zierten.

In der Schule waberte der Kampf zwischen Pelikan- und Geha-Füllfederhaltern schon seit längerem. Fortan wurde das Lebenvon Marken bestimmt. Du trägst Marke also bist Du. Hochgeklappte Krokodile profilierten sich gegen Benetton-Perlfang-Pullis.Dockers Segelschuhe traten gehen Converse Chucks an. Dallas integrierte gegen Denver. Burlington Kniestrümpfe stänkerten gegen Nike-Tennissocken. Sylt-Aufkleber lieferten sich Autorennen mit „Atomkraft Nein Danke“-Stickern. Aufkleber waren in den 1980ern sowieso ein beliebtes Hilfsmittel. Reichte es aus finanziellen Gründen nicht ganz für ein Lacoste-Shirt, so bekundete man seine Solidarität mit den aufstrebenden Marken jedenfalls anhand eines Lacoste-Aufklebers auf der Federtasche. Für Markenfetischisten ohne finanzielles Polster gab es Krokodil-Aufnäher auf dem Flohmarkt,so dass kaum merkbar C+A Hemden aufgewertet werden konnten. Benetton-Plastiktüten (die mit der Kordel zum Umhängen) führten ein längeres Dasein als die herkömmlichen Turnbeutel. 1990 arrangierten sich Spreewald- mit Kühne-Gurken, Faber- mit Rotkäppchen Sekt.

Ich bin an dieser Stelle übrigens erschrocken, wie viele Marken mir nix dir nix einfallen. Ein Lebenslauf getragen von Marken. Es war nur eine Frage der Zeit bis ganze Generationen das Markensiegel aufgedrückt bekommen haben. Wurden die 1968er noch nach den Ereignissen im Jahre 1968 benannt, bekamen die nachfolgenden Generationen eher ein marktorientiertes Image verpasst: Generation Golf, Generation Praktikum, Generation 2.0. Handlich, griffig und für jeden verständlich.

Rührt Identität nur von Kleidercodes und Marken her? Die Entfremdung im Kapitalismus, so hat Marx das genannt. Der hatte gut reden, musste ja auch nicht für eine Baby-blaues Sweatshirt kämpfen.

Ist es heutzutage wirklich so einfach, die Identität eines Menschen aufgrund seines Outfits zu erfassen? Randlose Brille bedeutet neoliberal, schwarze Nerd-Brille sozial-kreativ. An dieser Stelle sei erwähnt, dass mich aus genau diesem Grund die randlose Brille von dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linken Dr. Dietmar Bartsch irritiert. Freitag-LKW-Planen-Tasche: Accessoire individuell gleichgeschalteter Schanzen-Bewohner mit Günter Netzer Gedenk-Frisur. Bugaboo: Der Mercedes unter den Kinderwägen. Eltern, die wagen, einen No-Name Kinderwagen zu erwerben, sollten man sowieso gleich das Jugendamt auf den Hals jagen.

Heute wohne ich übrigens in der Marke Hamburg. Reichte vor einigen Jahren noch ein profanes Stadtwappen, so macht sich heute die Hamburg-Marketing GmbH Tag ein Tag aus Gedanken über die stylische Außendarstellung der Marke (und vielleicht noch ein bisschen Stadt) Hamburg. Corporate Design, wöchentliche Events aufgepeppt mit einer Prise Ökologie sind die Säulen in diesem Konzept, denn:
„Die Marke Hamburg bietet damit eine großartige Chance für alle Akteure der Metropole, von der Marke Hamburg zu profitieren. Und sie bietet gleichzeitig die Möglichkeit, durch eigenes Handeln die Marke Hamburg weiter zu stärken.“ (Hamburg Marketing)

Ja, Oma ich bin eine Marke und habe es sogar zu einer Akteurin der Metropole gebracht. Du wärst stolz auf mich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden