Was nun, Herr Scholz?

Standfestigkeit ist gefragt Olaf Scholz hat Rückenwind bei seinem NEIN - gegen die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine: durch die Mehrheit seines Volkes und im Bundestag. Stärkt ihn das ausreichend, um die Widerstände auszuhalten?

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Pressestatements von Bundeskanzler Scholz, Präsident Macron und Ministerpräsident Tusk beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am 15. März 2024 in Berlin

Bundeskanzler Scholz:

"Klar ist: Wir unterstützen die Ukraine. ‑ Klar ist auch: Wir sind nicht im Krieg mit Russland. Unser gemeinsames Ziel ist und bleibt es, sicherzustellen, dass sich die Ukraine gegen die russische Aggression wirksam verteidigen kann. Dafür engagieren sich Deutschland, Frankreich und Polen gemeinsam mit vielen Verbündeten und Partnern in Europa und jenseits des Atlantiks. Wir werden in unserem Engagement nicht nachlassen. (...)

Wir haben uns heute auf einige Schwerpunkte verständigt. Unter anderem werden wir ab sofort noch mehr Waffen für die Ukraine beschaffen, und zwar auf dem gesamten Weltmarkt."

Der Französische Präsident Macron:

So lange, wie es notwendig ist, werden wir alles tun, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann. Wir werden weiterhin die Ukraine und das ukrainische Volk unterstützen, und dies so lange wie möglich, und wir werden nie eine Initiative zur Eskalation unternehmen. Wir haben da einen sehr starken Willen geäußert. (...)

Unsere Sicherheit und unsere Zukunft stehen auch in der Ukraine auf dem Spiel. Wir sind natürlich solidarisch, weil die territoriale Souveränität der Ukraine angegriffen wurde. Dies tun wir für die Ukraine, aber auch, weil unsere Sicherheit in der Ukraine auf dem Spiel steht."

Der polnische Minister-Präsident Tusk:

"Heute haben wir wirklich mit einer Stimme gesprochen, vor allem über die Sicherheit unseres Kontinents, unserer Länder, und all das natürlich im Kontext des Kriegs in der Ukraine. (...) Wir sind uns auch dessen bewusst, dass wir, die Europäer, die Verantwortung für unsere eigene Sicherheit und Zukunft tragen. Das kann auch niemand ändern. Wir sind also auch davon überzeugt: Was auch immer politisch passieren sollte: Je stärker Europa sein wird, desto größer wird auch die Chance für die Ukraine sein, den Krieg zu gewinnen, und desto besser werden auch die transatlantischen Beziehungen sein, heute und in der Zukunft. Ein starkes, vereintes Europa ist wirklich der beste Partner für alle in der Welt, und das gilt natürlich auch für die USA."

https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/pressestatements-von-bundeskanzler-scholz-praesident-macron-und-ministerpraesident-tusk-beim-treffen-der-staats-

Die Quintessenz?

Erstens: Friedensverhandlungen sind nicht erwünscht, sondern verstärkte militärische Inventionen gegen Russland - mit dem Ziel, dass die Ukraine den Krieg gewinnt (Tusk) bzw. dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt (Macron)

Zweitens: Taurus-Raketen für die Ukraine sind keine Option für diesen Krieg; wohl daher wurde es auch in den Statements nicht thematisiert.

Drittens: Eine Eskalation des Krieges soll vermieden werden. So lässt sich z.B. auch Macrons Äußerung "und wir werden nie eine Initiative zur Eskalation unternehmen", als Abschied von seinem angedrohten Bodentruppeneinsatz interpretieren.

Viertens: Die plakativ hinausposaunte Einigkeit der drei Staatschefs ist löchrig; denn der Hardliner Tusk will Russland besiegen und Macron will, das Russland diesen Krieg nicht gewinnt und unser Bundeskanzler will die Ukraine "gegen die russische Aggression wirksam verteidigen". - Das sind schon deutliche Unterschiede!

Auch die Ausklammerung des Themas "Taurus" lässt vermuten (!), dass hierbei Tusk nicht überzeugt werden konnte, auf den Einsatz dieser Waffe zu verzichten, um eine höllische Eskalation des Krieges zu verhindern. In Tusks Statement findet sich kein Wort zur Vermeidung einer Eskalation!

