Das Jahr geht zur Neige

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Ich bin bißchen angefressen, daß das hier zurzeit so schnell geht und niemand Zeit finden konnte, auf meinen Midgley-Beitrag zu reagieren, so schlecht war er nicht. Egal. Nun was ganz anderes, pass auf. Über meinen Bruder gar nicht weit weg von Boomtown, Pleitze.

Als er Mitte Juli das Spital verließ, sagten die Ärzte, das Karzinom gäbe ihm noch fünf, sechs Monate. Auf deren Therapien backt er sich eins, er wird in seiner Wohnung bleiben, hat sich längst an schräge Nachbarn gewöhnt (auch die wärn ziemlich Zeilen wert, aber ich will hier niemanden strapaziern). In eine Klinik hier in der Nähe will er nicht, das Angebot steht, mag sein er besinnt sich, sobald ihm der Schmerz zusetzt, man wird sehen.

Vierzehntäglich hab ich ihn besucht, bei der gegenwärtigen Witterungslage geht das nicht mehr, wir telefonieren, es scheint er ist's zufrieden, heute sieht er Jauch. Wir sind zum Konsum einkaufen, ich hab Plörre getrunken, bissel Plastikkuchen dazu, wir saßen auf der bescheidenen Dachterrasse, er hat eine geraucht oder zwei, drei, ansonsten Plauderton und es war angenehm, die Anwesenheit zu genießen, für ihn, für mich, dann bin ich wieder los, viereinhalb Stunden Autobahn.

Ihn im Krankenhaus besuchen? Blume in die Vase, am Krankenbett sitzen, die Flure ablaufen? Meine Güte, da wär er ja schon nicht mehr er selbst, und ich erst!

Ich könnt noch die Episode von Heidi erzählen, die ihn, wie sie meint, pflegt, real ist's andersrum, aber ich möchte hier niemanden verschrecken. Das ist mein Bild von Wirklichkeit, und den Zugang zu dieser Wirklichkeit verkleistern wir uns durch unsere glänzende, hochentwickelte Technologie, auf die wir uns gewaltig was einbilden (nicht nur in der Medizin), die ja sinnvoll sein mag, hier und da, die aber längst zweckentfremdet ist und dem Geldumlauf dient.

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Geschrieben von

Dreizehn

Lebe in einem Winkel der Stadt, lese, schreibe gelegentlich.

Dreizehn

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