TikTok-Comedian Tahsim Durgun: „Die Ausländerbehörden haben mein Deutsch geprägt“
Interview Mit eher beiläufigen Alltagsbegebenheiten, die Tahsim Durgun humoristisch kommentiert, ist er auf TikTok und Instagram bekannt geworden. Ein Gespräch über „Deutschsein“, Witze über die AfD und die Liebe zur deutschen Sprache
Mit einem seiner letzten TikTok-Videos ging Tahsim Durgun, Content Creator auf TikTok und Instagram, viral. Denn wenige Tage nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche zu den Deportationsplänen der AfD erklärte er seinen Follower*innen, die besten „Drei Verstecke, wenn Du abgeschoben wirst“. Mittlerweile hat das TikTok-Video über drei Millionen Views und wurde sogar im Bundestag zitiert.
der Freitag: Sie sind schon länger einem jüngeren Publikum auf TikTok und Instagram bekannt, aber so richtig populär wurden Sie mit einem Ihrer letzten TikTok-Clips, wo Sie unter anderem vorschlagen, sich doch bei der AfD zu verstecken. War dies als Antwort auf den ersten Schock, migrantische Menschen aus Deutschland abschieben zu wollen, gedacht?
Tahsi
, aber so richtig populär wurden Sie mit einem Ihrer letzten TikTok-Clips, wo Sie unter anderem vorschlagen, sich doch bei der AfD zu verstecken. War dies als Antwort auf den ersten Schock, migrantische Menschen aus Deutschland abschieben zu wollen, gedacht? Tahsim Durgun: Für mich selbst war das kein bewusster Verarbeitungsprozess, um damit etwas besser verkraften zu können. Als ich von den News gehört habe, war mein erster Gedanke „Dazu muss ich in irgendeiner Form etwas darlegen“. Bei all meinen Videos ist mir bewusst, dass ich damit den Leuten den Schmerz, ein schweres Wort, zu dem Thema wegnehmen. Das war mein Ziel mit dem Video: Ich wollte zwar darauf aufmerksam machen, aber den Frust und den Kummer ein bisschen herunterdrehen. Überraschend ist, dass Sie nun Wahlwerbung für den deutschen Pass machen und sagen: Geht wählen. Warum ist Ihnen das wichtig?Grundsätzlich wollte ich den deutschen Pass nicht als relevant oder als Nonplusultra darstellen, auch wenn es für mich in der Kindheit oft so war. Aber leider Gottes ist es ja so, dass erst der Pass den Zugang zum Wählen ermöglicht. So habe ich auf den deutschen Pass aufmerksam gemacht. Ich möchte auf jeden Fall meine Reichweite dazu nutzen, um zu ermutigen und um aufs Wählen aufmerksam zu machen. Insbesondere deswegen, weil in der migrantischen Community das Wählen in Deutschland noch keinen großen Stellenwert hat. Weil viele damit auch nicht sozialisiert wurden. Sind das ihre Erfahrungen, dass in ihrer Umgebung nicht viele zur Wahl gehen, weil es Ihnen vielleicht egal ist? Es ist Ihnen nicht zwangsläufig egal und ich glaube nicht, dass es an politischem Interesse mangelt. Nicht jeder ist hochgradig politisch, aber trotzdem ist jeder betroffen. Ich möchte den Leuten nur empfehlen, wozu sie imstande sein könnten. Und es ist ihr Grundrecht. Placeholder infobox-1Woher kommen die Ideen zu ihren Videos?Ich mache das tatsächlich sehr beiläufig. Es vergehen auch mal zwei Wochen, wo ich nichts poste. Aber dann ist es mir wichtig, dass jedes Video für sich steht und die Leute glücklich macht. Ist „Tahsim bro“ auf TikTok oder „tahdurr“ auf Instagram eine Kunstfigur?Das ist schon sehr viel Ich. Kunstfigur wäre zu hoch gegriffen. Aber natürlich habe ich gängige Stilmittel, die ich verwende. Zum Beispiel achten Sie sehr darauf, in Ihren Videos stets ein sehr gepflegtes Deutsch zu sprechen. In ihrem neuesten Video sagen Sie beispielsweise statt „Ich bin sauer“ lieber „Ich bin erzürnt“. Wer ist die Inspirationsquelle für diese hochtrabende Sprache: Goethe, Schiller, Rudi Dutschke?Die großen Dichter und Denker sind nicht meine Inspiration. Ich habe neulich erst wieder etwas aus Goethes Faust gelesen, das war Abi-Lektüre und damals fand ich Faust scheiße, tut mir leid, da geht mir auch mein gepflegtes Deutsch verloren. Aber ich hab neulich wieder hineingelesen und gemerkt, warum das so ein unumstößliches Werk ist. Aber trotzdem gehört es nicht zu meiner Inspiration. Sondern?Die Ausländerbehörden haben sehr mein Deutsch und meine deutsche Sprache geprägt und meine Lehrer aus der Schulzeit, die mir immer vor Augen geführt haben, wozu man eigentlich imstande ist, mit der deutschen Sprache. Ich bin ein sehr, sehr großer Fan des Deutschen – es ist sehr romantisierend und kriegt es hin, nichtige Dinge sehr dramatisch