Es gibt kaum einen Politiker im Europa der Nachkriegszeit, der sein Land so nachhaltig geprägt hat wie dieser Mann, der im Gestus eher an einen Buchhalter erinnerte als an einen Machtmenschen. Wer in Giulio Andreotti aber nur die Karikatur sehen wollte, ihn unterschätzte, wurde immer, manchmal sogar äußerst schmerzhaft eines Besseren belehrt.
Seit der Ausrufung des neuen Italiens 1948 saß Giulio Andreotti ununterbrochen im Parlament, auch noch hoch betagt zuletzt als Senator auf Lebenszeit. Es gibt im Menschengedenken der Zeitgenossen kaum ein politisches Manöver, eine Ranküne, eine strategische Entscheidung, die nicht mit diesem Namen verbunden wäre. Ob als Vordenker der Christdemokraten in der Blockbildung gegen die mächtige Kommunistische Partei, staatlicher Hardliner im Entführungsfall Moro, flexibler Strippenzieher bei Regierungsbildungen und -abberufungen, nie agierte Andreotti vordergründig oder gar populistisch.
Es war eine Furcht einflößende stille Sicherheit, mit der dieses höchst intelligente und belesene Animal Politique seine Partei Democrazia Cristiana über 40 Jahre ununterbrochen an der Macht hielt, ohne selbst an der Parteispitze zu stehen. Deswegen schadete es ihm nicht wirklich, dass er mit der Mafia oder der Geheimloge P2 in Verbindung gebracht wurde oder dass er ein verschwiegenes Konto beim IOR, der Vatikanbank besaß. Solcherlei Petitessen, gemessen an der zeitweisen Omnipräsenz des Mannes, kamen zu spät ans Tageslicht, als dass sie das Lebenswerk des siebenmaligen Ministerpräsidenten noch hätten gefährden können.
Seine zuweilen zynische Haltung gegenüber der Tagespolitik machte er deutlich, als er zum Abstimmungsverhalten am Abend des 21. Februar 2007 im Senat befragt wurde; über seine Stimmenthaltung bei der Vertrauensfrage war gerade die noch nicht einmal ein Jahr alte linksliberale Regierung Prodi gestolpert. Originalton des unschuldig in die Kameras lächelnden Senators: „Ich hatte nicht verstanden, dass ohne mein Votum die Regierung stürzen würde.“ Es wurde gemunkelt, Andreotti habe sich in Wahrheit dafür revanchieren wollen, dass man ihn einige Monate vorher nicht wie versprochen zum Senatspräsidenten gewählt hatte. Prodi jedenfalls erholte sich von dem Schlag nicht mehr und musste knapp ein Jahr später definitiv resignieren. Auf ihn folgte Berlusconi.
Die Geschichte des Mannes, den Bewunderer wie Detraktoren "il Divo", den Göttlichen nennen, erstere in Anbetung, die anderen mit Anspielung auf seine Unberührbarkeit, ist die Geschichte Italiens über mehr als zwei Generationen.
Sie ist nun zu Ende gegangen. Giulio Andreotti ist heute im Alter von 94 Jahren in Rom gestorben. e2m
Der Artikel ist eine geringfügig adaptierte Fassung eines Artikels vom 17.10.2009 aus Anlass der DVD-Veröffentlichung des Films "Il Divo" von Paolo Sorrentino
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