Geradeaus in den Untergang - Werbekooperationen bei Printmedien

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Dass viele Printmedien in der Krise sind, ist heutzutage fast eine Binse. Weinblogger Mario Scheuermann hat das gerade erst wieder in seinem drinktank für die Weinzeitschriften festgestellt, und dem ist an sich nicht viel hinzuzufügen. Was jedoch keine Binse zu sein scheint, ist das Wissen, dass Print aus dieser Krise nur mit rigorosem Qualitätsjournalismus herauskommen kann und wird - nicht umsonst geht es Traditionstiteln wie Die Zeit, Der Spiegel oder auch FAZ und Sonntags-FAZ recht gut, jedenfalls, was ihre Auflagen betrifft.

Nein, eine solche Krisenstrategie ist wahrhaftig keine Binse, und das beweisen, um nur ein Beispiel zu nennen, Großverlage wie Gruner & Jahr Tag für Tag mit aberwitzigen Werbekooperationen, mit denen sie vielleicht ihre Vierteljahresbilanzen ein wenig aufmöbeln können, ihre Zeitschriften aber immer weiter von dem weg führen, was Qualitätsjournalismus - und damit Erfolgsjournalismus - bedeutet.

Jüngstes Beispiel dafür ist der Traditionstitel Schöner wohnen aus dem Verlag am Hamburger Baumwall. Für den zeigen die jüngsten Auflagenzahlen der IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) im vierten Quartal des abgelaufenen Jahres etwas zunächst einmal ganz Erstaunliches: Während nämlich die meisten Traditionstitel der G&J-Verlagsgruppe Exclusive & Living mehr schlecht als recht zu überleben scheinen (die Verkaufsauflagen des 4. Quartals im Zweijahresvergleich: dogs -13 %, essen & trinken -15 %, Flora Garten -9 %, Living at home -10 %), verbucht Schöner wohnen im gleichen Zweijahrszeitraum einen Zuwachs von sage und schreibe 18 Prozent.

Schon ein Blick auf die Detailzahlen lässt allerdings Skepsis aufkommen. Denn da zeigt sich, dass die rasant gestiegene Auflage einzig dem Einzelverkauf anzurechnen ist (sagenhafte +66 %), während die Zeitschrift immerhin 16 % ihrer Abonnenten verloren hat. Heute Morgen fand ich nun die aktuellsten ma-Reichweitenzahlen, die meine Skepsis bestätigten: im Zweijahresvergleich hat Schöner Wohnen da nämlich nicht zugelegt, sondern 0,2 % Reichweite verloren (von 3,0 auf 2,8). Das heißt, nicht mehr, sondern weniger Menschen lesen die Zeitschrift, und das trotz der gestiegenen Verkaufsauflage.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Zuwachs im Einzelverkauf zumindest zum überwiegenden Teil auf das Konto der jüngsten Kooperation mit IKEA geht, die seit einiger Zeit auch auf der Internetseite von Schöner Wohnen heftigst beworben wird ("Wir zeigen Ihnen hier einige Vorher-Nachher-Beispiele, die im Rahmen einer Kooperation mit IKEA und Sat.1 entstanden sind."). Ob es das ist, was sich die Herren Erbsenzähler und Bilanzverschöner am Baumwall unter Qualitätsjournalismus vorstellen? Unter journalistischer Unabhängigkeit, ohne die Qualitätsjournalismus gar nicht denkbar ist?

Nun ist es ja nicht so, dass diese Art des Werbejournalimus bei Gruner & Jahr etwas Neues wäre. Er ist ebenso wenig neu, wie es seinerzeit die Kooperation von essen & trinken mit dem Weinversender Hawesko war, in dessen Aufsichtsrat - welch ein Zufall! - zu allem Überfluss auch noch die langjährige Herausgeberin von essen & trinken, Angelika Jahr, saß und sitzt.

Was aber noch frappierender ist als die frivole Auffassung von Journalismus, die offenbar am Baumwall gepflegt wird, ist die Tatsache, dass man dort offenbar nicht einmal aus unternehmerischer Sicht bereit ist, zu lernen. Denn eine Kooperation wie die geschilderte hat ja erst vor wenigen Jahren zum Untergang der Kochzeitschrift viva! geführt - damals bewarb man eine Lebensmittelkette. Auch damals hatte man sich zunächst an den tollen Verkaufszahlen im Einzelverkauf berauscht, um dann ziemlich schnell ernüchtert feststellen zu müssen, dass die Leser - weder die Stammleser noch potenzielle neue - diese Art von Manövern offenbar überhaupt nicht goutierten. Das Ende für viva! kam dann schneller, als es selbst Skeptiker erwartet hatten. Tatsache ist, mit solchen Kooperationen wird nicht nur der Qualitätsjournalismus zu Grabe getragen, sondern hier wird auch mit Milchmädchenrechnungen, die jeder verlegerischen Strategie Hohn sprechen, mittel- und langfristig ein Flaggschiff unter den deutschen Zeitschriftenverlagen auf Grund gesetzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Eckhard Supp

Journalist, Buchautor und Herausgeber von ENO WorldWine (www.enobooks.de)

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