auszudrücken. Und das gefällt mir sehr. Wieso die Ausländerbehörden? Ich musste schon als Kind Behördengänge erledigen und war als Übersetzer meiner Mutter bei jeglichen Behörden dabei. Dort habe ich tatsächlich sehr früh dieses bürokratisch aufgeladene Deutsch erlernt und mir selbst beigebracht, wodurch ich leider dieses Deutsch spreche. Mich regt es ja selbst auf, dass ich manchmal sehr hochgestochen rede. Ist das eine Art Distinguierungsmerkmal? Mir ist es kein Anliegen, mich als eine Art Obrigkeit darzustellen oder so zu tun, als wäre ich etwas Besseres als meine Familie. Mir geht es auch nicht darum, den Deutschen zu zeigen, „Ey, guck mal, die Kanaks sind doch heftig und cool und gehören dazu“. Es geht mir es auch nicht darum, den Kanaks zu sagen, „Ey, seid mal ein bisschen deutscher“. Ich hab das tatsächlich noch nie so richtig durchdacht. Natürlich mache ich das schon länger und ich weiß was für eine Wirkung ich haben kann. Aber ich habe bisher noch nicht wirklich durchdrungen, was mein genaues Ziel mit den Videos ist. Es ist tatsächlich mein Naturell, dass ich so spreche und so bin. Sie gehen in Ihren Videos auch auf die Deutschkenntnisse ihrer Mutter ein oder zeigen, wie ihr Neffe lieber „deutsch“ sein will. Das sind manchmal herzzerreißende Szenen aus Ihrem Alltag, wo das Dasein auch viel mit der Frage „Wie deutsch bin ich eigentlich“ zu tun hat.Ich glaube, dass ganz viele auf der einen Seite ein falsches Bild von ganz normalen bürgerlichen, migrantischen Familien haben. Auf der anderen Seite ist es das Streben nach diesem „Deutschsein“, das bei uns existiert. Nicht, weil wir unsere Kultur und Identität damit verdecken möchten, sondern weil wir in einem ständigen Behauptungskampf sind. Das schwingt auch in meiner Familie mit. Das war schon immer so und das überträgt sich tatsächlich auch auf meinen Neffen, der erst fünf Jahre alt ist und eigentlich mit viel besseren Lebensumständen aufgewachsen ist. Aber auch er hat mit diesen Fragen zu tun: Bin ich deutsch oder bin ich nicht deutsch?Sie und ihre drei Geschwister sind hier geboren, ihre Familie stammt ursprünglich aus dem kurdischen Teil der Türkei. Meine Mutter kommt aus Batman, mein Vater aus Diyarbakır und leben schon seit über dreißig Jahren in Deutschland. Gegenüber ihren Geschwistern zeigen Sie oft, dass sie klüger sind und machen zum Beispiel Intelligenztests mit ihrer Schwester. Ist das die allbekannte Hassliebe unter Geschwistern? Was ich mit meinen Geschwistern darstelle in meinen Videos, diese Dynamik kann sehr relatable sein – vor allem in Migrantenfamilien. Ihre Mutter hat in einem Ihrer letzten Videos ihr berühmtes Rezept für Lauchbrot mit Ihren Follower*innen geteilt und hat dafür sehr viele herzliche Kommentare auf Ihrer Seite erhalten. Ist ihrer Mutter bewusst, wie bekannt sie mittlerweile bei ihrer Followerschaft ist? Sie taucht sogar auf Plakatsprüchen der Anti-AfD-Demos („Tahsims Mutter bleibt hia“) auf.Sie kann das gar nicht greifen, weil sie kaum mit Social Media zu tun hat. Meine Mutter hat zwar seit einiger Zeit TikTok, aber auf Ihrer Startseite sind entweder türkische Goldhändler oder Rezepte ...... Also sieht es fast so aus wie auf meiner TikTok-Startseite …(lacht) Natürlich erzähle ich ihr davon, aber sie kann das gar nicht nachvollziehen, wie groß das ist. Letztens meinte sie sogar: Lade doch die Leute ein, ich koche für sie.Ja, gern!Sie weiß ja gar nicht, wie viele Leute da kommen würden …Haben Sie eigentlich Vorbilder, von denen Sie sich den Umgang mit dem Humor abgeguckt haben?Ja, Pierre M. Krause, Anke Engelke und Kurt Krömer. Zwar alles sehr deutsche weiße Personen, aber was Wortwitz und Sprachgewandtheit angeht, beeindrucken sie mich sehr. Und aus einer anderen Sparte inspiriert mich der Rapsänger Kendrick Lamar, welcher in seiner Musik Unglaubliches durch Sprache ausdrücken kann. Sie sind gerade oft beruflich in Berlin und Köln, erzählten Sie im Vorgespräch. Dürfen Sie schon über das Projekt sprechen? Es handelt sich um ein eigenes Fernseh-Format und um andere Projekte, die noch nicht ausgereift genug sind, um darüber zu sprechen. Es passiert hoffentlich viel Cooles in diesem Jahr.Werden Sie denn noch ihr Studium beenden? Sie sind ja schlimmer als meine Mutter! Ich bezweifle es, ich bin sehr eingespannt gerade. Doch die Masterarbeit wird auf jeden Fall geschrieben.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.