Was nun, Herr Bundeskanzler?

Die Frage des Fraktionssprechers der SPD, Mützenich, anlässlich der Diskussion über die Abstimmung zur Lieferung von Taurus-Raketen, ob „es nicht an der Zeit ist, dass wir nicht nur darüber reden, wie wir einen Krieg führen, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann", scheint ein weiterer Hinweis auf einen Paradigmenwechsel der SPD zu sein: mit Russland könnte man ja auch verhandeln, so wie es ehemalige SPD-Politiker taten (Brandt, Schmidt, Schröder).

Diese Frage ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, in einem Land, in einem Parlament, welches sich den Gesetzen der Logik und des Friedens nach unserem Grundgesetz verpflichet fühlt.

Ist es aber leider nicht.

  • „Mützenich hat diese Katze heute aus dem Sack gelassen. Scholz und die SPD verkennen, dass Putin absolut kriegsentschlossen ist“, so Röttgen (CDU) im Tagesspiegel.
  • Jamila Schäfer von den Grünen im Tagesspiegel: „Rolf Mützenich hat sich in einem entscheidenden Punkt gegen den Antrag unserer Fraktionen gestellt. Darin war die vollständige Wiederherstellung der Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine betont worden und eben kein Einfrieren des Konflikts“.
  • Marcus Faber von der FDP: „Herr Mützenich sollte vor seinen Redebeiträgen kritisch prüfen, was er vor drei Wochen selbst unterschrieben hat“, mit Verweis auf einen Beschluss vor drei Wochen, in dem sich die Ampel für die territoriale Integrität der Ukraine, die Rückeroberung der Krim und die Lieferung „weitreichender, zusätzlicher Waffensysteme“ ausgesprochen hatte.
  • Der frühere Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, hat SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nach dessenÄußerungen zu einem möglichen Einfrieren des Kriegsbeleidigt. „Dieser Typ war und bleibt der widerlichste deutsche Politiker. Für immer und ewig“, schrieb der Diplomat, der Kiew inzwischen in Brasilien vertritt, am 15.3.2024 auf X.

    Das Taurus-Gespräch hoher deutscher Militärs

    2 Generäle und zwei hohe Offiziere der Bundeswehr wurden abgehört als sie über Pläne zum Einsatz von TAURUS-Systemen in der Ukraine sprachen. In den ersten Minuten ist bereits ein noch unbekannter Skandal enthalten. Diese Sequenzen machen den Inhalt des Gespräches noch brisanter. (https://free21.org/das-taurus-gespraech-hoher-deutscher-militaers/?fbclid=IwAR33F8nsVSuDC9s5xHXMGMtnnq2UdO3l4iOg8kkeDPS5OVM_HPp0EKay8Pw)

    "Wie kann es sein, dass deutsche Top-Generäle diese Pläne bereits einem US-General vorgestellt haben, ganze 4 Monate – das Gespräch wurde wahrscheinlich Ende Februar aufgezeichnet – bevor man darüber sprach, wie man diese Pläne mit Boris Pistorius (Verteidigungsminister) besprechen könnte. Hier scheint mit der Reihenfolge etwas gehörig schief gegangen zu sein.

    Ist es normal, dass man zuerst mit Generälen von anderen Ländern spricht, bevor man seinen eigenen Verteidigungsminister einweiht? Wer hat das sagen in Deutschland? Ist das Militär außer Kontrolle geraten?" (Quelle siehe oben).

