Kaum hatte sich das von islamfeindlichen Bewegungen wie PEGIDA geprägte Bild einer kalten, Andersartigkeit abweisenden europäischen Gesellschaft durch die Solidaritätskundgebungen mit Muslimen in zahlreichen deutschen Städten wieder aufzuhellen begonnen, erschüttert das Nachbarland Frankreich ein Anschlag auf eine Zeitungsredaktion mit mindestens zwölf Toten. Da die anschließend geflüchteten Täter dabei “Allahu Akbar” gerufen haben sollen, gilt für große Teile der europäischen Öffentlichkeit bereits als gesichert, dass es sich um Muslime handele und nicht nur für PEGIDA, sondern auch einigen Repräsentanten aus Politik und Mainstreammedien scheint unbestreitbar, der Islam sei für diese menschenverachtende Aktion verantwortlich.
Als Karikaturen legimierte Abdrucke von Schmähzeichnungen des Propheten Mohammed in nämlicher Zeitung hatten bei Tausenden Muslimen in Frankreich und anderenorts schon seit längerem das Bewusstsein geweckt, das im französischen Laizismus angelegte Gleichbehandlungsgebot der Religionen gelte gegenüber dem Islam nicht, dessen Beleidigung vielmehr im Namen dieser Laizität explizit legitimiert sei. Zugleich erkannte man in den “Karikaturen” einen medialen Angriff der Zeitung auf den eigenen Glauben.
Je häufiger man sich und den Islam Angriffen in Wort oder Bild gegenübersah, desto stärker wuchs der Zorn und - bei dem einen oder anderen - das Bedürfnis, Rache zu üben, welche nun scheinbar in diesem Attentat ausgelebt worden ist. Die Menschlichkeit, die der Prophet, den man zu verteidigen vorgibt, vorgelebt hat, und erst recht die Werte, die der Islam insgesamt verkörpert, sind auf diese Weise jedoch in einem Maße missachtet worden, dass die sogenannten Islamkritiker sich in ihren Ressentiments bestätigt sehen können.
Die Religionsfreiheit, nicht nur ein Ideal der westlichen Demokratie, sondern auch im Islam selbst als Achtung vor dem Glauben des Anderen ein Grundprinzip, erfordert ein menschlichen Umgang auch mit denjenigen, die der eigenen Religion skeptisch bis feindlich gegenüberstehen. Zu seinen Lebzeiten sah sich der Prophet mit mindestens ebenso erniedrigenden Reaktionen konfrontiert, wie sie Muslime im heutigen Europa erfahren. Gewalt erachtete er jedoch nur dort als gerechtfertigt, wo seine Gegner bereits zuvor ebenfalls Gewalt angewandt hatten.
Sich angemessen zur Wehr setzen, erfordert ein Verhalten, das sowohl mit islamischen Werten als auch mit dem Geist des europäischen Pluralismus vereinbar ist. Es gilt dazu beizutragen, dass Voreingenommenheiten entgegengetreten wird, in dem die Gesellschaft über die eigene Religion aufgeklärt wird und den islamfeindlichen Provokateuren ihre vorgegebenen Prinzipien in ihrer Konsequenz vor Augen gehalten werden.
Das Verlangen der französischen Gesellschaft nach Laizität beinhaltet demnach nicht nur keine Religion Seitens Staat und Medien hervorzuheben, sondern ebenso keine Religion zu verunglimpfen. Diffamierende Zeichnungen des islamischen Propheten müssen deshalb als ein Verstoß gegen jenes Laizitätsprinzip öffentlich benannt werden. Wenngleich sie dem Buchstaben nach von der Religionsfreiheit gedeckt sein mögen, stehen sie ihrem Geist, der ein Respekt vor den Gefühlen und Wertschätzungen der Andersgläubigen einschließt, eindeutig entgegen.
