Occupy-Camp Hamburg Teil 3

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„Das Aufstehen ist anders hier! Du machst das Zelt auf, und bang! wirst Du mit allem konfrontiert. Passanten, den Camp-Bewohnern, allem hier. Aber so ist das halt, wenn man mitten in Hamburg zeltet.“ Der Camp-Bewohner, der über das morgendliche Aufstehen philosophiert ist Mitte-Ende Zwanzig, Kunststudent und seit Beginn dabei.Heute Vormittag hatte er Kreislaufprobleme, gerade als er von einer Schulklasse interviewt wurde. Jetzt geht es ihm besser, die heiße Zitrone aus dem Restaurant „Weltbühne“ half. Das Theater-Restaurant –gehobene Gastronomie mit Kellnern in schwarzen Anzügen- hat sich schon seit Beginn mit der Bewegung solidarisiert. Der Livestream wurde zuerst vom Außenbereich des Restaurants gesendet. Irgendwann wurden Kabel mit „Weltbühnen“-Strom über die Bäume des Gerhart-Hauptmann-Platzes in das Camp gezogen.

Ich war drei Tage nicht hier. Das Camp ist nochmals gewachsen. Ich zähle über zwanzig Zelte. Die Luft ist kalt, es riecht nach feuchten Laub und Kaffee. Der Vormittag war neblig, jetzt bricht die Sonne durch. Zwei Party-Pavillons gibt es.Der Küchen-Pavillon, in dem bunte Fotos von Occupy-Aktionen an der Zeltwand hängen, steht am Rande des Camps und ist Treffpunkt. Zwei große Pinnwände informieren, was noch benötigt wird und was nicht. („Wir sind mit Nahrungsmitteln versorgt!“) Auf dem Tisch reihen sich die Thermoskannen. Der Media-Pavillon ist Sendeplatz des Livestreams. Blogger schreiben ins Laptop.

„Ist das hier ein Liebescamp?“ Eine alte Frau mit Rollator steht neben dem Zelt und hat irgendwo ein aufgemaltes Herz gesehen. Ihr wird die Situation erklärt. Zufrieden zockelt sie weiter. Ich spreche mit einer blonden Frau, Camp-Bewohnerin, Mutter eines zehnjährigen Sohnes und Yoga-Lehrerin. Die letzten zwei Nächte hat sie sich zu Hause ausgeschlafen. „Ich kann hier nicht schlafen, das Licht, die Geräusche, fremde Leute, die vorbeikommen, herumpöbeln.“ Sie guckt auf ihr Handy, ihr Sohn kommt gleich vorbei. „Heute ist bei mir Yoga ausgefallen, ich habe mit den Kindern Plakate gemalt. Was würdet Ihr ändern?, habe ich gefragt. Und sie haben das hier gemalt.“ Sie zeigt eine dicke Rolle mit schätzungsweise 15 gemalten Plakaten heraus. Weniger Müll, Kein Hunger für alle, Wir Kinder sollen nicht vergessen werden.

Die Stimmung im Camp sei ok.“ Es wohnen sehr unterschiedliche Charaktere hier, mit unterschiedlichen Beweggründen. Da wird es auch einmal lauter, und einer stehtwütend auf.“ So sei das nun in jeder Gruppe. Und die Gruppe hält es aus. „Klar, machen wir weiter. Ganz bestimmt. Weihnachtsmarkt hin oder her“ Lachend fügt sie hinzu: „Der Weihnachtsmarkt wird Ende November hier eröffnet. Wir könnten uns alle Jobs im Budenzauber suchen und so den Weihnachtsmarkt unterwandern“.

Einen anderen Bewohner, der freundlich grüßt und mich nach meinem Befinden fragt, konfrontiere ich mit (Leser-)Kommentaren, „dass diese ganzen Occupy-Bewegungen eigentlich nur Facebook-Partys mit einem politischen Aufhänger seien. Leute, die etwas erleben wollen und sich dies zeitlich und gesundheitlich leisten können.“Er zeigt auf einen Mann mittleren Alters, der Flugblätter verteilt. „Er hat sich Urlaub genommen, um hier mit uns zu campieren und sich zu engagieren“, Er zeigt auf einen anderen jüngeren Mann: „Er steht hier morgens auf und fährt zur Arbeit“.Eine junge Frau verteilt Buttons: „Wir sind 99%“ und „Occupy Hamburg“. Sie zeigt auf meine Tochter, die in der Trage vor mir schläft. „Ich werde auch Mama. 4. Monat. Wenn das kein Grund ist sich zu engagieren.“

Als letztes spreche ich mit dem Camp-Bewohner, der morgens aufsteht und zur Arbeit fährt, auf der anderen Elbseite. Arbeiter sei er, erzählt er. Er hält ein Schulheft in der Hand, in das er Stichworte notiert. „Wir arbeiten an einer Botschaft, die unser alle Beweggründe definiert. Wir können hier nicht einfach herumsitzen und rufen „Wir sind die 99 %“. Wir werden unterstützt mit Geld, Sachen, Essen! Wir wollen nicht unglaubwürdig werden, weil wir uns nicht definieren können. Er zeigt mir einen kleinen Zettel, auf den er seine Beweggründe aufgeschrieben hat, die mit weltweiter sozialer Gerechtigkeit umschrieben werden können. Wir unterhalten uns über die 99 % und stellen fest, dass ein gewisser Anteil der 99 % sich selber niemals dazu zählen würde und natürlich nach den 1 % greift. Wir sprechenüber seine Kollegen, auch Arbeiter, die vor zwei Jahren FDP gewählt haben, weil sie ja Leistungsträger seien. Und wir sprechen über die Bild-Zeitung, vielerorts die einzige Zeitung und somit Gesetz. „Schlafen tue ich gerade nicht hier. Das habe ich letzte Woche gemacht. Ich konnte dann bloß nicht mehr arbeiten. Damit ist keinem geholfen. Ich komme jetzt nach Feierabend hier her und bleibe bis abends.“ Das mit dem Aufstehen ist hier so eine Sache. Bang! Und schon ist man mit allem konfrontiert.

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