    Macron isoliert im eigenen Land

    Laut einer repräsentativen Umfrage sind 76 Prozent der Franzosen gegen eine Entsendung von Truppen in die Ukraine. Selbst 68 Prozent der Anhänger von Macrons Partei „Renaissance“ sprechen sich gegen den Vorschlag ihres Präsidenten aus. Die Ablehnung schlägt sich auch in den derzeitigen Wahlprognosen nieder.

    https://www.hintergrund.de/kurzmeldung/macron-isoliert-im-eigenen-land/?fbclid=IwAR3JlRyejWa1EeepZvok2LXcxyAm2TbrZH0h3JmT5QkSl-qq5lRQ4G7_vyI

    Auch wichtige Parteien lehnen Macrons Kriegsambitionen ab: Laurent Wauquiez, Präsident der Region Auvergne-Rhône-Alpes; Marine Le Pen, Fraktionsführerin des konservativen „Rassemblement National“ und derzeit größten Oppositionspartei in der Nationalversammlung; Manuel Bompard, Koordinator der linksgerichteten und derzeit zweitgrößten Oppositionspartei „La France insoumise“, schrieb auf X, die Entsendung französischer Truppen in den Kampf gegen Russland in Erwägung zu ziehen, sei „völliger Wahnsinn“. Auch Fabien Roussel, Vorsitzender der kommunistischen Partei Frankreichs, die wie „La France insoumise“ Teil einer großen linken Oppositionskoalition ist, bezeichnete die Vorschläge Macrons als „unverantwortlich und gefährlich“.

    Auch innerhalb der Regierung regt sich Widerstand. So erklärte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu, Parteikollege von Macron, dass „die Entsendung kämpfender Bodentruppen nicht in Frage kommt“.

    Macron ist ein Wendehals, also politisch nicht wirklich zuverlässig, denn am 05.12.2022 konnte man lesen/hören: Der französische Präsident Macron wirbt für Friedensgespräche mit Russland - und spricht von "Sicherheitsgarantien" für Moskau.

    https://www.zdf.de/nachrichten/politik/macron-sicherheitsgarantien-russland-deutschland

    Ausblick

    Die Erzählung der Kriegstreiber, wonach Russland die Alleinschuld an dem Ukraine-Krieg hat - und dass Russland erst die Ukraine besiegen und dann weitere Europäische Länder angreifen und unterjochen möchte, ist durch nichts zu belegen.

    Im Gegenteil: Putin hat dies immer wieder in Abrede gestellt - z.B. am 29.2.2024 in der Duma und in dem Interview mit Tucker Carlson.

    Die amerikanischen Interessen bzw. Anteile an diesem Krieg müssen stärker - auch in den Medien - thematisiert werden: ihre Weltmachtphantasien, die erwünschte Schwächung eines unliebsamen Konkurrenten, die Nato-Osterweiterung, der gesteuerte Maidan-Putsch, das finanzielle Interesse an den Schätzen und dem Wiederaufbau der zerstörten Ukraine (https://www.freitag.de/autoren/ebecker/krieg-und-moral-die-ukraine-wird-jetzt-schon-als-beutegut-westlicher-kapitalgiganten-ins-visier-genommen)

    Bei Friedensverhandlungen muss beachtet werden, dass sie nur erfolgreich sein können, wenn die Interessen und Befürchtungen beider Seiten Berücksichtigung finden; wie z.B.:

    1. Beide Seiten vereinbaren die Einrichtung einer demilitarisierten Zone entlang der aktuellen Konfliktlinie, die von internationalen Friedenstruppen überwacht wird.

    2. Die genauen Grenzen der demilitarisierten Zone werden durch eine gemeinsame Kommission festgelegt, die aus Vertretern beider Seiten und neutralen Experten besteht.

    3. Die Ukraine gewährt den Regionen Donezk und Luhansk einen besonderen Autonomiestatus innerhalb ihrer Grenzen, der den Menschen in diesen Regionen erweiterte kulturelle, politische und wirtschaftliche Rechte garantiert.

    4. Die Ukraine verpflichtet sich, die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in diesen Regionen zu schützen und zu respektieren.

    5. Die Ukraine verzichtet auf einen Eintritt in die Nato

    6. Russland garantiert die Unabhängigkeit der Ukraine

    7. Die Krim gehört zu Russland, es sei denn durch eine erneute Volksabstimmung wird dies geändert.

    Olaf Scholz hat also genug zu tun, wenn er zum Friedenskanzler werden will: es wird ihm hoffentlich gelingen - mit Klugheit und Diplomatie, mit Unterstützung seiner eigenen Partei und anderen Parteien, und den deutschen Bürgerinnen und Bürgern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich Becker

Buch- und Theater-Autor

Erich Becker

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