Muslime wie Nichtmuslime, die an einer pluralistischen und zugleich humanen Gesellschaft interessiert sind, sind aufgerufen, sich einerseits von Rachegedanken und Gewalt fern zu halten, sowie andererseits den Anhängern der anderen Religionen und Weltanschaungen ihren Respekt entgegenzubringen. Religionsfreiheit kann auch dem Buchstaben nach nicht dauerhaft gewährleistet werden, wenn die Religion für Gewalt und Inhumanität instrumentalisiert wird, aber ebensowenig das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit, wenn diese dazu missbraucht wird, andere Religionen zu beleidigen.
Kommentare 10
"Religionsfreiheit kann auch dem Buchstaben nach nicht dauerhaft gewährleistet werden, wenn die Religion für Gewalt und Inhumanität instrumentalisiert wird, aber ebensowenig das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit, wenn diese dazu missbraucht wird, andere Religionen zu beleidigen."
Das liest sich so, als wollten Sie sagen, dass "wir" selber Schuld sind, wenn Gewalt gegen "uns" ausgeuebt wird, weil "wir" durch Wahrnehmung "unserer" Grundrechte einigen Menschen Ihrer Glaubensrichtung Unbehagen verursacht haben.
Habe ich recht?
Gibt es ein womoeglicht (fuer Sie) ein Grundrecht darauf, nicht krtisiert zu werden?
Ist für mich keine Diskussionsgrundlage. Es müsste schon konkreter werden, welche Karikaturen denn eine Religion beleidigt haben - und vor allem: auf welche Weise.
"Religionsfreiheit kann auch dem Buchstaben nach nicht dauerhaft gewährleistet werden, wenn die Religion für Gewalt und Inhumanität instrumentalisiert wird, aber ebensowenig das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit, wenn diese dazu missbraucht wird, andere Religionen zu beleidigen."
Auf den 1ten Blick überzeugend, auf den 2ten weniger, denn wer legt den Maßstab fest für die Grenzen berechtigter und unberechtigter Kritik?
Mir wäre es allerdings lieber, wenn man in der Satire nicht das Ziel der Gläubigen in den Fokus nimmt, sondern die Verhaltensweisen der Gläubigen selbst, in ihren Widersprüchen und Anmaßungen. Denn viele derjenigen glauben doch tatsächlich, daraufhin die Ehre ihres beleidigten Gottes verteidigen zu müssen, weil in dem Fall die Gesetze dieser Welt keine Zuständigkeit mehr haben.
Trotzdem ist ihr Hinweis berechtigt, was die Medienverantwortung betrifft.
Gestern hatte Kurt Tucholsky Geburtstag:
Satire darf alles.
Der Unterschied ist, eine Schreibmaschine ist keine Kalaschnikow; die Verantwortung für Morde trägt immer und überall der Mörder.
Im Umkehrschluß heißt das, die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist zu wahren.
Eine Satire kann ein Anlaß sein für eine geistige Auseinandersetzung, niemals aber für Gewalt.
„…Religionen zu beleidigen….“
Religionen sind mangels Personenqualität gar kein mögliches Tatopfer. Sie sind schlicht nicht beleidigungsfähig.
Etwas anderes ist der hoch umstrittene §166 StGB.
Der spielt in Deutschland mit rund 15 Urteilen / Jahr aber kaum eine Rolle.
Beschimpfen ist darüber hinaus eine besonders gravierende herabsetzende Äußerung.
Diese wäre dann, wenn die Äußerung der Wahrheit entspricht, auch nicht strafbar.
Wenn im Namen einer Religion Morde verübt werden, darf das auch in Wort, Schrift oder Bild ausgedrückt werden.
Viele Grüße
fos?
Lieber Mohammed,
in diesem Zusammenhang möchte ich auf den ausgezeichneten Beitrag von Khadija Katja Wöhler-Khalfallah hinweisen.
Auch andere Wissenschaftler des Islam (u.a. Abdelwahab Meddeb) kritisieren die "Krankheit" des Islam, der bisher nicht seine "Aufklärung" durchlaufen hat, wie bspw. das Christentum. Gerade die fehlende "Modernisierung" des Islam, die vor allem mit einer allumfassenden Bildung aller Glaubensschwestern und -Brüder einhergeht, sorgt für eine Blockade einer Auseinandersetzung von Menschen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen. (Modernisierung ist unabdingbar, wollen wir gesellschaftlichen Fortschritt und Dogmen gegen Freiheit überwinden) Das soll nicht heissen, dass der Islam nach seiner "Aufklärung" und Zugang aller zu Bildung die gleiche oder ähnliche Spiritualität entwickelt, wie westliche Gesellschaften. Aber es wird dadurch das alltägliche Miteinander der Menschen unterschiedlichen Glaubens oder Weltanschauung auf die Ebene des Dialogs, des gegenseitigen Respekts und Verständnisses gehoben, anstatt weiterhin Superiorität, Inferiorität und Komplexe zu fördern.
Die Satire muss immer gelten. Sie ist das Salz auch von Aufklärung und regt zur Reflexion an. Es ist nicht das sich Lustigmachen oder sich Besserdünken gegenüber dem Anderern. Es ist das notwendige Hinterfragen des Andersseins verbunden mit der Aufforderung zum Dialog über die durch Satire kritisierten Punkte.
LG, CE
PS: Wie Du sicherlich weisst, hinterfragen wir Menschen im christlichen Abendland ebenfalls religiöse Dogmen und drücken das in Satire aus.
Ich vergass, den Link zu Khadijas Beitrag einzustellen. Hier ist er:
https://www.freitag.de/autoren/khadija-katja-woehler-khalfallah/ueberwindet-ohnmacht-und-fremdsteuerung
Ich befürchte, Sie haben Satire über Religionen völlig falsch verstanden.
Satire ist nur möglich, wenn es Auswüchse gibt, die dazu Anlass geben sie aufs Korn zu nehmen. Satire macht sich auch nicht über die Religion an sich lustig, sondern über die Art und Weise ihrer Auslegung. Die Satire trifft auch alle Religionen und nicht nur den Islam.
Satire in Bildern ist aus meiner Sicht sogar noch die Form von Kritik, die die monotheistischen Religionen verschmerzen können. Würden sich mehr Menschen mit der Entstehung der drei großen Religionen befassen und tiefer mit der Frage beschäftigen, was die Quellen der Schriften sind, wäre das viel unangenehmer.
Die großen monotheistischen Religionen wären gut beraten Humor zu zeigen, denn so behalten sie eine große Masse der Menschheit als Kunden, die darüber hinaus sogar noch froh sind, wenn sie mit Versprechungen in der irdischen Welt abgespeist und getröstet werden.
Ich befürchte, Sie haben Satire über Religionen völlig falsch verstanden.
Satire ist nur möglich, wenn es Auswüchse gibt, die dazu Anlass geben sie aufs Korn zu nehmen. Satire macht sich auch nicht über die Religion an sich lustig, sondern über die Art und Weise ihrer Auslegung. Die Satire trifft auch alle Religionen und nicht nur den Islam.
Zunächst mal sehr auf den Punkt gebracht. Es gibt aber sehr wohl Satire, die sich über Religion an sich lustig macht.
Im Kontext der Ereignisse drängt sich bei mir dennoch die Frage auf: Gibt es Satire, die zerstörerisch wirkt? Ich bin mir sehr bewusst, dass die Grenzziehung per Definition nicht möglich ist, aber als Phänomen doch. Ich beziehe mich hier nicht auf die Franzosen, bin aber durch die Ereignisse ins Grübeln gekommen.
Die politische Satire hat ja sogar den Anspruch etwas zu zerstören, denn sie ist die Waffe der Schwachen und Machtlosen. Das hat mit ihrer Entstehung in Europa in der Zeit der Aufkärung tun.
Die beste Satire gegen den IS und die Auswüchse des Islam machen momentan die Menschen in den arabischen Staaten. Dort gibt es Satire, dagegen ist Charlie Hebdo nur ein Versuch.
Schauen Sie sich einmal die Satire in den Meden im Libanon oder Jordanien an, die ist richtig kernig.